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Beitrag vom 12.01.2009
Anja Tuckermann - Mano
Britta Leudolph
In den Wirren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gelangt der elfjährige Sintojunge Mano nach Frankreich. Eigentlich ist München seine Heimat, aber er darf es niemandem sagen, er glaubt,...
... wenn er sagt, dass er Deutscher ist, würden sie ihn fortschicken oder einsperren. Dann wäre er wieder verlassen.
Im Frühjahr 1945 ist Mano am Ende seiner Kräfte angelangt. Der Junge hat das Konzentrationslager Auschwitz überlebt und auch den Todesmarsch gen Westen. Jetzt ist Mano mit seinen Cousins auf dem Weg nach Hause. Doch er kann nicht mehr, bleibt irgendwann am Straßenrand liegen. Als er aus der Bewusstlosigkeit erwacht, liegt er auf einem Leiterwagen in den Armen einer fremden Frau, um ihn herum sprechen die Menschen eine unbekannte Sprache. Es handelt sich um befreite französische Kriegsgefangene, die in ihre Heimat zurückkehren. Sie nehmen sich des Elfjährigen an und schärfen ihm ein: "Du darfst nicht sagen, du bist deutsch [...] Du darfst nicht Deutsch sprechen. Sie mögen keine Deutschen. Verstehst Du? Nicht Deutsch sprechen. Gar nichts sagen. Sonst kannst du nicht mit. Sonst müssen wir dich hierlassen." Diese Worte wird Mano nicht vergessen und sich fortan daran halten, aus lauter Angst, wieder verlassen da zu stehen. Er weiß nicht, was aus seiner Familie geworden ist. Zuletzt hatte er sie im KZ Sachsenhausen gesehen. Leben sie überhaupt noch?
In Frankreich kommt Mano zunächst bei Madame Fouquet und ihrer Familie unter. Sie gehen behutsam mit ihm um, führen ihn Schritt für Schritt an ein normales Leben heran. Mano hat Narben auf dem Rücken, Schwellungen an den Waden und Knöcheln, Ödeme, Folgen der Unterernährung. Langsam heilen seine körperlichen Wunden, aber die Traumata der Vergangenheit lassen ihn nicht los. Zudem bleibt er im Zwiespalt, er traut sich nicht zu sagen, wie er heißt, niemand darf erfahren, dass er Deutscher ist. Andererseits hofft er, dass seine Familie ihn sucht, aber wie sollen sie ihn finden? Einziger Anhaltspunkt ist seine Tätowierung auf dem Unterarm: Z-3526.
Mano hat im Konzentrationslager gelernt, auf der Hut zu sein. Dieses Verhalten kann er nicht einfach ablegen, nicht bei den Fouquets und auch nicht später, als er sich in einem Kinderheim den Sommer über erholen soll, er prügelt sich mit anderen Kindern, ist am liebsten allein und schläft. Doch er macht kleine Fortschritte, in einer neuen Pflegefamilie lernt er Französisch, geht zur Schule und findet Freunde. Seinen Namen sagt er trotzdem niemandem, noch immer hat er Furcht, fortgeschickt zu werden.
Währenddessen wird Mano verzweifelt gesucht. Seine Familie hat überlebt und unternimmt alles, um den verlorenen Sohn zu finden.
Anja Tuckermanns erzählt in diesem Roman die wahre Geschichte des Sinto-Jungen Manot-Franz Höllenreiner. Für die Recherche hat sie den Sohn der Familie Fouquet ebenso besucht, wie die Pflegefamilie, die Mano damals aufnahm. Ergänzt wird das Buch durch Fotoaufnahmen von Mano und den Menschen, die sich um ihn kümmerten, sowie Schriftstücke, die von der Suche seiner Eltern zeugen.
Zur Autorin: Anja Tuckermann, geboren 1961, wuchs in Berlin-Kreuzberg auf. Von 1988 bis 1997 war sie Redakteurin für den RIAS-Kinderfunk. Seit 1993 organisiert sie Schreibwerkstätten und Seminare für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, u.a. in Schulen und am Jugendkunst- und Kulturzentrum Schlesische 27 in Berlin. Als Schriftstellerin verfasst sie Romane, Erzählungen, Theaterstücke und Libretti, u.a. "Muscha" oder "Ein Buch für Yunus". Für ihre Bücher und Theaterstücke erhielt sie etliche Preise und Stipendien. Für ihr Buch "Denk nicht, wir bleiben hier – Die Lebensgeschichte des Sinto Hugo Höllenreiner" erhielt sie den Deutschen Jugendliteraturpreis 2006. Zuletzt veröffentlichte sie zusammen mit Uta Beth "Heimat ist da, wo man verstanden wird. Junge VietnamesInnen in Deutschland".
AVIVA-Tipp: "Mano" ist die bewegende Geschichte eines jungen Sinto, der mehrere Konzentrationslager und den Todesmarsch knapp überlebt hat und in einem fremden Land neu anfangen muss. Anja Tuckermann erzählt eindringlich aus der Perspektive eines Elfjährigen, der zu viel Schreckliches erlebt hat, als dass er begreifen könnte, dass er nun in Sicherheit ist. Die Autorin richtet ihren Fokus weniger auf eine präzise Nacherzählung des Lebens Manot-Franz Höllenreiners, sondern eher auf das tiefe Einfühlen in die Gedankenwelt eines Jungen, dem die Kindheit genommen wurde und der nur ganz langsam in ein normales Leben zurückfindet. Gleichzeitig entsteht ein bemerkenswertes Portrait der Menschen, die sich des heimatlosen Kindes in Frankreich annehmen und mit allen Mitteln versuchen, ihm wieder Freude am Leben zu schenken.
Anja Tuckermann
Mano. Der Junge, der nicht wußte, wo er war
Hanser Verlag, erschienen September 2008
Gebunden, 240 Seiten, 22 s/w-Abbildungen
ISBN 978-3-446-23099-6
17,90 Euro
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