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Beitrag vom 18.05.2010
Hanna Lemke – Gesichertes. Stories
Clarissa Lempp
In den Stories der Debütantin Hanna Lemke stolpern deutsche Groß- und
KleinstädterInnen durch ihre späten Twen-Jahre. Mit lakonischer Sprachkraft treibt sie durch Partys, Clubs und WG-Küchen, auf...
... einer empfindsamen Suche nach dem Ungewissen.
Lemkes Universum der Verunsicherten beginnt mit einer Erzählung aus einem Film. Ein Mann, der allein lebt, weiß, dass niemand auf ihn wartet und springt von einer Brüstung. Das erzählt Holm, Besitzer eines Ladencafés ohne Gäste, einer Ich-Erzählerin, die sich metamorphosierend durch die siebzehn folgenden Stories bewegt. Dieses Ich ist immer ein distanziertes zu den anderen Figuren. Eines, das Einsicht hat, ohne Wertung, ohne Rat zu geben, ohne sich selbst zu positionieren.
"Gesichert" ist in den Stories nur das Existenzielle. Das elterliche "Starthilfe"-Kapital, das an die jungen Menschen ausgezahlt wird, die sich rundum Universitäten und Kulturjobs oder im Nichtstun verbummeln. Ungesichert sind die Figuren, die von einer Wohnung in die nächste ziehen, von einer Stadt in die andere, von Beziehung zu Beziehung, von Job zu Job und trotzdem nie ankommen. Platzlos sind sie, oder platzverwiesen? Sie wissen es nicht und müssen es auch nicht wissen wollen, solange ein Mittelschichtwohlstandsnetz den freien Fall dämpft und den Herumgeisternden zumindest den täglichen Wein und Clubbesuch auftischt. So denken Lemkes ProtagonistInnen freilich gar nicht und leben trotzdem so. Ruhen sich in WG-Gästezimmern aus, lassen sich von Fremden an der Hand nach Hause führen oder verbringen die leeren Zeiten in Bars.
Im Interview mit dem Berliner "Radio Eins" erzählte die Autorin, dass sie lange an diesen Stories feilte. Reduktion, weglassen ohne den LeserInnen die Verständnisgrundlage zu entziehen, ist Hanna Lemkes Ansatz. Und der gelingt. Die Leerstellen im Erleben der ProtagonistInnen führen zu den Momenten, in denen sie sich fragen müssen: "Was tue ich hier?", wobei das hier ein Augenblick, ein Ort oder gar das ganze Sein anzweifelt. Sie befinden sich im freien Fall, träge, satt und auf der Selbstflucht. Sie sind verunsichert durch die Beziehungen, die sie führen, durch die Begegnungen mit Anderen, die unvermeidbar sind. Eckdaten werden ausgetauscht, Nummern, Namen, Floskeln weitergegeben. "Was machst du?" (...) auf die Frage eines Kindes, auf der Suche nach einem anderen, das sich weniger langweilt als es selbst", heißt es in der letzten Story "Kulissen. Statisten". Die Fremden spiegeln die eigene Entfremdung. Ob Margot, die Ex-Freundin die mit perfiden Anspielungen eine gähnende Beziehung umstößt oder Boris, der die eingespielte Clique, die nur noch durch gut organisierte Dinnertreffen aufrecht zu erhalten ist, durcheinander bringt, mit seinen genauen Beobachtungen, seiner Entblößung des Abgestumpften. Selbst nächste Verwandte, wie der eigene Bruder, werden zum Unbekannten, durch die Distanz zum Gestern, über den Flur, zum eigenen Ich.
Zur Autorin: Hanna Lemke, 1981 in Wuppertal geboren, studierte am Leipziger Literaturinstitut und lebt heute in Berlin. Sie schreibt über einen Ausschnitt ihrer Generation. Den Teil, der nach Abitur, Studium und mit einem Umfeld an Freunden, Familie und (potentiellen) LiebhaberInnen eigentlich zufrieden sein müsste. Sie sind es aber nicht. Sie suchen nach dem Vertrauten im Unbekannten, nach der Fremde im Selbst und lassen sich fallen in einem Leben, das alles und nichts zu bieten scheint. Ein beeindruckendes Debüt, vor allem weil die Autorin sich mit ihrer konzentrierten Sprache eine eigene Stimme verschafft.
Hanna Lemke
Gesichertes – Stories
Verlag Antje Kunstmann, erschienen März 2010
Gebunden mit Schutzumschlag, 192 Seiten
ISBN: 978-3-88897-642-1
17,90 Euro
Diese Rezension wurde AVIVA-Berlin von der Autorin freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Der Text erschien zuerst auf: www.sf-magazin.de.