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Beitrag vom 22.01.2010
Riitta Päiväläinen - Imaginary Meetings
Claudia Amsler
Kleidungsstücke. Wir tragen sie, beschmutzen sie, werfen sie weg und gleichzeitig lieben wir sie, bauen eine innige "Beziehung" zu ihnen auf. Der rote Rock wird zum Glücksbringer und...
... die gestreifte Arbeitsbluse zum Hassstück. Diese aus Stoff genähten Exemplare erleben einiges und könnten, wenn sie ein Mundwerk hätten, dramatische Geschichten erzählen. Die finnische Künstlerin Riitta Päiväläinen verleiht ihnen eine Stimme.
Der Geruch von Mottenkugeln steigt frau in die Nase, das Licht flackert und ein Kleidungsstück liegt auf dem andern. Frau zieht dieses blaue Samtkleid aus dem Stoffberg heraus, zieht es an und es passt wie angegossen. Die Spitze des Berges ist erklommen, besser kann es nicht mehr kommen - ein Glücksfall par excellence.
Und dann stellt sich die existente Frage: Wem gehörte dieses Kleid? War die Besitzerin ebenso bezaubernd wie dieses Gewand? Saß es ihr genauso perfekt? Wer war sie?
Erfahren werden wir das wohl nie, nur das Kleidungsstück "weiss" es - behält es aber in seinen verwobenen Strukturen für sich. So sieht Riitta Päiväläinen, die Kleider als Symbol für die Historie dieses unbekannten Menschen, des Nobodys. Wie ein Fußabdruck ist es eine individuelle Spur - ein Print - des Lebens dieser Unbekannten.
Was macht die Künstlerin nun mit den ungeschriebenen Geschichten - mit den anonymen Gesichtern? Die Finnin sammelt die Überbleibsel, die Kleider von den Menschen, besucht Flohmärkte und Trödelläden und füllt ihre Schmuckschatulle so mit Geschichten von Namenlosen.
In ihrem Fotobildband "Imaginary Meetings" installiert sie die alten und abgewetzten Kleidungsstücke in den mythischen Landschaften von Finnland, England oder Japan. Sie sind die Bühne für die Actrice, die in diesem Falle aus einem Stück Stoff besteht, doch die teilweise sogar eingefrorenen Kleider wirken alles andere als statisch oder "tot". Es scheint so, als würden die ehemaligen BesitzerInnen präsent sein und doch ist das Faktum nicht abzustreiten, dass sie absent sind.
Die Fotografien sind abstrakt. So stehen beispielsweise auf einer schneebedeckten Wiese sieben "aufgestellte" Hemden, sie werden durch diese Inszenierung zu Skulpturen, die einen narrativen Charakter besitzen. Die Kleider bleiben jedoch nicht nur "eingefroren", blättert Frau einige Seiten weiter, entdeckt sie andere Darstellungen: Ein Sommerkleid, das sich über die Baumkrone schwingt, gelbe Pullover, die über dem Löwenzahn wie Insektenblütler kleben,...
Es ist eine stetige Bewegung, auch in den statischen Aufnahmen, vorhanden. Einige Bilder wirken beinahe gespenstisch, als würde der Geist der Trägerin um das Kleid herumschwirren - ihren Platz im Kleid wieder einnehmen. Und doch ist die Abstraktheit eingängig und die Bilder verschließen sich nicht vor der Betrachterin, sondern eröffnen ihr einen vollkommen neuen Blick auf sich und ihre Kleidung.
Die Landschaft bildet ebenso eine wichtige Komponente, widergespiegelt durch die aufblühende Natur und die vereiste Landschaft, bildet sie den Zyklus von Leben und Tod ab. Sie repräsentiert in einer "natürlicheren" Form die Kleidung und ist so nicht nur Hintergrund - Objekt, sondern agiert mit. Auch der Wind bläst hier und da, haucht der Fotografie und den Kleidern Leben und Dynamik ein. Diese Bewegung dringt förmlich aus dem Bildband hinaus und lässt die vorherrschende Meinung bezüglich Kleidung als "oberflächliches" Bedeckungsstück erschüttern.
AVIVA-Tipp: Frau trifft mit dem Bildband "Imaginary Meetings" nicht nur das Kleidungsstück auf eine neuartige Weise an, sondern auch die Fotografie. Riitta Päiväläinen gelingt es, die Grenzen zwischen Subjekt und Objekt verschwinden zu lassen. Das Objekt beginnt frei zu handeln und zu erzählen. Dies erlaubt einen großen Spielraum bezüglich Interpretationsansätze, frau kann sich in ein Bild vertiefen und sich Geschichten über die unbekannten BesitzerInnen frei ausmalen. Derweil sie sich vielleicht gerade selbst von einem ausrangierten Kleidungsstück entledigte...
Zur Künstlerin: Riitta Päiväläinen, geboren 1969 in Maaninka, lebt und arbeitet in Helsinki und hat dort 2002 den Master in Fotografie an der TaiK University of Art and Design absolviert. Seit 1999 stellt die Künstlerin ihre Solo- wie auch Gruppenprojekte in verschiedenen Galerien in ganz Europa aus, darunter auch in Deutschland.
Weitere Infos finden Sie unter: www.artbooksheidelberg.com
Riitta Päiväläinen
Imaginary Meetings
Englisch
Kehrer Verlag, erschienen 2009
Gebunden, 88 Seiten
ISBN-13: 978-3-86828-080-7
28,00 Euro