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Beitrag vom 11.02.2010
Doris Lerche - Zungenspitzen
Claudia Amsler
"Effizienz/ sagt der Lenz/ Du musst alle Damen/ rasch besamen/" ironisch - frech - wortmutig, wer keine Sympathisantin der klassischen Lyrik von Goethe, Schiller, Novalis und dergleichen ist,...
...wird bei Doris Lerche Freudensprünge machen. Vor nichts scheut sie zurück, insbesondere nicht vor dem Wort.
Schon auf dem Buchcover züngelt die sich räkelnde Schlange einem entgegen, beinahe könnte frau meinen, dass sie keck lächelt. Sie schlängelt sich durch die gesamten Gedichte, immer wieder spitzt sie zwischen zwei Zeilen die Zunge. Wie auch die Texte von Doris Lerche, kommt sie unerwartet aus dem Buch hervor und setzt genau dort an, wo wir uns befinden: in der Gegenwart mit unseren alltäglichen wie auch universellen Problemen.
Es ist nicht überraschend, dass die Sexualität, die Beziehung zwischen Mann und Frau und somit die Liebe heiß bedichtet wird, denn die Schlange gilt in der Traumdeutung als sexuelles Symbol schlechthin. Doch, wer Liebesschwärmereien erwartet, liegt völlig falsch: "Diese plötzlich geile Eile/ schafft nur öde Langeweile./ Und so fasst sie sich bewusst/ einfach selbst an ihre Brust/".
Die Autorin reimt und lässt die Wörter strömen. Wenn frau die Zeilen liest, wird sie von diesem Fluss, dem "Flow" mitgerissen. Nichts scheint konstruiert, sondern einfach aus leichter Feder herausgeschrieben. Die Buchstaben scheinen sich unabhängig zu machen und sich nach freiem Willen zu formen. So gibt es auch keine Spur von Konventionen: Doris Lerche schreibt, was sie denkt und fühlt. Und dadurch angelt sie sich die Leserin.
"Was will er erreichen/ mit der Knarre? Leichen-/ starre?/", die Satirikerin schreckt vor keinem Schauplatz zurück, so dringt sie etwa poetisch in die Misere einer Familie ein, in der ein Mann seine Frau umbringt. Doris Lerches Kunst steckt darin, dass sie das Schockierende auf lockere Art und Weise beschreibt. Ihre Gedichte, welche kleine Geschichten, Situationen erzählen, erinnern durch die formlose Struktur und mit dem Einschub von Anglizismen an "Slam Poetry". Sobald frau die zusätzliche CD in den Recorder einlegt, wird klar, warum es ein Muss ist, die Prosa von Doris Lerche live zu hören.
Die Texte erblühen erst richtig, wenn sie durch eine Stimme erklingen können. Dann entbrennen die Reime regelrecht. Während die Wörter noch in der Ohrmuschel nachhallen, beginnen sie sich mit neuen zu paaren. Die Lyrik erhält so Hände und Füße, die hier und da vor einer regelrechten Apokalypse stehen.
Die Schriftstellerin fordert den Untergang gerne heraus, sie schreibt mit düsterem Witz, der humoristisch und nicht anstößig ist. "Auf der Mauer/ auf der Lauer/ sitzt der Krieg/ und wartet auf Sieg./" oder "Maximales Blutbad/ zu minimalen Kosten/", die Verse sind deftig gewürzt und treffen den heutigen Zeitgeist haarscharf.
Die Gedichte weisen ein wechselndes Tempo auf, es scheint, als liebe es Doris Lerche, mit dem Rhythmus zu spielen. Generell ist die "Spielerei" ein zentrales Thema. So schiebt sie immer wieder das romantische Motiv der "Blauen Blume" in ihre Gedichte ein, welches im Kontrast zu den nicht wirklich romantisierenden Inhalten steht. Denn Doris Lerche zeigt mit ihrer Wortgewandtheit die Absurditäten und die Abstraktheit des Lebens, des Menschseins auf und frau wird klar, dass hier und da "Die Synapsen/ schnapsen/".
AVIVA-Tipp: Doris Lerches sarkastische, wortgewaltige Lyrik besitzt eindeutig Suchtpotenzial. Frau muss regelrecht eine Seite nach der andern lesen, darf kein noch so kleines Wort auslassen - wie die allgegenwärtige Schlange verschlingt die Leserin das ganze Werk auf einmal.
Zur Autorin: Doris Lerche bewegt sich zwischen den künstlerischen Genres: Sie schreibt Prosa, Lyrik und Satire, sie tritt mit ihren Texten auf die Bühne, sie zeichnet. Bekannt wurde Lerche 1980 durch ihr schwarz-humoriges Cartoonbuch "Du streichelst mich nie!", dem noch weitere folgten. Damit gehörte sie zu den ersten satirischen Zeichnerinnen der Bundesrepublik. Sie veröffentlichte zahlreiche Erzählbände und Romane, unter anderem "Wo ist Romeo?" und "21 Gründe, warum eine Frau mit einem Mann schläft.". Im Verlag Claudia Gehrke erschien 2008 "Damit ich dich besser küssen kann", eine Sammlung von Erzählungen. (Quelle: Veralgsinformation)
Mehr Infos finden Sie unter: www.dorislerche.de
Doris Lerche
Zungenspitzen
Gedichte, Zeichnungen und CD
Deutsch
konkursbuch Verlag, erschienen August 2009
Gebunden, 112 Seiten
ISBN-13: 978-3-88769-381-7
12,00 Euro