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Beitrag vom 03.02.2023
Sabine Zurmühl - Cosima Wagner. Ein widersprüchliches Leben
Silvy Pommerenke
Die Lebensgeschichte der Cosima Wagner, aufgeschrieben von Autorin, Kritikerin und Filmemacherin Sabine Zurmühl. Die Biographie enthält viele neue Aspekte über die Rolle Cosima Wagners, die als Witwe von Richard Wagner ab 1883 die Bayreuther Festspiele leitete. Und sie thematisiert den Antisemitismus dieser Zeit und im Speziellen der Familie Wagner.
Vaterlose Kindheit
Um Cosima Wagner, 1837 geboren als Cosima de Flavigny, verstehen zu können, die sich durch die anfänglich nicht legitimierte Beziehung zu Richard Wagner gegen die gesellschaftlichen Normen stellte und später ebenfalls entgegen allen Regeln die Bayreuther Festspiele leitete – damals ein no-go für eine Frau – analysiert Sabine Zurmühl ihre früheste Kindheit und Jugend, schildert das vaterlose Elternhaus und das Stigma der unehelich Geborenen. Ihr Vater ist der Komponist Franz Liszt, ihre Mutter die Schriftstellerin Gräfin Marie d´Agoult. Die Briefe, die Cosima an den abwesenden Vater schreibt, sind herzzerreißend, denn sie bekommt ihn jahrelang nicht zu sehen, weil er sich ganz seiner Musik und seinen Geliebten widmet.
Im Falle Cosimas führt dies zu einer starken Religiosität - die sie später ihren eigenen Töchtern auferlegt -, verbunden mit Selbstaufgabe und Aufopferung. In erster Ehe mit Hans von Bülow verheiratet, einem Schüler Franz Liszt´s, führt sie parallel dazu eine Beziehung zu Richard Wagner, von dem sie - wie ihre Mutter – drei uneheliche Kinder bekommt (unter anderem Isolde, der einstigen Lieblingstochter und später Verstoßenen).
Lebens- und Wirkungsgeschichte
Sabine Zurmühl hat die Lebens- und Wirkungsgeschichte von Cosima Wagner in 33 Skizzen klug und geistreich für die Leser*in aufbereitet. Seit Jahrzehnten beschäftigt sie sich mit der Familie Wagner und wollte "das Leben von Cosima Wagner als eigenständiges und ihr zugehöriges genauer anschauen und ihr damit auch ein wenig mehr Gerechtigkeit widerfahren lassen." Unter anderem wird dort die unerfüllte Liebe zu von Bülow und dem Hinwenden zu Wagner geschildert, die Verluste durch Tod ihrer beiden Geschwister oder die (ebenfalls unerfüllte) Liebe zum Vater Franz Liszt. Auch die Fehde zwischen Wagner und Liszt wird in einem eigenen Kapitel ausführlich geschildert, sowie Cosimas Hilflosigkeit, weil sie zwischen den beiden Männern nicht vermitteln kann ("Ich schweige still, traurig, daß ich nichts erwidern kann!"). Des Weiteren findet sich ein aufschlussreiches Kapitel zum Thema Antisemitismus, in dem die ambivalente Beziehung zu dem jüdischen Dirigenten Hermann Levi aufgezeigt wird. Diese war einerseits von tiefer Zuneigung geprägt ("Leben Sie wohl, mein theurer, bester Freund"), andererseits belastet durch die offen antisemitische und national eingestellte Haltung Cosimas ("daß diese fremdartige Race nie ganz in uns aufgehen kann.")
Antisemitisches Klima in Bayreuth
Auch Hermann Levis inständige Bitte, aus der Dirigat-Verpflichtung entlassen zu werden, zeigt, wie groß das antisemitische Klima in Bayreuth war: "Ich bin Jude, und da es in und um Wahnfried zum Dogma geworden ist, daß ein Jude so und so aussieht, so und so denkt und handelt, und daß vor Allem selbstlose Hingabe an eine Sache für einen Juden unmöglich ist, so beurtheilt man Alles was ich thue und sage, von diesem Gesichtspunkte aus und findet deshalb auch in Allem, was ich thue oder sage, etwas Anstößiges oder zum mindesten Fremdartiges". Dem Wunsch nach Entlassung wird nicht nachgegeben, die Maschinerie Bayreuth braucht den Dirigenten.
Durch die Schwiegertochter Winifred Wagner, die nach dem Tod Cosimas von 1930 bis 1944 die Leitung der Festspiele übernimmt, zieht auch der Nationalsozialismus in Bayreuth ein. Ihre Freundschaft zu Adolf Hitler ist ein Kapitel für sich, und selbst nach 1945 hält sie verblendet an dem Diktator fest und sieht in nicht als Verantwortlichen für die Massenverbrechen und den Holocaust.
Eine vielschichtige Persönlichkeit mit einem schwierigen Erbe
Sabines Zurmühl thematisiert einerseits Cosimas Hochmut, ihre Unnahbarkeit oder ihren Jähzorn. Sie berichtet andererseits von ihrem unbedingten Einsatz für Wagner ("Gefordert als Wagners Managerin und Geliebte übernahm sie aber auch Züge Wagner´sche Rücksichtslosigkeit, um sich und ihm Raum zu verschaffen – wenn auch besser erzogen, eleganter, souveräner als er." ), von ihrer Wortgewandtheit, ihrer charismatischen Erscheinung und Stimme. Von ihrer Zerrissenheit zwischen von Bülow und Wagner, aber auch von der fast schon symbiotischen Beziehung Richards zu Cosima, und nicht zuletzt von dem schwierigen Erbe, die Bayreuther Festspiele - gegen den misogynen und chauvinistischen Widerstand - zu einer enormen Erfolgsgeschichte zu führen.
Portrait einer zerrissenen Frau
Es ist ein umfangreiches Portrait von einer Frau entstanden, die oft zerrissen war zwischen den gesellschaftlichen Normen und Konventionen und dem Aufbegehren und Umgehen dieser. Sabine Zurmühl räumt mit dem Vorurteil auf, dass sie sich Wagner unterworfen und lediglich eine anbiedernde und dienende Funktion gehabt hätte, sondern belegt mit Tagebuchaufzeichnungen und Briefen, dass und wie sehr Wagner von ihr abhängig gewesen war und wie sehr er unter Verlustängsten gelitten hat: "R. wacht weinend und klagend auf, er hat geträumt, dass nach einer Ungezogenheit seinerseits ich ihn verließ, dazu vierhändige Sonaten vom Vater gespielt [...], ich gegen alles Bitten unweigerlich entschlossen, fortzugehen!"
Sabine Zurmühl schließt mit den Worten: "Und dennoch steht Cosima Wagner in ihrer Zeit mit all den Ungehorsamkeiten, persönlichen Befreiungsschlägen, ihrer Selbstverantwortung, ihrer Ungebundenheit bei gleichzeitiger Bindungsleidenschaft, ihrer Selbstständigkeit, ihrer Hartnäckigkeit und ihrer unbeirrbaren Klarheit als Person des öffentlichen Interesses für ein provokantes und auf ihre Weise selbstbestimmtes Leben jenseits vorgegebener Regeln und Normen."
AVIVA-Tipp: Sabine Zurmühl zeichnet ein kritisches Portrait von Cosima Wagner, geht umfassend auf deren Antisemitismus und Nationalismus ein, während sie zugleich ihren Einsatz um die Bayreuther Festspiele zeigt. Die Fragen, die sie in den Raum stellt, beantwortet sie anhand von Quellenmaterial, ohne sich mit ihrer Meinung in den Vordergrund zu drängen. Dabei ist nicht nur ein umfangreiches Portrait von Cosima Wagner entstanden, sondern auch eine lebendige Schilderung des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts und der gesellschaftlichen Regeln und Konformitäten, die es bedurfte, um als Frau in dieser künstlerischen und adeligen Gesellschaft bestehen zu können.
Zur Autorin: Sabine Zurmühl, 1947 in Berlin geboren. Studium der Germanistik, Romanistik und Theaterwissenschaft. Arbeit als freie Autorin im Hörfunk und Fernsehen, Mitbegründerin und geschäftsführende Redakteurin der Frauenzeitschrift "Courage" (1976-1984). Gründungsmitglied und Vorstandsmitglied des Journalistinnenbundes, Dokumentarfilmerin, Taz-Korrespondentin für die Bayreuther Festspiele. Ausbildung zur zertifizierten Mediatorin mit eigener Praxis für Familien-Mediation. Vorsitzende der Jury für den Marlies-Hesse-Nachwuchs-Preis des Journalistinnenbundes. Engagement als Beauftragte für Missbrauchsfälle bei kirchlichen Institutionen, bis 2019 Aufsichtsratsmitglied bei NACOA – Interessenvertretung für Kinder aus Suchtfamilien e.V. (nacoa.de). Mitglied der Redaktion der Zeitschrift "perspektive mediation".
Publikationen u.a. "Leuchtende Liebe- lachender Tod" (Zum Tochter-Mythos Brünnhilde) von 1984 und "Das Leben – dieser Augenblick" (Biographie über Maxie Wander) von 2002.
Sabine Zurmühl im Netz sabine-zurmuehl.de
Sabine Zurmühl
Cosima Wagner - Ein widersprüchliches Leben
Böhlau Verlag, erschienen 05/2022
Gebundenes Buch, 360 Seiten, 39 farbige Abbildungen
ISBN 978-3-205-21501-1
Euro 40,00
Mehr zum Buch unter: www.boehlau-verlag.de
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