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Beitrag vom 13.03.2009
Andrea Karimé - Fatina. Die Anziehung
Claire Horst
Fatina, der Name, den gleich zwei der Hauptfiguren des neuen Romans von Andrea Karimé tragen, bedeutet auf Deutsch "Anziehung". Und anziehend ist Fatina, die junge Kunststudentin aus dem...
... Libanon, von der Mara-Marie zunächst eine Postkarte erhält.
Mara-Marie ist eine der beiden Ich-Erzählerinnen des Romans. Sie ist die Tochter einer Deutschen und eines Libanesen und lebt als Künstlerin in Köln. Von ihrem Vater, der im Libanon lebt, bekommt sie manchmal BesucherInnen geschickt – LibanesInnen, die Kontakte oder Hilfe in Deutschland suchen. Fatina ist die erste Frau darunter und die erste, mit der Mara-Marie etwas anfangen kann.
Mit dem Namen "Fatina" verbindet Mara-Marie eine wichtige Erinnerung. Ihre geliebte Großmutter hatte ihr als Kind das Märchen von Fatina und dem Sultan erzählt, eine Geschichte mit vielen Fortsetzungen. Leider war die Großmutter gestorben, bevor sie das Märchen beenden konnte. Von Fatina und dem Sultan berichtet auch Karimé in Fortsetzungen. Als Binnenerzählung durchzieht die Geschichte den Roman. Das Märchen setzt sich optisch von der weiteren Rahmenhandlung ab, denn es ist auf mehrfarbigem Papier gedruckt – ein liebevolles Extra in der Ausstattung des Buches.
Die "neue" Fatina tritt zu einem Zeitpunkt in Mara-Maries Leben, als diese schon mehr als genug zu tun hat. Ihre langjährige Beziehung zu Martha droht zu zerbrechen, und auch ihre Affäre mit Linda ist an einem Endpunkt angelangt. Wieder einmal steht sie vor der Entscheidung, in den Libanon zu fahren und ihre Familie zu besuchen, was sie schon seit 15 Jahren nicht mehr getan hat. Irgendetwas hat sie immer davon abgehalten. "Seit einigen Jahren hatte ich gepackt. Doch ich war nie geflogen. Weil eine Bombe fiel, weil ein Terrorist einen Selbstmordanschlag verübte, und in diesem Jahr die brennende Kirche."
Als sie endlich doch einen Flug gebucht hat, trifft eine Postkarte aus Berlin ein: "Ich bin Fatina El Raschida. Ich bin deine Kusine." Später gesteht Fatina ihre Lüge: Sie sind nicht verwandt. Stattdessen ist sie eine Schülerin von Mara-Maries Vater, in den sie sich verliebt hat. Diese Liebe ist einer der Gründe für ihre Reise nach Deutschland. Auch in Mara-Maries Leben spielt die Beziehung zu ihrem Vater eine große Rolle: Sie ist durch eine traumatische Erinnerung belastet. Erinnerungen, davon haben beide Frauen mehr als genug. Beide mussten sich mit schwierigen Familienkonstellationen auseinandersetzen, beide sind nun im Libanon und in Deutschland zu Hause.
Im Laufe des Romans entwickelt sich zwischen den beiden sehr unterschiedlichen Frauen eine Liebesgeschichte. Diese Liebe entwickelt sich langsam und wird in dem Märchen von Fatina und dem Sultan gespiegelt. Fatina, eine Köchin mit beinahe magischen Fähigkeiten, muss verschiedene Aufgaben lösen, bevor sie zur Frau des Sultans wird. Als zentrale Aufgabe soll sie das Geheimnis des Sultans herausfinden. Dieses Geheimnis müssen Fatina und Mara-Marie selbst entdecken. Die Großmutter hatte das Märchen ja nicht zu Ende erzählt.
Viele Fragen, die sich der Leserin im Laufe der Handlung stellen, beantworten beide Erzählstimmen im Wechsel. Der Konflikt, der das Verhältnis zwischen Tochter und Vater belastet, bleibt zunächst undurchsichtig. Mara-Maries Liebe zu Martha wird belastet von deren mysteriöser Krankheit. Auch die zwanzig Jahre jüngere Fatina hat einiges erlebt und kann sich erst allmählich von der Überwachung durch ihren autoritären Bruder befreien.
Thema des Romans sind jedoch nicht nur die persönlichen Familiengeschichten und das komplizierte Gefühlsleben der Figuren. In Aufruhr ist die gesamte Welt um sie herum. Zum einen brennt der Libanon – es ist das Jahr 2006 –, zum anderen wird ganz in der Nähe, in Potsdam, ein schwarzer Deutscher fast umgebracht. Die Liebesgeschichte steht immer im Zusammenhang zu diesen Geschehnissen.
Was den Roman besonders macht, ist die Erzählweise. Karimé wechselt zwischen poetischer Beschreibung und lakonischer Alltagssprache und vermeidet so Kitsch und Langeweile: "Doch in Beirut ist das Meer brav und sanft und blau, wie es sich gehört. Da drohen andere Gefahren. Autobomben zum Beispiel. [...] Doch ihr Herz klopft blau, wenn sie dort ist, an den Wassern ihrer Sehnsucht. Sie kannte Falafel schon vor dreißig Jahren."
Spannend wird der Roman auch durch die unterschiedlichen Perspektiven. Mara-Marie erzählt als Frau mittleren Alters, als eine in Deutschland sozialisierte Künstlerin, die weiß, was sie will und frei über ihr Leben bestimmt. Fatina ist Studentin, hat einige unglückliche Männerbeziehungen hinter sich und findet erst langsam heraus, wer sie ist. Die vorsichtige Liebe der beiden wird manchmal blumig-romantisch, manchmal sehr erotisch beschrieben. Auch in dem Märchen von Fatina und dem Sultan gelingt Karimé das Spiel mit den verschiedenen Stilen. Märchenhafte Motive – Kinder hören auf zu wachsen, Derwische bieten Wundermittel an – und eine verschlungene, romantische Sprache entführen in eine Traumwelt, aus der die Leserin dann wieder in die Realität des Libanonkriegs und der Familienkonflikte gerissen wird.
AVIVA-Tipp: Karimé erzählt eine spannende Liebesgeschichte zwischen den Zeiten und zwischen den Kulturen. Besonders schön ist das überraschende Ende des Märchens von Fatina und dem Sultan.
Zur Autorin: Andrea Karimé, geboren 1963 in Kassel, wuchs dort und in Tripoli auf, studierte Kunst- und Musikerziehung, war Grundschullehrerin. Sie machte eine Ausbildung zur Geschichtenerzählerin und ist seit 2007 freie Autorin. (Verlagsinformationen)
Weitere Infos und Kontakt unter: www.andreakarime.kulturserver-nrw.de
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin: Flüchtig bleiben von Corinna Waffender.
Andrea Karimé
Fatina – Die Anziehung
konkursbuch Verlag Claudia Gehrke, Herbst 2008
224 Seiten
ISBN 978-3-88769-371-8
9,90 Euro