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Beitrag vom 01.03.2009
Ivana Sajko - Rio Bar
Kristina Tencic
Eine Frau in ihrem Hochzeitskleid, der Mann, den sie liebt an ihrer Seite und – eine Bombe. Und noch eine. Alle Träume zerbrechen, denn der Mann zieht in den Jugoslawischen Krieg.
"Jeder hat seine eigene Geschichte, die mit den Worten ´Das erste Mal ist alles wie im Traum´ beginnt.
Wir haben uns nicht besonders gut zurechtgefunden. Wenn die erste Granate die Nacht zerreißt, glaubt der Mensch, dass er noch schläft"
Bereits in den ersten Sätzen reißt die Kroatin Ivana Sajko den/die LeserIn mit ihrer schonungslosen Direktheit mitten hinein in das unheilvolle Geschehen des Jugoslawischen Krieges. Es ist das Jahr 1995 und eine junge Frau möchte Hochzeit halten mit dem Einzigen, dem Auserwählten, dem Mann, den sie liebt. Bereits in das schöne weiße, aufwendig bestickte Brautkleid gehüllt kommt doch alles anders – die Bomben fliegen und der Bräutigam wird an die Front bestellt.
Zweite Szene, zehn Jahre später. Eine Frau sitzt in der Rio Bar und trinkt. Sie wird häufig dazu eingeladen, aber nicht, weil sie so viele Freunde hat, nein es ist wohl eher die Schadenfreude der Anderen, wenn sie sturzbetrunken von dem nächstbesten Mann nach Hause gebracht und benutzt wird, bevor sie den Alkohol der Nacht aus sich heraus würgt. Und man fragt sich, ob es denn ein Zufall ist, dass der Mann, der sie einerseits quält und mit dem sie sich dennoch immer wieder trifft mit S.M. abgekürzt wird.
Die Lächerlichkeit des Krieges, des "Spiels von Tom und Jerry", aber auch die Unabwendbarkeit der Kämpfe stellt Ivana Sajko kühl, aber dennoch mit ohrenbetäubenden, geschriebenen Schreien dar, so dass es verwunderlich scheint, welcher Witz wohl zwischen den Zeilen schwingt. Es ist jedoch mitnichten ein leichter Humor, über den man lachen könnte, es ist Humor, der im Halse stecken bleibt und seinen Platz schließlich zwischen den zusammengepressten Lippen und Zähnen findet.
Die Kroatin schaut mit ihrem Roman Rio Bar hinter die Kulissen der Nationalfeiertage, der Urlaubsstrände und des EU-Beitritts und entdeckt dadurch eine Welt voller rücksichtsloser TouristInnen, misstrauischer Einheimischer und heimatloser Flüchtlinge. Es ist eine Welt zwischen Urlaubsidyll und Mafiamorden, Immobilienaufkäufen durch AusländerInnen und trunksüchtiger Hoffnungslosigkeit, welche die preisgekrönte Dramatikerin Sajko durch ihre verlassene Braut nüchtern, und ohne Position zu beziehen, beschreibt. Denn im Grunde möchte sie wohl nur verhindern, dass die schöne Europa wieder in ihren tiefen Schlaf der Teilnahmslosigkeit versinkt und so etwas auf ihrem Boden noch einmal zulässt.
AVIVA-Tipp: Der "Roman in acht Monologen für acht Schauspielerinnen in weißen Hochzeitskleidern" macht deutlich, dass ein Krieg niemals mit der letzten Bombe aufhört, sondern dass ganz im Gegenteil der parteilose Krieg im Kopf und das aussichtslose Delirium erst mit dem Verhallen der letzten Explosion beginnt. Dass es trotz der Unabwendbarkeit der Kriege noch die Kunst und das Schöne geben kann, beweist Ivana Sajko mit ihrem Schrei gegen das Vergessen.
Zur Autorin: Ivana Sajko wurde 1975 in Zagreb geboren und ist Autorin, Dramatikerin und Regisseurin. Zahlreiche ihrer Stücke wurden bereits international aufgeführt und mit bedeutenden Preisen ausgezeichnet, wie etwa dem Preis für das Beste Prosawerk in Kroatien 2006 für "Rio Bar". Unter dem Titel "Die Bombenfrau" wird das Stück seit 2007 auf Theaterbühnen gezeigt.
Rio Bar
Ivana Sajko
Matthes und Seitz Verlag, März 2008
Gebunden, 176 Seiten
ISBN: 978-3-88221-715-5
17,80 Euro
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