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Beitrag vom 15.07.2008
Feindbild Judentum - Antisemitismus in Europa. Herausgegeben von Lars Rensmann und Julius Schoeps
Anna-Lena Berscheid
Dieser Sammelband mit Studien und Analysen aus vielen europäischen Ländern zeigt, dass aus der Geschichte nur wenig gelernt wurde: Antisemitismus ist auch 63 Jahre nach Kriegsende ein Thema.
Obwohl sich Ausdrucksformen und Begründungen geändert haben, schlägt europäischen JüdInnen aus allen Teilen der Gesellschaft noch immer Misstrauen, Ablehnung oder gar Hass entgegen.
Das Buch von Lars Rensmann und Julius H. Schoeps sorgt auf dem Gebiet der Antisemitismusforschung für ein Novum: Erstmals versammeln die Herausgeber wissenschaftliche Analysen zum ´alten´ und ´neuen´ Antisemitismus und zu aktuellen antidemokratischen Bedrohungen in West- und Osteuropa in einem Band. Mit dieser, in der Wissenschaft eigentlich unüblichen, Internationalisierung wollen sie einen "kritischen wissenschaftlichen Beitrag" zum öffentlichen Diskurs leisten. Der Studiensammelband enthält dabei sowohl quantitative Statistiken als auch qualitative Analysen, da ein einzelnes methodisches Verfahren den Autoren zufolge nicht ausreichte, um die Problematik vollständig zu erfassen.
Neue Formen des Antisemitismus
Die Studien lehren, dass Antisemitismus in heutiger Zeit auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck kommt: Zunächst gibt es den ´alten´ Antisemitismus aus Zeiten des Faschismus´, den vor allem VertreterInnen der extremen Rechten pflegen. Zu dieser Form des Antisemitismus gehören die Idee einer jüdischen Weltverschwörung und Vormachtsstellung. "Die Juden" werden dabei als homogene Gruppe gesehen. Wesentlich neuer hingegen ist ein Antisemitismus, der in Verbindung mit vermeintlicher Israelkritik, ausgelöst durch den Nahostkonflikt, einhergeht. Im Zuge dieser Kritik werden antisemitische Stereotype geäußert. So werden zum Beispiel Verteidigungsmaßnahmen des israelischen Staates mit dem Holocaust gleichgesetzt. Darüber hinaus gibt es vor allem in Ländern wie Frankreich, die eine hohe Migrationsrate aus arabischen und nordafrikanischen Staaten vorweisen, muslimische Bewegungen, die nicht selten stark antisemitisch geprägt sind.
Der Band teilt sich in vier große Teile: Antisemitismus in Westeuropa, im deutschsprachigen Raum, in Osteuropa und als abschließendes Kapitel Antisemitismus im europäischen Vergleich. Dabei werden für jedes Land jeweils die aktuellen Forschungsstände, Statistiken und Fallbeispiele vorgestellt. Bedauernswert ist jedoch, dass für Osteuropa nur zwei, für Westeuropa jedoch acht Studien vorliegen. Es wäre zu wünschen, bald für ganz Europa einen aktuellen Forschungsstand vorliegen zu haben.
AVIVA-Tipp: Es ist spannend und schockierend zugleich, mehr über nationale Eigenheiten bezüglich antisemitischer Einstellungen, Diskurse und Vorfälle zu erfahren. Zugleich ist es alarmierend, dass zumindest latente Formen des Antisemitismus´ in europäischen Gesellschaften immer noch weit verbreitet und gerade bei jungen Menschen auf dem Vormarsch sind. Obwohl es sich um wissenschaftliche Studien handelt, sind die Texte auch für LaiInnen gut nachvollziehbar.
Feindbild Judentum - Antisemitismus in Europa
Lars Rensmann / Julius H. Schoeps (Hg.)
Verlag für Berlin-Brandenburg, erschienen 2008
Hardcover, 512 Seiten
ISBN 978-3-86650-642-8
24,95 Euro
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