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Beitrag vom 28.01.2010
Christine Kisorsy - Kino-Magie. ZOO PALAST BERLIN
Claudia Amsler
Frau betritt den meist schon verdunkelten Raum, sucht sich einen passenden Platz aus und macht es sich gemütlich, vielleicht begleiten sie sogar eine Cola und eine Tüte Popcorn. Ihr Blick...
... fixiert die weiße Leinwand, denn dort wird sich das Spektakel abspielen. Sie - die Projektionswand - ist die Protagonistin, die Räumlichkeiten sind nicht von großem Belangen. Oder spielt das Nebensächliche doch eine wichtigere Rolle, als wir ihr zuschreiben würden?
Vielleicht könnte frau das Kino als die "Wiege des Kindes" betiteln. Das Kind ist der Akteur - ist das Augenmerk. Die Wiege als passives Objekt stellt sich zur Verfügung ohne "gefragt" zu werden, lässt das Kind ungestört in sich wiegeln und doch spielt sie eine wichtige Rolle, denn die Bauart - die Ausstattung - kitzelt vielleicht erst der Insassin ein glückliches und zufriedenes Lächeln heraus.
So verleiht die Kino-Architektur dem Film erst die vollendete "Magie", das gewisse Etwas. Doch im Gegensatz zu einer Kinderwiege, die unter Umständen über mehrere Generationen weitergegeben wird, sind die wenigsten Kinos langlebig. Beispielsweise sind von den 23 Kinos, die um den "Kudamm" in Berlin lagen, nur noch 8 in Betrieb. Ein einziges Kino scheint jedoch unzerstörbar zu sein: Der "ZOO PALAST" in Berlin. Unzerstörbar ist vielleicht dennoch das falsche Wort, eher ein Stehaufmännchen, denn während des Krieges wurde der PALAST total zerstört und 1957 als "Musterbeispiel modernster Kino-Architektur" wieder aufgebaut.
Die Fotografin Christine Kisorsy hat sich dem "ZOO PALAST", dem größten und bekanntesten Kino Deutschlands und jahrzehntelangem Spielort der Berlinale, mit ihren Fotos angenähert. Sie hat sich der Aufgabe gestellt, das Kino in seiner ganzen Mächtigkeit und architektonischen Pracht darzustellen. Beinahe dokumentarisch geht die Künstlerin vor, fotografiert noch so "unscheinbare" Dinge für die Besucherin.
Unschärfe und Schärfe...
Ein Bild, das in warme rotorange Töne getränkt ist, welches nur im vorderen Drittel scharf ist und im hinteren Teil in seinen Farbnuancen verschwimmt. Die Fotografie wirkt beinahe durch die Unschärfe wie ein impressionistisches Gemälde, das langsam die Form und Struktur einer Fotografie erhält. Schließlich liest frau unten links die kleine Notiz: "Bühnenbeleuchtung". Die Künstlerin schenkt dadurch einer unbeachteten "Kleinigkeit" Aufmerksamkeit und lässt es groß erscheinen.
So wirft Christine Kisorsys Perspektive Licht auf liebevolle Details im Kinosaal: Der giftgrüne Lederklappsitz für die oder den PlatzanweiserIn mit dem farblich abgestimmten Telefon, die Türgriffe, welche abstrakte Plastiken darstellen könnten wie auch der persischrote Vorhang, der einer leckeren Süßspeise ähnelt.
Dem Bildbuchband gelingt es insbesondere, die Größe des Doppelkinos zu illustrieren - die über 1500 freien Plätze der beiden Säle. Die Fotografien sprechen so auch die Anonymität im Kino an. Frau geht nicht ins Kino, um Kontakte zu schließen - sie teilt "nur" mit dem Film intime Momente - dies betrifft jedoch nicht nur sie, sondern auch die restlichen KinobesucherInnen. Die Anonymität wird so zu einer universellen Intimität.
Auf den Fotografien sind jedoch nie Menschen zu sehen (Ausnahme ist das Kinofoyer) - auch auf der Leinwand tummeln sich keine SchauspielerInnen. Es sind die mit Ahorn- und Nussbaum verkleideten Tresen, die geschwungene Treppe, die kubischen Keramikplättchen - die Linien und Striche - welche sprechen und ihre Geschichte, die Historie des ZOO PALASTS BERLIN erzählen.
AVIVA-Tipp: "Kino-Magie. ZOO PALAST BERLIN" liefert keine ästhetisch stilisierten Fotografien, die Architektur des Kinos kommt zum Vorschein, indem der Bildband "Menschliches" weg lässt und Strukturen hervorhebt. Nicht der Film, sondern das Kino selbst wird in diesem Bildband zum Erzähler.
Zur Fotografin: Christine Kisorsy ist in New York geboren, lebt in Berlin und arbeitet als Fotografin, Dokumentaristin, Journalistin und Kuratorin. Wie ein roter Faden zieht sich das Thema "Architektur als Gedächtnis der Stadt" durch ihre Fotodokumentationen, die zu viel beachteten Kunstprojekten wurden und in Museen und Galerien zu sehen waren. (Quelle: Verlagsinformationen)
Weitere Informationen und Kontakt unter: www.kisorsy-photo.de
Christine Kisorsy
Kino-Magie / Cinema Magic. ZOO PALAST Berlin
mit einem Vorwort von Dieter Kosslick
und einem Essay von Michael Althen
Deutsch/Englisch
Bertz + Fischer Verlag, erschienen Januar 2010
Gebunden, 72 Seiten mit 36 Farbfotos
ISBN-13: 978-3-86505-196-7
17,90 Euro