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Beitrag vom 10.06.2009
Esther Donat, Ulrike Froböse, Rebecca Pates - Nie wieder Sex. Geschlechterforschung am Ende des Geschlechts
Claire Horst
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Konstruktion von Geschlecht füllt Bände. Dass Geschlecht "gemacht" ist und nicht angeboren, wird spätestens seit Simone de Beauvoirs Standardwerk...
"Das andere Geschlecht" diskutiert.
"Man wird nicht als Frau geboren, man wird es", stellte sie darin bereits vor über 50 Jahren fest. Seit den Neunzigern ist eine gängige Annahme der Geschlechterforschung, dass sowohl die gesellschaftlichen Geschlechterrollen als auch das biologische Geschlecht konstruiert seien.
Wie wirkt sich diese Erkenntnis aber in der Praxis aus? Heißt "Nie wieder Sex", dass wir uns das gewünschte Geschlecht von nun an aussuchen können? Dass wir auf jegliche Zuordnung verzichten können? Hat sich die Kategorie "Geschlecht" damit erledigt? Eine Vortragsreihe an der Universität Leipzig im Wintersemester 2006 / 07 beschäftigte sich mit diesen Fragen, auf deren Basis nun ein Sammelband erschienen ist. Die sieben Texte setzen sich mit unterschiedlichen Aspekten des Themenfeldes "Sexualität und Gesellschaft" auseinander.
Rebecca Pates, die an der Universität Leipzig Politische Theorie unterrichtet, untersucht die Naturalisierung von Geschlechternormen, unter anderem im Vergleich von Deutschland und Albanien. Allein die Erkenntnis, dass Geschlecht konstruiert ist, führt noch nicht zur Auflösung von Konventionen, weist sie nach. Als Beispiel für die Wirkung unterschiedlicher Konventionen führt sie die von westlichen AnthropologInnen so genannten "albanischen Jungfrauen" an, die als Mädchen geboren werden und die Rolle eines Patriarchen in der Familie annehmen. Dem gegenüber stellt sie die deutsche Medienberichterstattung über die Schwangerschaft eines Transsexuellen, die als "monströs" empfunden wird. Sie zeigt auf, dass die Kriterien für die Zuordnung zu einem Geschlecht kulturell bedingt und somit nicht "natürlich", sondern "konventionell" sind.
Ertragreich ist der Bandes aufgrund der extrem unterschiedlichen Interesselage der Beitragenden. Einige AutorInnen beziehen sich auf die Auswirkungen des Gender-Diskurses auf die Gesetzgebung – Regina Frey, Politikwissenschaftlerin an der FU Berlin, setzt sich etwa mit den (Miss-)Erfolgen des Gender-Mainstreamings in der Bundesrepublik auseinander, Daniel Schmidt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Leipzig, untersucht "demografische Diskurse" und deren Interpretation in Bezug auf die Rolle der Frau. Andere interessieren sich für die kulturelle Ebene. Esther Donat, die derzeit zum Thema "Die Liebe zwischen Paar und Arbeit" promoviert, untersucht das Ideal des heterosexuellen Paares und den Zusammenhang zwischen der Konstruktion des Paares und von "Mann" und "Frau". Dazu bezieht sie sich unter anderem auf Fernsehserien und Beziehungsratgeber.
Deutlich wird der Zusammenhang zwischen der Konstruktion einer nationalen Einheit und eindeutig definierter Geschlechterrollen in zwei Texten, die sich mit Lesben in der DDR (Ulrike Froböse), und Frauen in der Ukraine (Susanna Karawanskij) beschäftigen. Froböse zieht neben wissenschaftlichen auch literarische Texte heran und bezieht Interviews ein, die sie im Rahmen ihrer Magisterarbeit mit lesbischen Frauen aus der DDR durchgeführt hat. Sie stellt fest, dass aufgrund des sozialistischen Ideals in der DDR ein Anspruch auf Integration aller bestand. Insofern seien Homosexuelle nicht als "anders" definiert worden – ein "Anderes" war nicht erwünscht: "[A]uch die diskursive Landschaft der DDR [war] abhängig von den Vorstellungen zweier Geschlechter und Geschlechtsidentitäten sowie einem homosexuellen Begehren dieser Geschlechter – aber sie war gleichzeitig in Abgrenzung zu diesen Vorstellungen gestaltet und stand im Dienste einer neuen sozialistischen Gesellschaft."
AVIVA-Tipp: Dass die Bedeutung der Kategorie "Geschlecht" sich keinesfalls erledigt hat, sollte spätestens mit der Lektüre dieses Sammelbandes deutlich geworden sein. Die Beiträge werfen ein Schlaglicht auf einzelne Aspekte der Geschlechterkonstruktion und regen zur weiteren Auseinandersetzung mit dem Thema an.
Zu den Herausgeberinnen:
Esther Donat ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Leipzig mit dem Forschungsschwerpunkt Institutionalisierung von Liebe.
Ulrike Froböse promoviert am Institut für Soziologie der TU-Darmstadt mit den Forschungsschwerpunkten Migration und Prostitution.
Dr. Rebecca Pates ist apl. Professor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Leipzig. Sie forscht und lehrt zu Fragen der politischen Anthropologie, der Staatstheorie und der Organisation von Gender.
`Nie wieder Sex`. Geschlechterforschung am Ende des Geschlechts
Hrsg.: Donat, Esther / Froböse, Ulrike / Pates, Rebecca
Mit Beiträgen von Rebecca Pates, Regina Frey, Esther Donat, Ulrike Froböse, Susanna Karawanskij, Anne Dölemeyer, Daniel Schmidt, Maximilian Schochow
VS Verlag, erschienen 2009
232 Seiten. Mit 8 Abbildungen und 1 Tabelle. Broschur.
ISBN: 978-3-531-16525-7
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