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Beitrag vom 28.10.2022
Eva Rieger - Isolde - Richard Wagners Tochter. Eine unversöhnliche Familiengeschichte
Silvy Pommerenke
Isolde von Bülow, Tochter von Cosima und Richard Wagner, Enkelin der Schriftstellerin Marie d´Agoult und des Komponisten Franz Liszt. Hochbegabt, aber qua gesellschaftlicher antifeministischer Normen unterdrückt und marginalisiert. Die Musikwissenschaftlerin Eva Rieger schildert ein spannendes Portrait der Abgründe aus dem Hause Wagner, aus dem das einstige Lieblingskind Isolde verstoßen wurde.
Skandalöse uneheliche Geburten
Bereits die Geburt Isoldes im Jahr 1865 stand unter einem ungewöhnlichen Stern, denn zum Zeitpunkt der Zeugung war die spätere Cosima Wagner noch mit ihrem ersten Mann Hans von Bülow verheiratet. Auch wenn zweifelsfrei Richard Wagner der leibliche Vater war, so erhielt Isolde dennoch den Nachnamen von Bülow. Man wollte einem Skandal vorbeugen. In der Geburtsurkunde wurde Hans von Bülow offiziell als Vater angegeben und Richard Wagner bekleidete das Amt des Taufpaten.
Mit der zweiten Tochter, Eva, die 1867 zur Welt kam, verfuhren die drei Erwachsenen ebenso. Als schließlich das dritte gemeinsame Kind, Siegfried, 1869 geboren wurde, heirateten Cosima und Richard im darauffolgenden Jahr. Nur vier Wochen nachdem die Scheidung von Hans rechtskräftig war. Siegfried sollte "Träger seines Erbes und Hüter seines Werks" werden, während den Mädchen dieses Privileg nicht vergönnt war. Für sie war der klassische Weg einer Heirat vorgesehen, und sie mussten die Vorrangstellung des Bruders akzeptieren.
Das strenge Regiment Cosima Wagners
Obgleich die Kinder viele Freiheiten hatten und ein sorgenfreies Leben führten, so war die Erziehung Cosimas sehr streng. Sie sorgte zwar dafür, dass die Töchter mehrere Sprachen beherrschten und breite Geschichts- und Literaturkenntnisse besaßen. Ebenso wurden ihnen Anstaltsregeln der Oberschicht beigebracht, und sie wurden in Haushaltstätigkeiten unterrichtet, um später ihren eigenen Haushalt führen zu können. Selbstredend wurden sie auch musikalisch erzogen, aber trotz des großen musikalischen und malerischen Talents, was Isolde offenbar besaß, erhielt sie keine staatliche Ausbildung. Zum einen, weil Frauen an den staatlichen Akademien in München zum Studium nicht zugelassen wurden, aber auch, weil die Eltern sich gegen eine solche Professionalisierung gewährt hätten. Um ihre Vorstellungen der Persönlichkeitsentwicklung der Kinder durchzusetzen, schreckte Cosima bei ihren Erziehungsmaßnahmen auch nicht im Gegensatz zu Richard - vor körperlicher Züchtigung zurück.
Der frühe Tod Richard Wagners und die Abnabelung Isoldes
Als Richard Wagner 1883 überraschend starb, hatte er kein Testament hinterlassen. Lediglich Siegfried wurde offiziell als Wagners Kind anerkannt, wodurch Isolde und Eva keinen Anspruch auf das Wagner´sche Erbe hatten, was je zur Hälfte an Cosima und Siegfried fiel. Zu diesem Zeitpunkt machte sich Isolde darüber aber erst einmal keine Gedanken, denn nach dem Tod des Vaters und der Verarbeitung des großen Verlustes, bestand das Leben von Isolde vorzugsweise aus Vergnügungsreisen, Museumsbesuchen, Opern- und Konzertaufführungen. In das Geschehen von Bayreuth wurde Isolde nur marginal eingebunden, indem sie beispielsweise Theaterkostüme entwarf, weswegen sie in einen inneren Abstand zu der Familie ging und ein starkes Bedürfnis nach Unabhängigkeit hatte. Um der Langeweile in Bayreuth zu entfliehen, verbrachte Isolde mehr und mehr Zeit in München, wo sie das Großstadtleben in vollen Zügen genoss, auch wenn Cosima aus der Ferne ein Auge auf ihre Tochter hatte. Durch die rigide Führung und konservative Einstellung der Mutter ging auch die Frauenbewegung an Isolde vorbei, obwohl sie im Dunstkreis von Hedwig Pringsheim, Tochter der Frauenrechtlerin Hedwig Dohm, oder der Fotografin Anita Augspurg verkehrte. Auch die antisemitische Einstellung übertrug Cosima auf ihre Tochter Isolde, sowie den übersteigerten Nationalismus.
Der Bruch mit dem Hause Wahnfried
Während zwei ihrer Schwestern heirateten, blieb Isolde lange unverheiratet, kein Heiratskandidat entsprach ihren Vorstellungen. Erst 1900 vermählte sie sich mit dem Dirigenten Franz Beidler, der aber in einen argen Konflikt mit Cosima geriet, da er ihren Ansprüchen scheinbar nicht genügte. Es gab Streitigkeiten mit Cosima und Siegfried um seine Dirigate in Bayreuth, die schließlich zum Bruch und Rausschmiss von Franz führten. Isolde hielt zu ihrem Mann, sodass sie ebenfalls vom Haus Wahnfried ferngehalten wurde. Der scheinbar unlösliche Konflikt mit der Familie und der Ausschluss von den Festspielen spitzte sich noch mehr zu, als Isolde ihrer Mutter von der Homosexualität Siegfrieds berichtete. In der Folge dieses Outings sprach Cosima Isolde fortan das Recht ab, sich als Tochter Richard Wagners zu bezeichnen. Sie sah die vermeintliche Homosexualität ihres Sohnes als Verleumdung an, denn eine Veröffentlichung seiner sexuellen Präferenz wäre zu Beginn des 20. Jahrhunderts gleichbedeutend mit dem Untergang des Hauses Wagner gewesen.
Um dieser Bedrohung aus dem Wege zu gehen, wurde Isolde sogar vom ihrem Schwager Houston Chamberlain angedroht, sie in die Psychiatrie einzuweisen. Eine typische Opfer-Täter-Umkehrung. Letztendlich führte dies zwar nicht zur Einweisung in die Psychiatrie, aber de facto wurde Isolde und ihr Sohn, der 1901 zur Welt kam, enterbt, und sie hatten keinen Anspruch auf das Wagner´sche Vermögen. Dies führte dazu, dass Isolde Beweismittel sammelte, um nachzuweisen, dass sie tatsächlich die Tochter Richard Wagners sei, und sie reichte eine Klage ein. Auch wenn die Öffentlichkeit und die Presse auf Seiten Isoldes waren, so verlor sie jedoch den Prozess. Die Mutter ließ keinen Kontakt mehr zu Isolde zu, obgleich sie massiv unter der Trennung litt. Sie verpasste die Chance, ihre Tochter noch einmal zu sehen, denn Isolde verstarb am 7. Februar 1919. Zu ihrer Beerdigung erschien außer ihrer Schwester Eva - niemand aus der Wagner´schen Sippe.
Der kritische Blick von Eva Rieger
Eva Rieger scheut nicht davor zurück, die Missstände im Hause Wagner akribisch aufzuzeigen. Sie thematisiert die Bevorzugung von Jungen und Männern gegenüber Mädchen und Frauen in dieser Zeit, und thematisiert die antisemitische und deutsch-nationale Gesinnung des Wagner-Clans. Damit rückt sie diese oftmals glorifizierte Familiengeschichte in ein kritisches Licht: "Es wäre billig zu behaupten, Cosima, später Siegfried, seine Frau Winifred und Wagners Töchter hätten Wagners Musik dem Nationalsozialismus ausgeliefert, es war umgekehrt: Richard Wagner verabschiedete sich in seinem Aufsatz "Erkenne dich selbst" vom Judentum als Religionsgemeinschaft und setzte die Rassengemeinschaft an deren Stelle, was von den Nationalsozialisten begeistert aufgegriffen wurde."
Eva Rieger verwendet in ihrem Buch eine gendergerechte Sprache, und so ist eine zeitgemäße Interpretation von Isolde von Bülows respektive Isolde Beidlers Lebensgeschichte entstanden, eingebettet in die Geschichte der Entstehung des Festspielhauses Bayreuth, der Villa Wahnfried und dem musikalischen Werk Richard Wagners. Abgerundet wird die Biographie mit zahlreichen Abbildungen, einer umfangreichen Bibliographie und einem Personenregister, sowie der Stammtafel Cosima und Richard Wagners.
AVIVA-Tipp: Eva Rieger ist seit Jahrzehnten mit der Erforschung der Benachteiligung von Frauen in der deutschen der Musikkultur beschäftigt. Es ist höchst interessant, dass und wie sie "die heiligen Hallen von Bayreuth" und den "Mythos Wagner" auseinandernimmt. Die Biographie über die einstige Lieblingstochter Isolde, die aufgrund ungünstiger Beziehungskonstellationen aus dem Hause Wahnfried ausgestoßen wurde, liest sich spannend wie ein Psycho-Drama, berührend wie ein Liebes-Drama und informativ, wie es ein Sachbuch sein sollte. Und die Wut der Autorin darüber, dass "da ⦋…⦌ ein ganz begabtes Mädchen ⦋ist⦌, das alle Chancen der Welt hat, in einem hochbürgerlichen Umfeld aufwächst, von den Eltern geliebt wird, und dennoch ist aus ihr ´nichts´ geworden" überträgt sich so manches Mal auf die Leser*in.
Zur Autorin: Eva Rieger wurde 1940 auf der Isle of Man in der Irischen See geboren, zog als Zwölfjährige nach Deutschland und wohnt seit dem Jahr 2000 in Liechtenstein. Sie studierte Musikpädagogik, Musikwissenschaft und Anglistik und wurde 1976 an der Technischen Universität Berlin mit einer Arbeit über die Musikpädagogik in der DDR promoviert. Von 1978 bis 1991 war sie Akademische Rätin an den Universitäten Göttingen und Hildesheim; ab 1991 bis 2000 Professorin für Historische Musikwissenschaft (Schwerpunkt Sozialgeschichte der Musik) an der Universität Bremen. Von 1988 bis 1992 war sie Beiratsmitglied der Zeitschrift Feministische Studien. 1996 war sie Mitbegründerin der Sektion "Frauen- und Geschlechterforschung". 2000 wurde die Mariann Steegmann Foundation von Mariann Steegmann in Zusammenarbeit mit Eva Rieger gegründet. Diese Stiftung betreibt sowohl das "Mariann Steegmann Institut Kunst & Gender" an der Universität Bremen sowie das "Forschungszentrum Musik und Gender" an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover.
Eva Rieger ist Autorin zahlreicher Bücher, u.a. "Friedelind Wagner. Die rebellische Enkelin Richard Wagners", "Mit tausend Küssen Deine Fillu". Briefe der Sängerin Marie Fillunger an Eugenie Schumann 1875–1893 und "Frida Leider – Sängerin im Zwiespalt ihrer Zeit."
Eva Rieger im Netz www.eva-rieger.de
Eva Rieger
Isolde. Richard Wagners Tochter - Eine unversöhnliche Familiengeschichte
Insel Verlag, erschienen 08/2022
Gebunden, 344 Seiten
ISBN 978-3-458-64292-3
Euro 26,00
Mehr zum Buch unter: www.suhrkamp.de
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