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Beitrag vom 16.08.2009
Emily Hahn - Shanghai Magie. Ãœbersetzt und herausgegeben von Dagmar Yu-Dembski
Sharon Adler
Die Wiederentdeckung eines literarischen Juwels. Emily Hahns Reportagen aus dem New Yorker erscheinen erstmals auf Deutsch. Ein Beitrag der edition ebersbach zur Buchmesse 2009, Gastland China
"Von allen Städten auf der Welt ist Shanghai die Stadt, die zu mir passt."
1935 gelangt die Amerikanerin Emily Hahn nach einer gescheiterten Beziehung zu einem verheirateten Drehbuchautor aus Hollywood auf Anraten ihrer älteren Schwester Helen nach Shanghai, um sich von ihrem Kummer abzulenken. Es ist Liebe auf den ersten Blick und aus den geplanten zwei Wochen werden schließlich sechs aufregende Jahre. Das "Paris des Ostens" mit seinen Tanzsalons, Clubs und Cafés zieht Emily in ihren Bann. Sie, die dem Ruf der Abenteurerin und Rebellin nur allzu gerecht wird, fühlt sich inspiriert durch die verschiedensten Kulturen dieser pulsierenden Metropole und durch die unterschiedlichsten Menschen, die in ihr leben: Eine bunte Mischung aus Bohemiens, seriösen und zweifelhaften Geschäftsleuten, Abenteurern, Reichen und Armen, Einheimischen und Zugereisten.
Die damals dreißigjährige Journalistin war bekannt für ihren eleganten und doch schnörkellosen Stil, ihre präzisen Detailbeschreibungen und Momentaufnahmen, den heiteren, oft ironischen Unterton und ihre Lebenslust, die in all ihren Texten sichtbar ist.
Sie, die nie explizit als Feministin bezeichnet werden wollte, lebte durch ihren unkonventionellen Lebensstil den Feminismus mehr, als ihn bewusst nach außen zu tragen.
Unter dem Titel "Shanghai Magie" wird nun erstmals eine Auswahl der Geschichten und Reportagen Emily Hahns aus Shanghai, die sie für den New Yorker verfasst hatte, in deutscher Sprache im Berliner Verlag edition ebersbach veröffentlicht.
Als Emily Hahn sich in Shanghai aufhielt, lebten Menschen aus Amerika, England, Frankreich, Deutschland und Russland in dieser weltoffenen kosmopolitischen Stadt. Freundschaften zwischen ChinesInnen und AusländerInnen jedoch waren eher die Ausnahme. Emily Hahn gelang es, einen Blick hinter die Kulissen des chinesischen Alltags zu werfen. Schon bald nach ihrer Ankunft war sie der strahlende Mittelpunkt des Shanghaier gesellschaftlichen Lebens, hatte Affären, amüsierte sich und schrieb.
In "The Big Smoke" etwa thematisiert sie den im freizügigen Shanghai weit verbreiteten Opiumgenuss, freimütig erzählt sie, wie auch sie der Droge verfällt:
"Eigentlich wollte ich schon immer Opium rauchen, doch ich will nicht behaupten, dass dies der Grund war, weshalb ich nach China ging. Meine Leidenschaft für Opium stammt aus der Zeit, als ich in meiner kindlichen Phantasiewelt alles Mögliche sein wollte – die größte Gespensterexpertin, die beste Eisläuferin der Welt oder Weltmeisterin im Löwenbändigen. Als ich nach China ging, war ich jedoch erwachsen und all diese Träume waren längst vergessen. (...). Wenn ich zufrieden durch Seitenstraßen und Gassen spazierte, ab und zu stehen blieb, um eine Rikscha oder einen Wagen vorbeirollen zu lassen, dann bewegte ich mich schnuppernd vorwärts, ohne zu ahnen, dass sich ganz in meiner Nähe jemand der allgemein verteufelten Droge hingab. Natürlich sah ich nie einen Übeltäter, denn selbst im freizügigen Shanghai war Opiumgenuss eigentlich illegal."
"Einmal Nanking und Retour", die Beschreibung einer Zugfahrt, stellt plastisch die Auswirkungen des Krieges, aber auch die Naivität dar, mit der Emily Hahn die Situation einschätzte:
"Wir hatten das Gefühl, irgendwohin fahren zu müssen, nachdem wir schon unsere langen Sommerferien nicht genutzt hatten. Wir überlegten, zum Putuo- oder zum Tianmu-Berg oder aber nach Nanking zu fahren. (...) Schließlich war ich es, die entschied, nach Nanking zu fahren. Dort gebe es jede Menge junger Männer, britische Offiziere, und Einladungen zu Dinner- und Tanzpartys, erklärte ich. Zweien dieser jungen Männer telegrafierten wir unsere Ankunft und verließen Shanghai am Donnerstagmorgen mit dem Acht-Uhr-Expresszug. Was wir natürlich nicht ahnen konnten: Es war der allerletzte Zug, der noch durchkam. Niemand riet uns nicht zu fahren."
AVIVA-Tipp: Emily Hahn hat einen Stil geprägt, der die Einfachheit der Sprache in den Adelsstand erhob. Sie war es, die Reportage gesellschaftsfähig machte und dadurch den Weg freigab für den intimen Blick hinter die Kulissen und in fremde Welten, indem sie virtuos Politisches mit Privatem mischte.
Zur Autorin: Emily Hahn (1905 – 1997), Tochter jüdischer Einwanderer aus Deutschland, wächst in St. Louis als zweitjüngste von sechs Kindern auf. Zunächst möchte sie Bildhauerin werden und nimmt ein Kunststudium auf. Als erste Frau überhaupt schließt sie, die zunächst am College abgelehnt wurde, ein Studium in Ingenieurwesen ab und arbeitet anschließend in einem Bergwerksunternehmen, später auch als Reiseführerin in New Mexiko. Mit 25 fährt sie als Mann verkleidet mit einer Freundin 2400 Meilen quer durch Amerika. Ihr Schwager leitet ihre Briefe an den New Yorker weiter, der sie veröffentlicht. Fortan lebt sie überwiegend vom Schreiben.
Nach ihrer Zeit in Shanghai arbeitet sie als Englischlehrerin in Hongkong. Sie heiratet nach Kriegsende Charles Boxer, einen Mitarbeiter des britischen Secret Service, mit dem sie zwei gemeinsame Töchter hat. In insgesamt 52 Büchern schreibt Emily Hahn über so unterschiedliche Themen wie Feminismus und chinesische Küche, über Diamanten und Afrika, über die Kommunikation zwischen Tieren bzw. die Kommunikation zwischen Mensch und Tier. 1941 erscheint das auch ins Deutsche übersetzte Buch Chinas drei große Schwestern. Die Schwestern Soong: Frau Chiang Kai-schek, Frau Sun Yat-sen, Frau Kung. Für den New Yorker arbeitet sie 68 Jahre lang als Journalistin.
Zur Übersetzerin und Herausgeberin: Dagmar Yu-Dembski wurde 1943 als Tochter einer Deutschen und eines Chinesen in Berlin geboren. Sie studierte Publizistik und Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin.
Aufgrund ihrer Familiengeschichte beschäftigt sie sich seit den 80er Jahren intensiv mit der Kultur und Geschichte Chinas. Sie veröffentlichte zahlreiche wissenschaftliche und kulturelle Beiträge zu deutsch-chinesischen Beziehungen, zur Situation der Auslandschinesen in Deutschland und zum Chinatourismus. Sie ist Herausgeberin der Zeitschrift Das neue China und verantwortet die Kulturprojekte am Konfuzius-Institut an der Freien Universität Berlin.
2007 publizierte sie den Band Chinesen in Berlin, der als Vorlage für die von ihr konzipierte Ausstellung am Museum Charlottenburg-Wilmersdorf diente.
(Quelle: Verlagsinformation)
Emily Hahn
Shanghai Magie
Reportagen aus dem New Yorker
Aus dem Amerikanischen von Dagmar Yu-Dembski
edition ebersbach, erschienen Juni 2009
ISBN 978-3-938740-89-7
168 Seiten, 17 Abbildungen, Geb. mit Schutzumschlag
Euro 19,80
www.edition-ebersbach.de