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Beitrag vom 11.06.2010
Martha Gellhorn - Ausgewählte Briefe
Miriam Hutter
Die vor allem für ihre detailgetreuen, subjektiven Berichte berühmt gewordene Kriegsreporterin, Martha Gellhorn, gibt uns in ihren Briefen einen Einblick in die faszinierende Gedanken- und ...
... Gefühlswelt einer starken Frau.
Acht Jahre nach ihrem Tod am 15. Februar 1998 in London wurden die von Caroline Moorehead herausgegebenen "Selected Letters of Martha Gellhorn" bei Chatto & Windus veröffentlicht, die nun beim Dörlemann Verlag in einer gelungenen Übersetzung von Miriam Mandelkow auch auf Deutsch erschienen sind. Zusätzlich findet sich hier ein von Sigrid Löffler verfasstes Nachwort, das die widersprüchliche Persönlichkeit Gellhorns noch näher zu umreißen sucht.
Martha Gellhorn entstammt einer langen Familientradition starker Frauen: Die Großmutter, Martha Ellis, die den jüdischen Medizinprofessor Washington E. Fischel heiratete, war die erste weibliche Präsidentin der "American Ethical Union". Ihre Mutter, Edna Fischel Gellhorn war eine bekannte Frauenrechtlerin, welche die "National League of Women Voters" mitbegründete, deren erste Vizepräsidentin sie war. Im Jahre 1964 erhielt sie die Ehrendoktorwürde der Washington University.
Martha, dieser Tradition folgend, war die erste weibliche Kriegsreporterin und schrieb Artikel für renommierte Zeitschriften wie "Collier´s" und "The New Yorker". Als Kriegsgegnerin reiste sie in Kriegsgebiete und lieferte von dort ihre Reportagen über den Spanischen Bürgerkrieg, und den finnisch-russischen Krieg. Der Zugang zu den Schauplätzen des Zweiten Weltkriegs wurden ihr als Frau verwehrt, weshalb sie einen aufgebrachten Brief an Colonel Lawrence schrieb. Unerlaubter Weise berichtete sie dann aber von einem Lazarettschiff aus, das schließlich in der Normandie anlegte Im Mai 1945 sah Gellhorn Dachau, wenige Tage nach der amerikanischen Befreiung der Lager und schrieb, sie werde sich nie verzeihen nicht "gewusst, begriffen, herausgefunden, verstanden zu haben, was geschah."
Die Briefe der Kriegsreporterin, Journalistin und Schriftstellerin Martha Gellhorn an FreundInnen, Familie und Liebhaber sind eine wahre Entdeckung. Es ist ihr lebendiger Schreibstil, ihre komplexe Persönlichkeit, die durch jeden einzelnen ihrer Briefe hindurchschimmert, die dieses Buch so lesenswert machen.
Die Briefe dokumentieren Gellhorns Leben in den frühen 1930er Jahren, als sie St. Louis, ihren Heimatort verließ und nach Paris ging, um sich dort ins Leben, die Liebe und das Schreiben zu stürzen, bis kurz vor ihrem Tod im Jahr 1998. Zu einem besseren Verständnis der verschiedenen Lebensabschnitte und um bestimmte Sachverhalte zu verdeutlichen, die der LeserIn unklar bleiben könnten, führt Caroline Moorehead als einfühlsame und kenntnisreiche Kommentatorin durch die Briefsammlung.
Die Menschenrechtsjournalistin Moorehead hat bereits 2003 eine Biographie über Martha Gellhorn verfasst: "Martha Gellhorn: A Life", die bisher jedoch nur auf Englisch vorliegt.
In ihren Briefen zeigt sich Gellhorn als eine durchweg lebensbejahende Frau, die bereit ist, alles, (auch ihr Glück) zu geben für ein möglichst intensives Leben: "Man muß schon blöd sein, um freiwillig schmerzlich gefährlich unglücklich zu sein statt gelangweilt: Und zu dieser Art Blödmänner gehöre ich" schrieb sie einmal an ihre ehemalige Lehrerin Hortense Flexner über ihre Beziehung mit Hemingway.
"Ich kann mich mit allem auf der Welt arrangieren außer Langeweile, und ich will kein guter Mensch sein."
Nichtsdestotrotz zeigt sich ihr sozialkritisches Bewusstsein, wenn sie beispielsweise 1938 in einem Brief an den "roten" Anwalt Campbell Beckett schreibt, sie wünsche "an der Seite derer [zu] sein, die daran arbeiten, den Menschen eine Chance zu geben". Dies stellte sie erstmals unter Beweis, als sie, – beauftragt von einer amerikanischen Regierungskommission –, von dem Befinden der kleinen Leute in der Wirtschaftskrise berichtete. (Wie Moorehead anmerkt, wurde sie gefeuert, nachdem sie einige Arbeiter dazu ermutigt hatte ein paar Fensterscheiben einzuwerfen, um auf ihre unerträglichen Lebensbedingungen aufmerksam zu machen).
Es waren nicht nur Kriegsgebiete, die Gellhorn besuchte: Sie liebte das Reisen und mit ihm das Entdecken neuer Welten. An den Orten, die ihr besonders gut gefielen, ließ sie sich für längere Zeit nieder. So verbrachte sie einige Jahre (mit Hemingway) in Kuba, eine längere Zeit in Kenia, und auch England und Italien wurden ihr für einige Zeit zur Heimat. Immer aber wurde sie durch ein Gefühl des inneren Getriebenseins von diesen Orten wieder weggeführt, sobald sie sich dort mit viel Liebe ein Heim eingerichtet hatte: "Mein ganzes Talent scheint darin zu bestehen, Nester zu bauen, die ich dann nicht aushalte."
Gellhorn empfand sich selbst als "Entwurzelte", was sich nicht nur auf eine örtliche Heimat bezog, sondern auch auf ihre Selbstpositionierung als Autorin. Sie fühlte sich weder in den USA noch in England als Teil des journalistischen Milieus, und auch dem Literaturbetrieb sah sie sich nicht zugehörig. Diese Außenseiterinnenrolle bestimmte auch ihr Verhältnis zu anderen Menschen. So schrieb sie in einem Brief an die Schauspielerin und Autorin Betsy Drake: "Ich finde, wir sind anderen entfremdet, allen anderen" und "Ich glaube die Einsamkeit muss man hinnehmen wie den Boden unter den eigenen Füßen."
Zu ihrer Mutter Edna Fischel Gellhorn hatte Martha eine innige Beziehung. Immer wieder stellt sie in ihren Briefen fest, dass es die Mutter sei, die sie in ihrem Leben am meisten geliebt habe. Dies schob sie weniger auf die Blutsverbindung, als auf die Bewunderung, die sie für ihre Mutter als Mensch hegte. Bis zu ihrem Tod 1970 war sie ihr ein Vorbild gewesen.
Doch liebevolle Worte finden sich nicht nur in den Briefen Gellhorns an ihre Mutter. In den meisten Briefen wendet sich Gellhorn sehr herzlich an ihre AdressatInnen. So kommen nur wenige Briefe ohne ein abschließendes "Ich liebe Dich" aus. Dass sie aber auch überaus grausam sein konnte, gegenüber ihren Freunden, oder ihrem Adoptivsohn Sandy, wird der Leserin nicht vorenthalten. Letzterem schrieb sie einmal wütend über seine "Nutzlosigkeit", wenn sie wäre wie er, würde sie sich "von der Klippe stürzen" und der todkranke Leonard Bernstein musste sich von ihr sagen lassen, er solle nicht so selbstmitleidig sein".
Auch in ihren Liebesbeziehungen schien Martha Gellhorn immer die Überlegene, Stärkere gewesen zu sein, was wohl auch mit ihrem Drang nach Unabhängigkeit zusammenhing. Sich selbst sah sie dabei weniger als starke Frau an, als dass sie sich mit dem "Mann-Sein" identifizierte. So schrieb sie in einem ihrer Briefe:
"Nun bin ich also zu meinem ewigen Verdruß kein Mann, und wenn ich eine Frau sein soll, werde ich das Beste draus machen und mich von dieser biologischen Panne nicht stärker als nötig beeinträchtigen lassen."
Der ihr eigene Lebensmut blieb ungebrochen bis zum Schluss, bis ihre Kräfte so weit schwanden, dass sie ihrem Leben, in einem letzten Akt, der von ihrem Streben nach Unabhängigkeit zeugte, ein Ende bereitete.
AVIVA-Tipp: Die "Ausgewählten Briefe" bieten der LeserIn auf vielfältige Weise Genuss: wir erhalten einen tiefen Einblick in das Denken und Fühlen einer außergewöhnlichen Frau und zugleich sind diese Briefe Zeugnis einer aufregenden Zeit. An eine Vielzahl bedeutender Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts gerichtet, gehören Eleanore Roosevelt, H.G. Wells, Sybille Bedford, Leonard Bernstein und viele andere zu Gellhorns AdressatInnen
Einziger Wermutstropfen bleibt, dass die Auswahlkriterien für die Briefzusammenstellung unerwähnt bleiben und man sich wünschte, alle verfügbaren Briefe lesen zu dürfen.
Zur Autorin: Martha Gellhorn wurde am 8.November 1908 in St. Louis/Missouri geboren. Sie kam aus einer wohlhabenden angesehenen Familie. Ihre Mutter war eine anerkannte Frauenrechtlerin und ihr Vater, der aus Breslau stammte war als Arzt erfolgreich. Martha besuchte das Frauen-College in Bryn Mawr, wo sie ihre ersten journalistischen Erfahrungen sammelte. Schon bald konnte sie auch in Europa für verschiedene Zeitschriften schreiben, wobei sich ihr Fokus erst mit dem Spanischen Bürgerkrieg auf die Kriegsberichterstattung verschob. Sie hat außerdem drei Erzählbände und zwei Romane veröffentlicht, die jedoch nicht an den Erfolg ihrer Reportagen heranreichten.
Zur Herausgeberin: Caroline Moorehead ist bekannt für ihre Biographien, die sie nicht nur über Martha Gellhorn, sondern auch über beispielsweise Bertrand Russell und zuletzt über Lucie de la Tour Du Pin verfasst hat. Von Martha Gellhorn hat sie außerdem verschiedene Erzählbände herausgegeben. Gerade erst erschienen ist Mooreheads Sachbuch "Human Cargo: A Journey Among Refugees".
Martha Gellhorn
Ausgewählte Briefe
Originaltitel: "Selected Letters of Martha Gellhorn"
Herausgegeben und kommentiert von Caroline Moorehead
Ãœbersetzung: Miriam Mandelkow
Nachwort von Sigrid Löffler
Dörlemann Verlag Zürich, erschienen 2009
ISBN-13 9783908777502
420 Seiten, gebunden
24,90 Euro
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