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Beitrag vom 22.02.2009
Johanna Adorján - Eine exklusive Liebe
Sharon Adler
Die 1971 geborene Kulturjournalistin und Drehbuchautorin erzählt in ihrem Debutroman die Geschichte ihrer Großeltern, die als ungarische Juden den Holocaust überlebten, 1956 von Budapest ...
... in den Westen flohen und sich am 13. Oktober 1991, einem Sonntag, in Kopenhagen gemeinsam das Leben nahmen. Man fand sie Hand in Hand in ihrem Bett.
Die Autorin nimmt die Leserin mit auf eine Zeitreise, indem sie minutiös die letzten Tage und Stunden im Leben ihrer Großeltern und daneben das Leben und Sterben der ungarischen Juden unter der Nazidiktatur beschreibt.
"Davon sprechen wir nicht.", das war, wie in den meisten Familien von Überlebenden, ungeschriebenes Gesetz. 16 Jahre nach dem gemeinsamen Freitod hat sich Johanna Adorján über dieses Gebot hinweggesetzt.
Sie recherchierte, suchte Orte, alte FreundInnen und Bekannte der Verstorbenen auf, mehr noch: Sie rekonstruierte akribisch das gemeinsame Leben ihrer Großeltern Vera und István, die sich 1940 bei einem Hauskonzert des Pianisten Istvan Antal kennen gelernt haben und zeitlebens die Musik liebten.
Und doch fing ihr Leben erst nach 1945 wirklich an, nachdem István als ungarischer Jude das Konzentrationslager Mauthausen und den Todesmarsch überlebt hatte. 1952 wurde er als Chirurg im Koreakrieg eingesetzt und 1956, als der ungarische Aufstand niedergeschlagen wurde, flohen István und Vera mit ihren Kindern nach Dänemark, und aus Budapester Juden wurden assimilierte dänische Staatsbürger, die bald mit der Vergangenheit abgeschlossen hatten.
"Mit dem Auto hinzukommen, ist viel einfacher als zu Fuß", ist der einzige Satz, mit dem István je auf seine Zeit im Konzentrationslager anspielt, als er Mauthausen später noch einmal besuchte.
Vera und István: ein Paar, das auffiel. Sie siezten sich, sie waren Kettenraucher und immer elegant gekleidet. Vor allem Vera war als unberechenbar, egozentrisch und launenhaft bekannt. In ihren Nachforschungen fand Adorján jedoch noch andere Facetten der Großmutter und ohne voyeuristisch zu sezieren, dokumentierte die Autorin den Menschen hinter der glamourösen Fassade. Erkannte ihre geheime Angst, nicht geliebt zu werden und entdeckte daneben noch Parallelen zu ihrem eigenen Leben.
Dabei hinterfragte die Kulturjournalistin Johanna Adorján selbstkritisch jedoch stets, ob ihre Erkenntnisse auch zutreffend seien. Hypothetisches und das "Wie es gewesen sein könnte" setzte sie virtuos in Verbindung mit Biographischem, mit der Geschichte der ungarischen Juden im dunkelsten Kapitel des 20. Jahrhunderts. Wobei die Recherche nach dem Leben ihrer Großeltern und deren überlebender und ermordeter Familie immer wieder unterbrochen wird durch die akribische und doch fiktive Schilderung von deren letztem gemeinsamen Tag.
Dies alles wäre todtraurig, würde nicht die Autorin selbstironisch und sensibel ihre Gedanken einflechten lassen darüber, was denn nun "typisch jüdisch" sei und dabei zu absurd-witzigen Erkenntnissen gelangt. Die sie sogleich wieder verwirft oder zumindest in Frage stellt. Typisch jüdisch eben!
Das "Warum" und "Wie" sind die elementaren Fragen in diesem Buch und so scheint es selbstverständlich, dass nach dem nahenden Ende des kranken Istvan die gesunde 70 jährige Vera á la Wagners "Isoldes Liebestod" aus "Tristan und Isolde" auch nicht allein zurückbleiben konnte. Der gemeinsame Selbstmord sollte ihren Weg beschließen. Da nichts dem Zufall überlassen werden sollte, bestellte man sich nun zunächst das in Amerika erschienene Buch "Final Exit", das sozusagen eine Step-by-Step-Anleitung bietet, um dem irdischen Leben möglichst komplikationslos zu entkommen.
Bis in das letzte Detail planten sie ihren Freitod, machten eine To-Do-Liste und eine, die bestimmte, was wer bekommt, verabschiedeten sich nach und nach von ihren Lieben. Erst nachdem der Hund zur Nachbarin gebracht, weil man "ein paar Tage verreisen wolle", die Wohnung aufgeräumt und die Rosen winterfest gemacht wurden, setzten die beiden alten Leute ihr Vorhaben in die Tat um. Wann diese Entscheidung getroffen wurde, vermag auch die Autorin in ihrer Spurensuche nicht zu beantworten.
Johanna Adorjáns Buch über den gemeinsamen Selbstmord ihrer Großeltern erregt bereits vor Erscheinen Aufsehen. Schon jetzt hat das Buch VerlegerInnen in sieben Ländern begeistert, es wird ins Dänische, Französische, Italienische, Niederländische, Spanische, Katalanische und Litauische übersetzt werden.
Zeitgleich zum Buch erscheint das von Adorján selbst eingelesene, gleichnamige Hörbuch.
Zur Autorin: Johanna Adorján, 1971 in Stockholm geboren, studierte in München Theater- und Opernregie.
Von 1996 bis 1999 arbeitete sie als Journalistin in der Redaktion von Jetzt und als freie Autorin unter anderem für Spiegel, Woche, Süddeutsche Zeitung, Elle, Cinema, Tagesspiegel, Focus. 1999 Autorin beim Tagesspiegel. Seit Juli 2001 ist sie Redakteurin im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin. 2004 veröffentlichte sie im Alexander Verlag ihr erstes Theaterstück, "Die Lebenden und die Toten". Das Drehbuch "Schwesterherz", das sie zusammen mit Heike Makatsch schrieb, wurde unter der Regie von Ed Herzog verfilmt. "Eine exklusive Liebe" ist ihr erstes Buch. Johanna Adorján lebt in Berlin.
AVIVA-Tipp: "Eine exklusive Liebe" zieht von der ersten Seite an in ihren Bann. Am Ende ist die Leserin traurig und glücklich zugleich darüber, mit der Autorin diesen Weg gegangen zu sein. Was bleibt, ist das tröstliche Gefühl, Teil gehabt zu haben an dieser großartig-wehmütigen Geschichte und die Erkenntnis darüber, dass es möglich ist, entgegen aller Konventionen zu leben – und zu sterben.
Johanna Adorján
Eine exklusive Liebe
Luchterhand Literaturverlag, erschienen 23. Februar 2009
ISBN: 978-3-630-87291-9
Gebundenes Buch, 192 Seiten
Preis: 17,95 Euro
Johanna Adorján
Eine exklusive Liebe
Ungekürzte Lesung
Gesprochen von Johanna Adorján
4 Audio-CDs, Laufzeit: ca. 280 min
ISBN: 978-3-86604-987-1
Preis: 19,95 Euro
Verlag: Random House Audio, erschienen Februar 2009