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Beitrag vom 31.05.2010
Spreeperlen. Berlin - Stadt der Frauen
Evelyn Gaida
Suppenlina, Tüte, Kernspaltung, Cyankali – was können solch unterschiedliche Stichwörter gemeinsam haben? Spannende und aufschlussreiche Geschichten von Kämpfen und Schicksalen der Berliner Frauen...
...verbergen sich dahinter im Buch "Spreeperlen". Das Kooperationsprojekt des Frauensenats und der bezirklichen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten Berlins, konzipiert von Dr. Gabriele Kämper, ist im Frühjahr 2010 erschienen und präsentiert in handlichem Format, mit künstlerischen Fotos und fantasievollem Layout ein Berlin-Panorama aus weiblicher Perspektive.
Spuren werden aufgezeigt und Fährten gelegt, die von der Vergangenheit bis in die Gegenwart reichen – es soll nicht nur aufgezählt, sondern erzählt werden. Dementsprechend lud Frauensenator Harald Wolf am 27. Mai erst zu einer Entdeckungstour durch Berlin ein, bevor "Spreeperlen" anschließend im Schloss Niederschönhausen vorgestellt wurde. Unter verschiedenen Themenkategorien – von Avancen über Malochen bis Oasen – werden im Buch karteikartenartig auf bebilderten Doppelseiten Geschichten darüber eröffnet, wie Frauen in dieser Stadt gelebt, gekämpft, gearbeitet, geliebt und gelitten haben. Im Mittelpunkt steht dabei ihr Kampf um Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Die Stärke des Buches ist es, in Kurzfassung Anekdoten und (fotografische) Ansichten zu umreißen, die nicht nur informativ, anregend, überraschend und unterhaltsam sind, sondern auch Lust darauf machen, mehr in Erfahrung zu bringen.
Unter dem Stichwort "Diva" liest frau oder man unerwartet von der Erfinderin der Currywurst, Herta Heuwer, hinter "Tüte" verbergen sich Informationen zur Langzeit-Kampagne "Nein zu Gewalt gegen Frauen", die 2001 mit dem Slogan "Gewalt kommt nicht in die Tüte" an die Öffentlichkeit ging, "Perlen und Putzfrauen" führen zur Situation von Dienstmägden in der Großstadt um 1870. Immer wieder tritt unweigerlich hervor, dass für Frauen in der Geschichte nur der Hintereingang vorgesehen war. Wörtlich trifft das auf die Physikerin Lise Meitner zu, die neben Otto Hahn maßgeblich an der Erforschung der Kernspaltung beteiligt war. Bis zum Jahr 1909 durfte sie die Arbeitsräume der Berliner Universität in der Hessischen Straße jedoch nur durch die Hintertür betreten, da Frauen in Preußen das Studium zuvor untersagt gewesen war. Bei der Verleihung des Nobelpreises an Otto Hahn blieb Meitners Arbeit ungewürdigt.
Wer würde die Überschrift "Mütter" schon mit der Entstehung des Grundgesetzes in Verbindung bringen? In "Spreeperlen" wird durch diese völlig ungewohnte Verknüpfung subtil und gleichzeitig eklatant auf den historischen Missstand der politischen Benachteiligung von Frauen hingewiesen – der eben nur Väter des Grundgesetzes zuließ. Initiiert von der Sozialdemokratin Elisabeth Selbert konnte dem durch eine großangelegte Frauen-Protestaktion auf juristischer Ebene Einhalt geboten und erreicht werden, dass der Parlamentarische Rat die Gleichberechtigung von Männern und Frauen im Januar 1949 nachträglich in die Verfassung aufnahm. Und zu den Vätern gesellten sich die Mütter des Grundgesetzes, heißt es im Buch.
"Spreeperlen" macht publizistisch zum Programm, was die Begleitbilder zu jeder Hintergrundgeschichte noch visuell untermauern: Hinter unauffälligen oder vergessenen (W)Orten scheinen oft bedeutende und dramatische oder einfach kuriose Ereignisse auf. Das Buch entlockt zahlreichen Berliner Schauplätzen ihr unvermutetes Geheimnis und legt für die LeserInnen Fährten zur eigenen Erkundung: Verströmt die Rosenstraße noch etwas vom Geist der todesmutigen Frauen, die dort im Jahr 1943 die Freilassung ihrer inhaftierten jüdischen Männer einforderten und erwirkten?
Unter den Spreeperlen fündig zu werden hat auch große Chancen, wer auf der Suche nach bestimmten Namen oder Begriffen ist, die zum Teil untrennbar mit Berlin verbunden sind. Ob Marlene Dietrich oder Hanna Schygulla, Paula Modersohn-Becker ("Malweiber"), Alice Salomon, Felice Schragenheim oder Käthe Kollwitz, Tom Tykwer oder Rainer Werner Fassbinder, "Lola" oder Rosa Luxemburg – das Namens- und Stichwortregister ermöglicht ein zielstrebiges Aufspüren, trotz der betont kryptischen Überschriften.
Eigene Nachforschungen werden auf jeder Doppelseite nicht nur durch eine relevante Adresse und einen Stadtplanausschnitt unterstützt, sondern auch durch Quellenangaben für weiterführendes und vertiefendes Wissen bestärkt. Dem Buch gelingt es jedoch schon ganz für sich genommen mittels eigentümlicher und origineller Herangehensweise Querdenken, Querlesen und Neugier hervorzurufen. Angestoßen von der Sicht der Frauen verdeutlicht "Spreeperlen", wie sehr es sich lohnt, sowohl um die Ecke zu denken als auch zu schauen, weil sich dort, vielleicht nur einen Steinwurf entfernt, unbekannte Perspektiven darbieten, die den Blickwinkel verschieben, bereichern und erneuern können.
AVIVA-Tipp: "Spreeperlen. Berlin – Stadt der Frauen" ist eine gelungene und liebevoll gestaltete Hommage an Berlin, seine Frauen und ihre Geschichte(n) im kleinformatigen Rahmen, die sich besonders auch als Geschenkidee empfiehlt und für nur 5,00 Euro zu haben ist.
Spreeperlen. Berlin – Stadt der Frauen
Konzeption und Endlektorat: Dr. Gabriele Kämper
Redaktionsteam: Sylvia Edler, Heike Gerstenberger, Brigitte Heinrich, Brigitte Kowas, Christine Rabe, Regina Schmidt
Herausgeberin: Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen Berlin
Erschienen im Mai 2010
Hardcover, 239 Seiten
ISBN: 978-3-00-031171-0
5,00 Euro
Weitere Informationen finden Sie unter:
Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen Berlin
www.berlin.de/sen/wtf/
Bestellung:
Katrin Strauch, katrin.strauch@senwtf.berlin.de
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