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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 31.05.2009


Benny Ziffer - Ziffer und die Seinen
Sharon Adler

Ein vermeintlich "ganz normales schwules Paar" stellt der Literaturchef bei Haaretz Benny Ziffer in den Mittelpunkt seines 1999 in Israel erschienen Romans, der im März 2009 im Männerschwarm Verlag




... in deutscher Sprache herausgegeben wurde.

Während Jo, die Hausfrau, das Heim sauber und adrett hält, die Blumen gießt, wäscht, kocht und stoisch die Launen seines Partners Ziffer erträgt, lebt dieser sein Diventum exzessiv aus, lässt sich bedienen und pinkelt unbeirrt neben die Toilette, denn der Künstler im Haus, der begnadete Schriftsteller ist er. Der es nicht ertragen kann, dass es neben ihm andere gibt, die kreativ und erfolgreich sind.

Äußerst plastisch zeichnet Benny Ziffer das Bild dieses Beziehungsalltags, der hauptsächlich darin besteht, dass sich das Paar abwechselnd streitet, anschweigt oder wieder versöhnt, und er skizziert auch die Spleens der übrigen Familie in allen Regenbogenfarben, allen voran Ziffers Mutter.
Wie fast alle jüdischen Mammes ist auch sie eine Übermutter, leicht hysterisch und immer überbesorgt.

Aus Tel Aviv, wo neugierige Nachbarn und ständig patrouillierende Polizeikontrollen an Schwulentreffs nerven, entflieht das Paar nach Berlin, wo es neben den vielen Schwulenbars besonders der Ort ist, an dem sich Heinrich von Kleist das Leben genommen hatte, der für sie zum Anziehungspunkt wird. An dieser Stelle können auch Christopher Isherwoods autobiographische Romane "Goodbye to Berlin" und "Mr Norris changes Trains" über sein Leben im Berlin der 1930er Jahre zitiert werden, an das der Roman von Benny Ziffer bewusst angelehnt ist. Begleitet wird das Paar von dem "Araberhund", , Churi, den sie in Tel Aviv aufgelesen haben. Über weite Strecken offen bleibt, ob es sich bei Churi um einen bezahlten Haussklaven oder einen wirklichen Hund handelt, fest steht nur, dass das schwule Paar ihn aussetzt, als er krank und ihnen lästig wird.

Abwechselnd erzählen Jo und Ziffer ihr Leben, verraten ihre geheimen Gedanken, verletzten Gefühle, die schließlich in abstruse Mordphantasien münden. Schicht um Schicht des Inneren seiner Figuren legt Ziffer erbarmungslos frei, Seite um Seite erlebt die Leserin, wie sich das Paar einander entfremdet, wobei der Schatten der Shoah allgegenwärtig über dem Geschehen liegt.
Das, was sich wie die Chronik einer angekündigten Trennung liest, ist jedoch weit mehr als nur die Darstellung einer (un)gewöhnlichen Liebesgeschichte. Virtuos flicht der Autor Biographisches aus dem Leben und Werk des Berliner Sexualforschers Magnus Hirschfeld ein und mischt dabei furchtlos historische Fakten und Fiktion in ein waghalsig konstruiertes Potpourri.
Indem Benny Ziffer diese frei konstruierten Analysen Hirschfelds in das Leben seiner Protagonisten integriert, erhalten auch die LeserInnen einen – vermeintlichen – Einblick in die Realitäten von Homosexuellen in Israel heute und Palästina damals.


Zum Autor: Benny Ziffer, geboren 1953 in Tel Aviv als Sohn vier Jahre zuvor aus der Türkei eingewanderter Eltern, ist seit 1987 Literaturchef bei Haaretz, einer der wichtigsten israelischen Tageszeitungen. Er studierte französische Literatur und politische Wissenschaft und hat seit den 1990er Jahren drei Romane veröffentlicht: "Der türkische Marsch" (1995), "Ziffer und die Seinen" (1999) und "Der Werdegang des Literaturredakteurs" (2005). "Ziffer und die Seinen" ist seine erste Übersetzung in die deutsche Sprache. Seine vielbeachteten Romane, die sich mit dem homosexuellen Leben und dem Alltag jüdisch-türkischer Einwanderer in Israel beschäftigen, werden in Israel als "bahnbrechende kontroverse Literatur" wahrgenommen. Daneben übersetzte er diverse Romane und Gedichte aus dem Französischen. Seit 2004 schreibt der Journalist, Schriftsteller und Übersetzer in Haaretz eine populäre kulturpolitische Kolumne über die Darstellung des Alltagslebens im israelischen Fernsehen.
Seit November 2005 gewann er weitere Popularität durch seinen Weblog "Lo BeBeit Sifrenu", wörtlich: "Nicht in unserer Schule". Benny Ziffer lebt in Ra´anana, Israel. (Quelle: Verlagsinfos)

AVIVA-Tipp: "Ziffer und die Seinen" will kein gefälliges Buch sein, im Gegenteil macht der Autor es seinen LeserInnen nicht leicht, Sympathien für seine komplizierten ProtagonistInnen und Handlungsstränge zu entwickeln. Eines aber ist Benny Ziffer in jedem Fall gelungen: Eine ungeschönte, herrlich ironische und literarisch herausragende Bestandsaufnahme der israelischen Gesellschaft, und gleichzeitig eine Liebeserklärung an all deren Widersprüche.

Benny Ziffer
Ziffer und die Seinen

Originaltitel: Tziffer U-Vnei Mino, Am Oved
Männerschwarm Verlag, erschienen März 2009
aus dem Hebräischen von Markus Lemke
Hardcover mit Schutzumschlag, 192 Seiten
Euro 18,00
ISBN: 978-3-939542-39-1
Auch als eBook lieferbar: epub-Format
Euro 16,00
ISBN: 978-3-939542-69-8



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Beitrag vom 31.05.2009

Sharon Adler