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Beitrag vom 30.03.2010
Ulrike Draesner - Vorliebe
Sabine Grunwald
Die Astrophysikerin Harriet möchte eines Tages ins All und verliert sich beinahe in einer alten Liebe zu einem Freund aus ihrer Jugendzeit, der durch einen Unfall wieder in ihr Leben tritt.
Der Titel ihres letzten Romans "Spiele", 2005 erschienen, ist in Ulrike Draesners aktuellem Werk Programm. Hier wird nicht nur mit Gefühlen sondern auch virtuos mit der Sprache gespielt. Draesner ist eine Erzählkünstlerin, der man die Lyrikerin anmerkt.
Vorliebe hat unterschiedliche Bedeutungen wie wir im Laufe der Lektüre erfahren werden. Die Handlung selbst, eine Liebesgeschichte ist schnell erzählt:
Die Astrophysikerin Harriett mit indischem Erbe, lebt mit dem Engländer Ash und dessen Sohn in einer glücklichen Beziehung. Eines Tages hat Ash einen Unfall, er fährt eine Frau auf ihrem Fahrrad an, deren Mann Peter sich als die Jugendliebe Harrietts herausstellt.
Der um Jahre ältere Peter, der die Jugendliche schmerzhaft enttäuschte und eine Andere heiratete, wird die Liaison mit seinem Leben bezahlen.
Ulrike Draesners Text ist nicht ganz einfach zu lesen, dazu ist ihre Sprache zu komplex, voller Andeutungen, Bezüge und Querverweise. Doch die Mühe, dabei zu bleiben, lohnt sich. Die Geschichte ist spannend erzählt, und entwickelt sich Schritt für Schritt. Die Sprache wechselt zwischen poetischen und realistischen Beschreibungen. Was anfangs ein wenig befremdlich wirkt, macht nach ein paar Seiten Spaß und ruft ganz unterschiedliche Empfindungen hervor. Die Erzählerin bedient in ihrem vielschichtigen Roman eine große Bandbreite an Emotionen. Ihr Text berührt, macht traurig, nachdenklich und bringt einen zum Lachen.
Weiß, die Lichtmischung aller Farben auf einer Wand, weiß, der Sturz in den Schnee auf der Nordseite des Kailash, eine Frühlingswiese weiß gesprenkelt, das Weiß eines menschlichen Auges, der hineingemalte verborgene Glanz, das Weiß der Albedo, der Erde Widerschein im All. Weiß die Sekunden in der Parabel, Flug um Flug, Sturz um Sturz, das Weiß der Rotation, als noch einmal etwas aus ihrem Schädel dringt, obwohl ihr Gehirn sich bereits außerhalb der Knochen befindet – von neuem wölbt es sich aus, presst durch kleinste Ritzen nach unten und außen, Beschleunigung auf höchster Stufe, weiß, die Erinnerung an Peter, der Widerstrahl eines Horizonts, ein Lachen inmitten des Strudels jetzt, noch tieferes, sattes, saugendes Weiß.
AVIVA-Tipp: Vorliebe - ein großartiges Buch einer virtuosen Erzählerin, der es gelingt, mit der Sprache zu experimentieren, ohne dass die Verständlichkeit auf der Strecke bleibt.
Eine Liebesgeschichte, die Herz und Hirn herausfordert.
Zur Autorin: Ulrike Draesner wurde am 20. Januar 1962 in München geboren. 1981 begann sie ein Jurastudium, in der Folge eines Stipendienjahres in Oxford wechselte sie zu Anglistik, Germanistik und Philosophie. Nach weiteren Auslandsaufenthalten schloss Draesner das Studium 1989 ab, 1992 promovierte sie mit einer Arbeit zu Wolframs von Eschenbach Parzival. Um sich ganz dem Schreiben widmen zu können, kündigte sie ihre Universitätsstelle. 1995 erschien ihr erstes Buch, der Gedichtband gedächtnisschleifen. 1996 zog Draesner nach Berlin, wo sie heute als Dichterin, Prosaautorin und Essayistin lebt.
Sie übersetzt aus dem Englischen, gibt Workshops, Seminare und Poetikvorlesungen. Ihr Werk wurde mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet. Mit klarem Blick untersucht es heutige Lebens- und Arbeitverhältnisse. Die Texte, vielschichtig verwoben, nehmen sowohl die geschichtlichen Dimensionen Deutschlands als auch mediale und biotechnische Entwicklungen in den Blick. (Verlagsinformation)
Weitere Infos und Kontakt unter: www.draesner.de
Ulrike Draesner
Vorliebe
Luchterhand Verlag, erschienen Januar 2010
Gebunden, 256 Seiten
978-3-630-87294-0
Euro 19,95
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