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Beitrag vom 30.11.2008
Christiane Neudecker - Nirgendwo sonst
Yvonne de Andrés
Ein namenloser deutscher Schauspieler ist auf der Suche nach sich selbst. Er liebt Sine, die dänische Globetrotterin, kann sie aber nicht halten. Eine gescheiterte Existenz, ein gescheitertes Buch.
Erst hieß das Land Birma, später Burma, heute kennt es jede/r als Myanmar. Im Herbst 2004 ist es, aufgrund politischer Spannungen, ein Land voller Gefahren. Die Militärs haben das Land von der Außenwelt abgeschottet. Die Stimmung ist bedrohlich. Während des Monsuns machen starke Regenfälle, Überschwemmungen und schwüle warme Luft dem namenlosen Protagonisten in Christiane Neudeckers Roman stark zu schaffen. Der Schauspieler mit DDR-Vergangenheit bereist das Land als gestresster Backpacker.
Er weicht offiziellen Behörden und Einrichtungen aus und trifft sich mit Mönchen und Einheimischen. Auf seiner Reise trifft er Sine, eine Globetrotterin aus Dänemark. Sie verlieben sich und reisen einige Tage zusammen. Nach einem Wortgefecht jedoch, die Leserin erfährt seinen Inhalt so wenig wie den Namen der Hauptfigur, fährt Sine mit dem nächsten Bus auf der Straße nach Mandalay auf und davon. Der noch verliebte Namenlose möchte sich nicht mit der zerstörten Beziehung abgeben. Er beginnt Sine zu suchen. Der Reisende ist fremd in Myanmar, konfrontiert mit einer anderen Sprache, fremden Gerüchen, Landschaften und Geräuschen. Er sucht Sine in Gästehäusern, Restaurants und Tempeln und überlegt, wo sie sein könnte. Fiebrig irrt er durch das Land. Er hat Angst vor Malaria.
Die Geschichte ist, höflich formuliert, vollkommen banal und hat nur minimalen Tiefgang. In Rückblenden erzählt der Namenlose auf seiner Reise zwei Geschichten. Die erste Rückblende handelt von seiner DDR-Flucht und wie er seine Klaustrophobie überwinden musste, um im Kofferraum eines Diplomatenfahrzeuges Republikflucht zu begehen und wie er außerdem für eine befreundete Regisseurin, die bereits in Mynamar war, konspirativ Fotos an einen Dorfältesten eines abgelegenen Dorfes überbringt. Die zweite Rückblende ist die tragische Liebesbeziehung zu Sine. Sie wird uns als naive Idealistin beschrieben, die ihre Anwesenheit in Myanmar als Widerstand versteht. Er verschweigt ihr seine Vergangenheit. Am Ende trifft der Reisende einen mehrfach verhafteten Bergführer, der weiterhin bereit ist offen zu sprechen und unseren Namenlosen bittet: "At least tell your friends".
Was Frau Neudecker mit diesem Buch sagen möchte, bleibt schlicht unklar. Der Namenlose aus der DDR reist nicht nur durch Myanmar, er sucht, wie das in Romanen häufig geschieht, nach seiner Identität. Irgendwie ist Myanmar natürlich ebenso abgeschottet wie die DDR. Der Namenlose lebt heute nicht mehr eingesperrt, er besucht nun Menschen, die isoliert leben. Soweit so gut. Und weiter? Ratlos legt die Rezensentin den Band auf ihren Stapel der Bücher, die getrost hätten ungedruckt bleiben können.
Zur Autorin: Christiane Neudecker, geb. 1974, studierte Theaterregie an der "Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch" in Berlin. Sie ist Regisseurin beim Berliner Künstlernetzwerk phase7 performing.arts. 2005 erschien ihr begeistert aufgenommenes Erzähldebüt "In der Stille ein Klang" in der Sammlung Luchterhand, für das ihr 2006 der Wolfram-von-Eschenbach-Förderpreis zuerkannt wurde. Sie erhielt eine Reihe weiterer Auszeichnungen, u.a. 2003 den Alfred-Gesswein-Preis und das Stipendium des Klagenfurter Literaturkurses. "Nirgendwo sonst" ist ihr erster Roman.
AVIVA-Tipp: Christiane Neudeckers Roman "Nirgendwo sonst" verknüpft die beiden diktatorischen Systeme DDR und Myanmar. Die Identifikation der Leserin mit der namenlosen männlichen Hauptperson bleibt schwierig, da sie unsympathisch und blutleer ist. Manch abgedroschenes Klischee, so etwa unsympathische amerikanische Touristen bevölkert darüber hinaus dieses Buch.
Christiane Neudecker
Nirgendwo sonst
Luchterhand Literaturverlag, erschienen Februar 2008
Gebunden, 270 Seiten
ISBN: 9783630872773
17,95 Euro