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Beitrag vom 16.03.2010
Leena Letholainen - Ich war nie bei dir
Adriana Stern
Finnlands erfolgreichste Krimiautorin verarbeitet in ihrem neuen Buch eine wahre Begebenheit zwischen den Eheleuten Jaana und Riku, die die beiden ProtagonistInnen entscheidend verändert.
... In dieser Ehe spielen jahrelange gut gehütete Geheimnisse, Unaufrichtigkeit und fehlende Kommunikation eine entscheidende Rolle.
Und doch hat niemand wirklich ernsthaft damit gerechnet, dass Riku eines Tages spurlos verschwinden könnte. War es Selbstmord? Mord? Sind die Täter bei einer militanten Tierschutzvereinigung zu finden? Hatte Riku vielleicht andere Feinde, die ihm nach dem Leben trachteten? Ist Riku überhaupt tot?
Diese Fragen stellt die Autorin bereits ganz zu Beginn des Romans. Doch bevor es zu der Szene kommt, in der Riku tatsächlich ohne Spuren zu hinterlassen für immer verschwindet, vergehen 188 Seiten, die angefüllt sind mit Tagebucheintragungen vor allem von Jaana, die als Lehrerin arbeitet und die, seit sie mit Recht annehmen kann, dass ihr Ehemann heimlich ihr Tagebuch liest, damit beginnt, ein doppeltes Tagebuch zu führen, welches die Autorin der Leserin in allen Einzelheiten präsentiert.
Aus ihrem Tagebuch erfahren wir, dass Riku sich den Ärger der Tierschutzvereinigung zugezogen hat, weil er für seinen Arbeitgeber Tierversuche für die Entwicklung eines Antidepressivums durchgeführt hat. Vor allem in Brasilien scheint die Pharmaindustrie eine ziemlich dubiose Richtung einzuschlagen. Man macht sich nicht die Mühe, Neben- und Wechselwirkungen zu testen, und bringt vollkommen unethisch produzierte Medikamente auf den Markt erzählt er Jana, um seine Arbeit zu rechtfertigen. Denn in Finnland sind die Tierversuche gerade dazu da, solcherlei Medikamentenherstellung zu verhindern.
Wir erfahren im Folgenden, wie sich Jaana und Riku kennengelernt haben, von dem Vertrauen, das Jaana langsam zu Riku fasst, ihrer Heirat und schließlich dem Tatbestand, dass die beiden Kinder Jaana mit jedem Jahr wichtiger zu sein scheinen als ihre Ehe mit Riku.
"Ich habe doch gar keine Geheimnisse. Mein Leben ist transparent. Oder besteht das wahre Geheimnis in der Tatsache, dass ich Rikus Abwesenheit oft als Erleichterung empfinde, mich freier fühle, wenn ich mit den Kindern allein bin?" Darüber aber spricht sie nicht mit Riku und auch er sagt Jaana nicht, dass er sich zunehmend von Jaana eingeengt, unverstanden, ja geradezu bedrängt fühlt.
Der Spannungsbogen in diesem Ehedrama wird dadurch aufrechterhalten, dass das Verschwinden von Riku, lange bevor es tatsächlich beschrieben wird, von der Autorin wiederholt thematisiert und mit Fragen nach den Ursachen versehen wird, um dann aber zunächst einmal einen erneuten Abschnitt im Leben der beiden Eheleute zu skizzieren.
Auf Seite 188 ist es dann soweit. Riku verschwindet und nun werden die vorher nur angedeuteten Gründe endlich offen ausgesprochen. Seine Leiche wird nicht gefunden. Ist Riku ertrunken? Wurde er entführt? Was hat die Tierschutzvereinigung damit zu tun?
Doch diesen Fragen spürt die Autorin auch jetzt nicht nach, denn nun geht es darum, welche Rolle sie selbst, die Autorin, eigentlich in diesem ganzen Ehedrama spielt.
Die Auflösung um das rätselhafte Verschwinden von Riku ist einfach, banal und wenig überraschend. Von der Spannung, die die Autorin seit den ersten Seiten aufgebaut hat, bleibt nichts übrig.
AVIVA-Fazit: Das Buch, dass die Autorin hier vorlegt, ist kein Thriller und auch kein Drama, wie der Klappentext nahelegt, sondern die ganz gewöhnliche Beschreibung einer Ehe, in der sich die PartnerInnen im Laufe der Jahre auseinandergelebt haben. Die Geschichte ist mit dem Stilmittel gleichbleibender Monotonie erzählt, die Autorin lässt Höhen und Tiefen und Spannungsmomente aus, verzichtet auf überraschende Wendungen und einen vorwärtsstrebenden Plot. Dadurch entsteht beim Lesen das Gefühl, einen endlos, grauen Novembermonat vor sich zu haben.
Zur Autorin: Leena Lehtolainen, geboren 1964 in Vesanto, veröffentlichte bereits mit 12 Jahren ihr erstes Buch. Den Durchbruch als Krimiautorin schaffte sie 1993 mit "Alle singen im Chor", worin Kommissarin Maria Kallio das Licht der Welt erblickte. Sie erhielt 1997 den finnischen Krimipreis Vuoden johtolonka.
Leena Lehtolainen arbeitet auch als Literaturwissenschaftlerin und Kritikerin und lebt heute in Degerby, westlich von Helsinki. Weitere Veröffentlichungen von Leena Lehtolainen: Alle singen im Chor, Auf der falschen Spur, Auf die feine Art, Der Wind über den Klippen, Die Todesspirale, Du dachtest, du hättest vergessen, Im schwarzen See, Kupferglanz, Weiß wie die Unschuld, Wer sich nicht fügen will, Wie man sie zum Schweigen bringt.
Weitere Infos und Kontakt: www.leena-lehtolainen.de.
(Quelle: Verlag Kindler /Rowohlt)
Zur Übersetzerin: Gabriele Schrey-Vasara, geb. 1953. Studium der Geschichte, Romanistik und Finno-Ugristik in Göttingen und Helsinki. M.A. Bibliothekarin an der Deutschen Bibliothek in Helsinki, Redaktionsassistentin des Jahrbuchs für finnisch-deutsche Literaturbeziehungen und der Finnisch-Ugrischen Forschungen. Übersetzerin. (Quelle: Autorinnenhomepage Leena Letholainen)
Leena Letholainen
Ich war nie bei dir
Originaltitel: Luonas en ollutkaan 2007 erscheinen bei Tammi, Helsinki
Aus dem Finnischen von Gabriele Schrey-Vasara
Kindler Verlag, erschienen 16.01.2010
Gebundene Ausgabe: 350 Seiten
ISBN: 978-3463405629
19,95 Euro