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AVIVA-BERLIN.de im August 2025 - Beitrag vom 04.08.2025


Widerstände. Jüdische Designerinnen der Moderne. Der Katalog. Erschienen im Hirmer Verlag
Sharon Adler

Das Langzeitprojekt der Kunsthistorikerin und Kuratorin Michal Friedlander würdigt erstmals das Schaffen deutsch-jüdischer Kunsthandwerkerinnen und zeichnet ihre Wege und Lebensumstände akribisch nach. Der aufwendig gestaltete Katalog und die Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin machen die Schönheit der Objekte und die Schicksale ihrer Schöpferinnen auf das Allerbeste sichtbar. Bahnbrechend.




Eine jahrelange Recherche liegt der Ausstellung und der Veröffentlichung des Katalogs zugrunde: Seit über 20 Jahren hat die Kunsthistorikerin und Kuratorin Michal Friedlander nach den jüdischen Gestalterinnen und ihren Arbeiten gesucht und wurde fündig: In Archiven, in Familiensammlungen, auf Flohmärkten, in Tausch- und Second-Hand-Internetbörsen, sogar auf Dachböden. Etwa die Hälfte der Objekte stammen aus den Depots des Jüdischen Museums Berlin, wo sie seit 2001 die Sammlungen Judaica und angewandte Kunst betreut, dazu kamen Leihgaben aus dem In- und Ausland.

Das Ergebnis dieser leidenschaftlichen wie akribischen Suche findet sich nun im vorliegenden aufwendig gestalteten Katalog und der kuratierten Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin.

"Warum überlebt das Werk einer Künstlerin, warum geht das einer anderen verloren? Warum erfährt das eine Werk Anerkennung, während das andere übersehen wird?"

Damit eröffnet Michal Friedlander in ihrem Vorwort einige der zentralen Fragen ihrer Recherchen für das Buch und die Ausstellung. Mit ihrer Arbeit untersucht sie neben der – erstmaligen – Sichtbarmachung und Anerkennung der vielfach zu Unrecht Vergessenen nicht zuletzt die Faktoren, die dazu führten, "wessen Arbeiten als Vermächtnis gelten und wessen Lebensleistung bisweilen buchstäblich auf dem Müll landet.", so die Kuratorin weiter.



Als ein erstaunliches Ergebnis im Laufe ihrer Forschungen stellt sie schließlich fest, dass "nicht nur ein paar Dutzend deutsch-jüdische Frauen im frühen 20. Jahrhundert als Designerinnen tätig waren, sondern hunderte." Dass diese außergewöhnlich talentierten und wegweisenden Frauen in der Kunstgeschichte und damit im öffentlichen kulturellen Gedächtnis jahrzehntelang unsichtbar blieben, ist eine Leerstelle, die nun geschlossen wurde, wenn auch nicht vollständig. Schließlich kann die Recherche niemals vollständig abgeschlossen sein, zu groß ist der Verlust. Mit den in das Exil oder in die Deportation und damit in den allermeisten Fällen in den Tod oder Selbstmord getriebenen Kunsthandwerkerinnen, gingen auch ihre Namen und Werke verloren, wurden ihre Sammlungen zerstreut, geraubt. Von den wenigen, die überlebt haben, verloren sich zumeist ihre Spuren. Viele lebten im Exil, viele unter einem neuen Namen. Anknüpfen an ihre Arbeitsmöglichkeiten konnten nach 1945 die wenigsten. Einige nahmen sich das Leben.

Im Mittelpunkt ihrer Recherchen standen, so schreibt Michal Friedlander weiter, nicht nur die Suche nach "herausragenden jüdischen Kunsthandwerkerinnen" (…). Das Projekt gehe "auf ihre spezifische soziale Situation als Frauen ein, auf ihre beruflichen Netzwerke und auf die kulturellen Prozesse, an denen sie mitwirkten"

Dass sie trotz ihrer Verdienste um Frauenrechte, Fürsorge, und den Kampf um Teilhabe und Förderung in Kunst und Wissenschaft nicht gesamtgesellschaftlich sozial wie politisch akzeptiert, integriert und gleichberechtigt waren, dass sie dennoch, wie die Gesamtheit der jüdischen Community, dem Antisemitismus des frühen 20. Jahrhunderts ausgesetzt waren, schmerzt. Auch die jüdischen Designerinnen waren, ebenso wie die jüdischen Frauenrechtlerinnen, jüdischen Sozialreformerinnen, jüdischen Verlegerinnen und Schriftstellerinnen oder jüdischen Juristinnen doppelt marginalisiert: Als Frau und als Jüdin.

Nicht nur antijüdische Vorurteile mussten bekämpft werden, auch im innerjüdischen Kontext begegneten die Designerinnen Herausforderungen. Michal Friedlander führt aus, dass "die Jüdinnen und Juden in Deutschland weder kulturell noch ökonomisch eine homogene Gruppe bildeten" und sich "jüdische Frauen zudem mit den komplexen Erwartungen ihrer eigenen Gemeinden und Familien auseinandersetzen [mussten], wenn sie neue Berufswege einschlagen wollten."

Die Frauen setzten sich auch in schwierigsten und dunkelsten Zeiten nicht nur über Vorurteile und Ablehnung hinweg, es gelang ihnen auch vielfach, nicht nur ihre eigenen Karrieren voranzutreiben, sondern mit der Gründung von Ausbildungsstätten berufliche Möglichkeiten für eine neue Generation von Frauen zu schaffen oder mit ihren Arbeiten zur Hauptverdienerin ihrer Familien zu werden.

Mittels großformatiger historischer Fotografien, Plakate und Zeichnungen und informativer Begleittexte zeichnet der Katalog die Wege der deutsch-jüdischen Designerinnen und Kunstgewerblerinnen akribisch wie empathisch nach. Gesichter und Namen sind darunter, denen man bereits zuvor begegnet ist, doch bei weitem mehr viele andere, die heute weitgehend vergessen sind. 60 Künstlerinnen und 450 Exponate sind es, die Michal Friedlander (wieder-)entdeckt hat und mit ihrem Katalog und der Ausstellung der Vergessenheit entreißt.

Zu entdecken und zu bewundern gibt es kunstvolle Keramiken und Holzschnitte, Wachspuppen, phantasievolles, verspieltes und elegantes Modedesign und Textilkunst, abstrakte Web- und Stickarbeiten, ausdrucksstarke Grafiken und Illustrationen, extravagante Gold- und Silberschmiedearbeiten oder auch funktionale Alltagsgegenstände, aber auch wunderschöne Zeremonialobjekte in innovativ-modernem Judaica-Design, darunter Sederteller, Chanukkaleuchter Kidduschbecher, und Toravorhänge.



AVIVA-Tipp "Widerstände. Jüdische Designerinnen der Moderne" stellt eine auf vielen Ebenen wichtige wie berührende Arbeit dar. Der Kuratorin ist es zu verdanken, dass sich mit der Ausstellung und Publikation eine Lücke in der Geschichtsschreibung schließt. Damit lässt sie den jüdischen Pionierinnen des Designs und des Kunsthandwerks, ihrer Produktivität, ihrer Kreativität, ihrem Mut, die Sichtbarkeit zukommen, die sie verdienen.

Widerstände
Jüdische Designerinnen der Moderne
Hg. Michal Friedlander, Jüdisches Museum Berlin

Mit einem Essay der Herausgeberin Michal S. Friedlander
Hirmer Verlag, erschienen im Juli 2025
304 Seiten, 250 Abbildungen in Farbe, deutschsprachig
20 x 24,8 cm, Klappenbroschur
ISBN: 978-3-7774-4623-3
(45,00 €). Im JMB-Shop und im Buchhandel erhältlich

Weitere Informationen zum Katalog www.hirmerverlag.de

Die von Michal Friedlander kuratierte Ausstellung Widerstände. Jüdische Designerinnen der Moderne im Jüdischen Museum Berlin ist vom 11. Juli bis 23. November 2025 zu sehen.


Literatur

Beitrag vom 04.08.2025

Sharon Adler