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Beitrag vom 22.07.2009
Alice Salomon - Lebenserinnerungen
Clarissa Lempp
In ihren autobiographischen Aufzeichnungen beschrieb Alice Salomon ihre Jugendjahre, ihre Berufung zur Sozialen Arbeit, die Arbeit für die internationale Frauenbewegung und die Jahre im Exil.
Alice Salomon, geboren am 19. April 1872 in Berlin, gestorben am 30. August 1948 in New York City, war eine der Gründerinnen professioneller Sozialer Arbeit in Deutschland. Aus der sozialen Hilfstätigkeit bürgerlicher Töchter machte sie einen der ersten Ausbildungsgänge für Frauen mit universitärem Niveau. Sie engagierte sich im internationalen Frauenbund für Rechte und Teilhabe der Frauen in der Gesellschaft. Noch nicht einmal 30 Jahre alt, übernahm sie bereits Sprecherrollen bei Kongressen zur Sozialreform. In ihren Lebenserinnerungen beschreibt sie ihren Werdegang anhand der deutschen Geschichte. Erst im Exil in den USA schloss sie die Aufzeichnungen ab und 16 Jahre nach ihrem Tod erschien die erste gekürzte Version in einem amerikanischen Verlag als Biographie. Das Original galt danach fast 50 Jahre als verschollen. 1983 wurde die vor allem im biographischen Teil stark gekürzte Version ins Deutsche übersetzt und unter dem Titel "Charakter ist Schicksal" veröffentlicht. Zeitgleich mit der Herausgabe dieses Buches tauchte das verschollene Originalmanuskript im Zentralinstitut für soziale Fragen in Berlin wieder auf. Für die vorliegenden "Lebenserinnerungen" wurde das Original ins Deutsche übersetzt und in den fehlenden Teilen mit Hilfe der redigierten Version vervollständigt.
Geboren in Berlin als Kind einer nichtreligiösen jüdischen Großfamilie, wächst Salomon bis zum Tod ihres Vaters behütet im bürgerlichen Milieu auf. In den ersten drei "strikt persönlichen" Kapiteln beschreibt sie Kindheit und Jugendjahre ausführlich und schließt im dritten Kapitel mit ihren ersten Tätigkeiten in den Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit sowie in der nationalen und internationalen Frauenbewegung. Sie beschreibt das Herauswachsen aus der für sie vorgesehenen Rolle als Gattin und Mutter durch ihre Arbeit und den Umstand, dass sie dadurch die Gelegenheit zu einer Heirat "verpasst" habe. Danach rücken die wechselnden politischen Verhältnisse im Deutschen Reich in den Vordergrund. Salomon war eine Patriotin mit internationaler Gesinnung. Im 1944 entstandenen Vorwort, das in der redigierten Fassung vollständig fehlte, schreibt sie, dass sich ihre Geschichte vor allem "mit den Keimen der furchtbaren mentalen und moralischen Krankheit befasse, welche die Deutschen seit 1933 befallen hat". Salomon, die 1914 zum christlichen Glauben konvertierte, wird 1937 aus Nazideutschland ausgewiesen und lebt bis zu ihrem Tod in den USA.
AVIVA-Tipp: Salomons Erinnerungen werden mit dieser vollständigen und sorgfältig gestalten Ausgabe angemessen gewürdigt. Neben dem Editorial der HerausgeberInnen enthält das Buch eine Zeittafel mit den wichtigsten biographischen Daten und zahlreiche, gut reproduzierte Abbildungen. Die persönlichen biographischen Erinnerungen ergänzen das bisher bekannte Bild der "Pionierin der Sozial Arbeit". Salomons klarer Sprachstil ist auch hier, wie in ihren fachlichen Texten, zeitlos. So ergibt das Buch einen gelungenen Einblick in das Leben Salomons und in die Entstehungszeit der beruflichen Sozialarbeit unter den sich verändernden politischen Verhältnissen des deutschen Reichs.
Alice Salomon
Lebenserinnerungen
Herausgegeben von der Alice Salomon – Fachhochschule Berlin
Ãœbersetzt und bearbeitet von Rolf Landwehr
Brandes und Apsel Verlag 2008
368 Seiten
ISBN: 978-3-86099-119-0
29,90 Euro
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