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Beitrag vom 28.05.2010
Michel Bergmann - Die Teilacher
Adriana Stern
Auf der Leipziger Buchmesse wurden sie gefeiert - die Neuerscheinungen des Literatur-Frühjahrs. Und der erste Roman von Michel Bergmann hat es auf Anhieb auf Platz Zwei der mitreißendsten Romane...
... im Frühjahr 2010 geschafft!
"Der Teilacher, als Vertreter des Einzelhandels, ist das kleinste spaltbare Teilchen, das Atom der Kaufmannswelt. Was den Teilacher vom herkömmlichen Handlungsreisenden unterscheidet: Der Teilacher ist Jude. Oder er gibt sich als solcher aus!"
Michel Bergmann erzählt eine für den deutschen Buchmarkt (noch) höchst ungewöhnliche Geschichte über die Rückkehr einiger Juden, die es wagten, sich nach 1945 wieder in Deutschland niederzulassen.
Das Leben und Überleben von Juden, die sich eine Zukunft ausgerechnet im Land der TäterInnen aufbauten, ist bis heute äußerst selten Thema in den Romanen deutscher AutorInnen und mit solcher Bravour, wie Michel Bergmann es im vorliegenden Roman aufgreift, noch nie!
Frankfurt im Januar 1972. David Bermann, der Einstein unter den Teilachern ist gerade gestorben und sein Neffe Alfred macht sich auf die Suche nach seiner Geschichte.
Beinahe lakonisch lassen die Teilacher den Neffen Alfred an ihren eigenen Lebenserinnerungen und dem Leben des gerade Verstorbenen teilnehmen. Alfred erinnert sich zeitgleich an die unzähligen Begegnungen mit seinem Onkel, den er geliebt hat wie einen Vater.
"Egal, was dir jemand erzählt, begann David, die jüdische Welt des galizischen Schtetl wurde schon während des ersten Weltkrieges zerstört. Wer weiß das heute, dass der erste Weltkrieg für Millionen Menschen in Ostpolen, in Ruthenien, der Ukraine, der Bukowina erst nach dem Ende richtig losging. Ununterbrochen haben sie das Land überrannt, bis 1922 hat das gedauert, weiß ich, Polen, Ukrainer, Russen, Weiße, Rote, Freikorps, Kosaken, Zaristen, Republikaner. Und natürlich haben es alle gut gemeint! Man hat die Leute getötet, um sie vor Schlimmerem zu bewahren."
David, der in Frankreich den Nazis nur knapp entkam, ging in den Widerstand und kämpfte in einer jüdischen Brigade gegen die Nazis. Nach dem Krieg lebte er wieder in Paris. Aber die Stadt war ihm fremd geworden und er war völlig allein, seine Familie wurde in Majdanek ermordet. Eigentlich wollte er 1946 nur ein paar Geschäftsbeziehungen für einen Freund in Frankfurt knüpfen... Doch dann ist er geblieben.
Wie einige seiner Freunde, die er in Frankfurt wiedertraf oder neu kennenlernte.
Darunter Max Holzmann, der während der Shoah drei Mal nur knapp dem Tod entging und ein weiteres Mal nur knapp den Pogromen gegen Juden in Polen nach dem Krieg.
David Bermann, "ein gnadenloser Optimist in diesen schlechten Zeiten" gelingt es, Max Holzmann dafür zu begeistern, ein Unternehmen aufzubauen. Mitarbeiter werden sich leicht finden lassen, auch davon ist David Bermann überzeugt. "Unterschätzen Sie nicht die Flüsterpropaganda. Jeder kennt einen, der einen kennt!"
Es dauert nicht lange, bis David Bermann, Emil Verständig, Moische Krautberg und Jossel Fajnbrot als Teilacher für Max Holzmann ins Geschäft einsteigen, wie etwa ein Dutzend weitere Teilacher, die nun für Max Holzmann arbeiten.
Sie alle lassen Alfred an ihren tiefsten Gedanken, Gefühlen, Zweifeln und Hoffnungen teilhaben. Täglich sitzen sie nach der Arbeit zusammen und tauschen sich aus. Mit ihrem ganz eigenen, typisch jüdischen Humor und den vielen jiddischen Redewendungen, mit denen sie sich gegenseitig ein Zuhause geben.
Doch nicht alle können die grausame Vergangenheit überwinden und einen Halt im Leben nach dem Grauen finden. Krautberg erhängt sich. "Treblinka. Er ist nie darüber hinweggekommen."
AVIVA-Tipp: Danke, Michel Bergmann, für dieses wundervolle Buch voll intelligenten Humors und scharfsinniger Beobachtung! Dieser Roman ist traurig, lustig, melancholisch, kämpferisch, klug, ernsthaft, ironisch, alles zugleich. Er stimmt nachdenklich und lässt die Leserln schaudern, lächeln, grübeln und mit Sicherheit nicht kalt. Höchste Punktzahl für ein zugleich mutiges und notwendiges Buch!
Zum Autor: Michel Bergmann wird 1945 als Kind jüdischer Eltern in einem Internierungslager in der Schweiz geboren. Nach einigen Jahren in Paris ziehen die Eltern nach Frankfurt am Main. Nach seiner Ausbildung bei der Frankfurter Rundschau wird er freier Journalist. Er entdeckt seine Liebe zum Film und arbeitet u.a. als Autor, Regisseur und Produzent. Seit über 15 Jahren schreibt er Drehbücher für Film und Fernsehen. "Die Teilacher" ist sein erster Roman.
Michel Bergmann
Die Teilacher
Arche Verlag, erschienen 19.02.2010
Hardcover, 288 Seiten
ISBN: 978-3716026281
19,90 Euro
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