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Beitrag vom 27.01.2010
Joseph Roth in Berlin. Eine Lesebuch für Spaziergänger
Claire Horst
Einen Großteils seines Lebens als Journalist verbrachte Joseph Roth in Berlin, einer Stadt, die er eigentlich nicht leiden konnte. Trotzdem wurde Berlin zum Mittelpunkt vieler seiner Reportagen.
Der 1894 in Brody / Galizien geborene Schriftsteller und Literaturwissenschaftler hatte eine Auffassung vom Kulturjournalismus, die sich nicht immer mit der seiner Redaktionen und LeserInnen vertrug. Seiner Ansicht nach war es das Feuilleton, das über die eigentlich wichtigen Ereignisse, über den Kern einer Gesellschaft zu berichten hatte. Er wollte keine leichte, unterhaltsame Kost bieten, sondern verband Berichterstattung mit literarischem Anspruch.
Der Herausgeber des Joseph-Roth-Lesebuchs, Michael Bienert, arbeitet als Stadtführer bei StattReisen Berlin und hat schon mehrere literarische Reiseführer für Berlin geschrieben. Er hat die Texte von Joseph Roth durch Fotos und biografische Angaben zum Autor ergänzt. Dadurch ist das Lesebuch zu einem wunderbaren Begleiter durch die Straßen der Stadt geworden. Wer etwa heute durch das Scheunenviertel läuft, hat keine Vorstellung mehr davon, dass hier einst das Wohngebiet der "Ostjuden" war, der Flüchtlinge aus Russland und dem Baltikum, die sich hier in engen Quartieren niederließen. Dass das Viertel schon in den 20er Jahren in Glanz und Bedeutung den jüdischen Vierteln etwa in New York um einiges nachstand, beweisen die Texte von Roth.
Generell interessierte sich Roth, der als Korrespondent der renommierten Frankfurter Zeitung in Berlin arbeitete, mehr für das Leben der einfachen Menschen als für die Parlamentspolitik. Er besuchte Obdachlosenasyle und Zuhälterbars, sprach mit Prostituierten und Vertretern und berichtete über sie. Das Erstaunliche und zugleich Erschreckende an diesen Reportagen ist, dass die beschriebenen Schicksale heute noch sehr ähnlich stattfinden könnten. Die Reihen der Menschen vor den Suppenküchen sind heute noch ebenso angefüllt wie damals, mitten in der Wirtschaftskrise.
Die Zusammenstellung lässt sich jedoch nicht nur als "Zeit-Reiseführer" lesen, sondern auch als interessante Sammlung von Hintergrundinformationen zum Autor Josef Roth. Was er etwa über den Zionismus dachte und wie er zu der Technikbegeisterung seine Zeit stand, spielt auch in seinen Romanen eine große Rolle. Texte wie der Tagebucheintrag zur Bücherverbrennung auf dem Bebelplatz zeugen von seiner großen Erschütterung und lesen sich als eindrucksvolles Zeitdokument.
AVIVA-Tipp: Obwohl Joseph Roth mit großem Ernst an die sozialen Probleme seiner Zeit herangeht, zeichnen sich seine Berichte und Reportagen durch Mitgefühl und viel Humor aus. Seine Beschreibungen der Mädchen von der Straße, der BesucherInnen der Nachtclubs und Kinos lesen sich als Liebeserklärung an die Menschen, die er porträtiert. Ein Buch, das die Lust weckt, Berlin und Roth (wieder) zu entdecken!
Michael Bienert (Hg.)
Joseph Roth in Berlin. Ein Lesebuch für Spaziergänger
Verlag Kiepenheuer & Witsch, erschienen Januar 2010
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