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Beitrag vom 07.06.2010
Maren Gottschalk - Die Farben meiner Seele. Die Lebensgeschichte der Frida Kahlo
Evelyn Gaida
Pop-Ikone, Mythos, "Postergirl des Feminismus", "Malerin der Schmerzen": Die Liste der Attribute Frida Kahlos ist lang und wird kontrovers diskutiert. Wer war die Frau und Künstlerin, ...
... die sich dahinter verbirgt?
Der Historikerin und Politologin Maren Gottschalk gelingt es in ihrer Kahlo-Biographie für junge LeserInnen, sich in schlicht gehaltener Sprache auf Wesentliches zu konzentrieren, zurückhaltend zu erzählen - und gleichzeitig die Vielschichtigkeit und Widersprüche in Leben und Persönlichkeit der berühmten Malerin klar herauszuarbeiten.
Der besondere Reiz
Ihre Herangehensweise grenzt die Autorin gleich zu Beginn deutlich vom Kult um Frida Kahlo ab: Der besondere Reiz der Künstlerin liege in einem "Zusammentreffen von Gegensätzen", so Gottschalk im 1. Kapitel "FridamanÃa". Die geläufige Stilisierung der Malerin zu einer heroischen Personifikation des Lebenswillens schlechthin bleibt ebenfalls aus, ohne Kahlos Energie und Willensstärke damit Abbruch zu tun. Erschütterndes Leid, Verzweiflung und die Entschlossenheit, ihnen die Stirn zu bieten, stehen gleichwertig nebeneinander. Ebenso treten neben Kahlos sprichwörtlichem Freiheitsdrang und unkonventionellem Eigensinn in dieser Biographie auch ihre Zerbrechlichkeit, ihre Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit entscheidend hervor. Maren Gottschalk hat umfassend recherchiert und lässt die Malerin in Brief- und Tagebuchzitaten häufig selbst zu Wort kommen.
Wichtige Stationen im Leben der Künstlerin werden mit einer sehr gerafften Werkschau und einfließenden Kurzinformationen zum zeitgeschichtlichen Hintergrund verwoben. Bilder und Szenen eines leidenschaftlich beschrittenen Lebensweges ziehen in einfachen Grundfarben und -elementen lebendig am inneren Auge der LeserInnen vorbei, der Phantasie bleibt viel Raum. Dennoch fehlt es der bewusst zurückgenommenen und distanzierten Erzählhaltung nicht an Eindringlichkeit.
Ãœberlebende und Malerin
"Ich bin in meinem Leben von zwei großen Unfällen betroffen worden. Der eine geschah, als ich von einer Straßenbahn überfahren wurde, der andere ist Diego." Ursprünglich wollte Frida Kahlo Medizin studieren und wartete als 18-Jährige begierig darauf, das Leben in allen Facetten auszukosten, dem Elternhaus und der Konvention zu entrinnen. "Doch es sollte anders kommen." Eine Eisenstange durchbohrte den Körper der Schülerin beim Zusammenstoß von einem Bus und einer Straßenbahn. Sie wurde nicht Ärztin, sondern seit diesem Unfall im Jahr 1925 immer wieder Patientin mit einem schwer beschädigten Rückgrat und einem zerquetschten, später verwachsenen Fuß. Kahlo musste insgesamt 40 Operationen über sich ergehen lassen und erlitt drei Fehlgeburten, um nur einige der (Spät-)Folgen zu nennen. Und sie wurde Malerin. Bereits während der ersten monatelangen Bettlägerigkeit im Gipskorsett wandte sie sich der Kunst zu. Ihr künstlerisches Schaffen verlieh fortan sowohl ihren körperlichen und seelischen Schmerzen Ausdruck, als auch ihrem Lebenshunger, ihrer Liebe zur Natur und zu ihrer mexikanischen Heimat.
Die Verbergungskünstlerin
Der Dualismus in Leben, Werk und Persönlichkeit der Künstlerin zieht sich als leitende Struktur durch das Buch. Er wirkt jedoch an keiner Stelle wie ein von der Autorin aufgezwungenes Korsett, sondern angesichts der populären Mythisierung, Banalisierung oder Vereinnahmung Kahlos wie eine Befreiung.
Die Malerin inszenierte sich selbst meisterhaft. Ende der 1920er Jahre tauschte sie "ihre geliebten Herrenanzüge, die Lederjacke und die Arbeiterkluft mit der Tracht der Indianerin" aus dem Süden Mexikos, um ihre innige Verbundenheit mit der Kultur des alten Mexiko und dem mexikanischen Volk hervorzuheben. Sie verströme die Aura einer aztekischen Göttin, schrieb der Schriftsteller Carlos Fuentes. Auf diese Weise konnte die Verbergungskünstlerin verschiedene Rollen ausprobieren und sich durch eine Maske schützen, "denn sie lenkt ab vom Schmerz, vom Krüppel-Dasein, von der Zerstörung", so Gottschalk. Auch auf Kahlos Bildern - fast ein Drittel der etwa 150 Gemälde sind Selbstporträts - bleibt ihr Gesichtsausdruck trotz der sonst expressiven und teils brutalen Symbolik zumeist ikonisch rätselhaft und entrückt.
Die Liebe ihres Lebens
Diego Rivera, der erfolgreiche, 21 Jahre ältere Maler war die Liebe ihres Lebens und der zweite verheerende "Unfall". Obwohl Rivera auch "fanatischer Bewunderer" und Förderer ihrer Malerei war, stellte Kahlo ihr künstlerisches Schaffen gegenüber der Ehe mit ihm zurück und wurde lange Zeit als eigenständige Künstlerin nicht ernst genommen. Davon beeinflusst war Kahlos Einschätzung ihrer Kunst starken Schwankungen unterworfen: Auf die Frage eines Journalisten, ob sie auch Malerin sei, antwortete sie provokant, sie sei "die größte der Welt", zögerte andererseits, Bilder auszustellen, da die meisten Leute sie für "zu verrückt" halten würden und glaubte zeitweise, niemand würde ihre Gemälde haben wollen. Vom Surrealismus grenzte sie sich dagegen mit unbeirrbar selbstbewusstem Sarkasmus ab: "Ich hatte keine Ahnung, dass ich surrealistisch male, bevor André Breton nach Mexiko kam und es mir sagte. Das Einzige, was ich weiß, ist, dass ich male, weil ich muss...". Sie habe niemals Träume gemalt, äußerte Kahlo: "Was ich dargestellt habe, war meine Wirklichkeit."
Von Diego Rivera konnte die Künstlerin sich lebenslang nicht lösen, obwohl er ihr durch seine Unfähigkeit zur Treue Höllenqualen zufügte. Nachdem er sie mit ihrer Lieblingsschwester betrogen hatte, schuf sie eines ihrer grausamsten Gemälde: "Ein paar kleine Dolchstiche" (1935). Es zeigt eine blutüberströmte, nackte Frau und ihren Mörder. André Breton bezeichnete Kahlos Malerei als "farbiges Band um eine Bombe". Mehrere Trennungen, zwei Scheidungen von Rivera und eigene Affären konnten die tiefe, sehnsüchtige Bindung an ihren Mann nicht auslöschen. "Liebe mich ein kleines bisschen. Ich bete dich an", schrieb Kahlo nach der ersten Trennung an ihn.
Frida Kahlo blendete in ihrem unbestechlichen Ausdrucksvermögen auch die eigene, allzu menschliche Bedürftigkeit und Verletzlichkeit nicht aus, sondern schloss sie als elementare Grunderfahrung in die Ganzheit ihres Daseins und Schaffens mit ein. Das lässt Gottschalk in "Die Farben meiner Seele" als besondere Kraft der Künstlerin deutlich werden.
AVIVA-Tipp: "Die Farben meiner Seele" bewahrt eine ruhige und gleichmäßige Distanz auch zu den dramatischen und heftigen Aspekten von Leben, Werk und Charakter Frida Kahlos. Der Malerin wird so unaufdringlich Raum gegeben, für sich selbst zu stehen und in sehr unterschiedlichen Facetten zur Geltung zu kommen. Gerade durch diese Zurückhaltung erzeugt Gottschalks Darstellung Nähe: Anstelle des Mythos´ Frida Kahlo tritt der Mensch in den Vordergrund. Das Buch ist besonders auch im Hinblick auf die große Frida Kahlo Retrospektive, die der Berliner Martin-Gropius-Bau im Jahr 2010 beherbergte, als sensible Heranführung an Person und Œuvre der Künstlerin nicht nur für junge LeserInnen sehr empfehlenswert.
Zur Autorin: Maren Gottschalk wurde 1962 in Leverkusen geboren. Nach dem Abitur studierte sie in München Geschichte und Politik. Während der Promotion in Mittelalterlicher Geschichte entschied sie sich dafür, nicht nur zu forschen, sondern ihre Begeisterung für Geschichte auch weiterzugeben.
Sie zog zurück ins Rheinland und begann, für den Westdeutschen Rundfunk zu arbeiten. Seit 14 Jahren schreibt und spricht sie dort Radiosendungen über Geschichte, Kultur und Wissenschaft. Für die Sendung WDR-Zeitzeichen verwandelt sie historische Fakten in lebendige Geschichten, egal, ob es um berühmte Persönlichkeiten oder namenlose Dienstmädchen geht.
Diese Fähigkeit setzt sie auch bei ihrer schriftstellerischen Arbeit ein. Bei Beltz & Gelberg veröffentlichte sie zuletzt die vielfach gerühmten Biographien "Der geschärfte Blick. Sieben Journalistinnen und ihre Lebensgeschichte" sowie "Die Morgenröte unserer Freiheit. Die Lebensgeschichte des Nelson Mandela" und "Es brennt das Leben. Die Lebensgeschichte des Pablo Neruda".
Neben ihrer Tätigkeit als Journalistin und Autorin bietet Maren Gottschalk auch Kreativ-Workshops und Veranstaltungen zu verschiedenen Themen an.
Die Autorin lebt mit ihren drei Kindern in Leverkusen.
(Quelle: Beltz & Gelberg Verlag)
Maren Gottschalk
Die Farben meiner Seele. Die Lebensgeschichte der Frida Kahlo
Beltz & Gelberg Verlag, erschienen 2009
Hardcover, 224 Seiten
ISBN 978-3-407-81060-1
16,95 Euro
Ab 14 Jahre
Weitere Informationen finden Sie unter:
www.beltz.de
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