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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 24.06.2021


Claudia Skoda / Dressed To Thrill
Christina Mohr

Stricken ist nur was für Omas? Claudia Skoda erkannte schon vor langer Zeit, wie subversiv und revolutionär gestrickte Maschen sein können – und wurde selbst zur Marke. Als piefig verschrieene Handarbeiten wie Stricken radikal-modern umzudeuten und als hip zu deklarieren ist keine Erfindung des jüngeren DIY-Feminismus. In den frühen 1970er Jahren…




… machte die ehemalige Berliner Verlagslektorin Claudia Skoda mit aufsehenerregenden Modellen Furore: Die 1943 in Wedding geborene Skoda experimentierte mit Materialien wie Bast oder Cassettenband, schuf mit ihrer Strickmaschine kühne Muster und Schnitte, die mit Omas Pullundern nichts gemeinsam hatten.

Zunächst verkaufte sie ihre Kreationen nur im Freundeskreis, 1975 gründete sie ihr eigenes Label und verlegte sich komplett auf die Mode – oder besser Kleidung, ein Begriff, der Skoda besser gefällt, weil er ihr nachhaltiger erscheint. Und nachhaltig ist Skodas Ansatz in der Tat: Skodas Entwürfe beeinflussen und prägen die Mode bis heute.

In den Siebzigern war nicht nur Skodas Arbeitsweise ungewöhnlich: ihre Wohn- und Arbeitsgemeinschaft fabrikneu in einer Fabriketage in der Zossener Straße in Kreuzberg erinnerte an Andy Warhols Factory. Wie in New York City – wo Skoda einige Jahre einen eigenen Laden hatte - gingen in Skodas Werkräumen schillernde Persönlichkeiten ein und aus, waren gemeinsam kreativ, veranstalten Parties und Performances. Bei Skodas legendären Modenschauen traten schon mal Punkbands wie die Vibrators auf, lange bevor die Kombination aus Mode und Musik en vogue wurde. Um den Warhol´esken und gleichzeitig familiären Eindruck noch zu verstärken, schuf der mit Skoda eng befreundete und damals noch ziemlich unbekannte Martin Kippenberger einen aus über tausend Fotografien von sich, Ulrike Ottinger und Esther Friedman bestehenden Bodenbelag ("Aus dem Intimleben der Familie Skoda"), der zum Laufsteg umfunktioniert wurde.

Apropos Fotos: Skoda verweist selbst darauf, wie "fotogeil" alle damals waren – zum Glück, muss frau ergänzen, denn dank der Bilder lassen sich Skodas Bedeutung für Berlin einerseits und die internationale Mode andererseits bestens nachvollziehen. Skodas Entwürfe waren und sind raffiniert, spektakulär und einzigartig. Skoda programmierte ihre Strickmaschine mit einem Atari-Computer – noch eine Parallele zur in den frühen Achtzigern aufkommenden elektronischen Musik – entwarf kühne Muster und wurde nicht zuletzt durch ihren Sinn für Farbkombinationen gefeiert. Die Kleider waren (und sind) feminin, sexy und feiern den weiblichen Körper – starke Trägerinnen sind gefragt: frau müsse Selbstbewusstsein haben, um ihre Kleider zu tragen, so Skoda. Für Männer gilt übrigens dasselbe, schließlich strickt Skoda auch Herrenkleidung, wobei Skoda – auch in dieser Hinsicht ihrer Zeit voraus – stets mit Geschlechterrollen spielte. Auf einem Modenschau-Flyer ist beispielsweise Skodas Konterfei auf eine Spielkarte gezeichnet, wird die Karte umgedreht, trägt die Skoda-Figur die Gesichtszüge von Martin Kippenberger.

Ihren Schauen gab sie programmatische Titel wie beispielsweise "Big Birds": Für diese Schau, die 1979 in der Alten Kongresshalle (heute Haus der Kulturen der Welt) stattfand, studierten die Models vorher im Zoo das Verhalten von Vögeln, um zu elektronischer Musik möglichst überzeugende Bewegungen vollziehen zu können. Dass das Dach der Kongresshalle kurz nach der Schau angeblich wegen der mächtigen Beats während der Performance einstürzte, ist eine gern erzählte Berliner Legende.

Die längst fällige und mehrfach verschobene Retrospektive Dressed To Thrill im Kulturforum Berlin und der dazugehörige, prächtig ausgestattete Katalog zeigen Skoda und ihre Modelle – im doppelten Wortsinn: einerseits die Kleider, andererseits Skodas Freundinnen und Kollaborateurinnen wie Tabea Blumenschein, Irene Straub alias Lady Shiva oder Jenny Capitain. Mit diesen Frauen und anderen Akteurinnen der Westberliner Szene (z.B. Gudrun Gut mit ihren Bands Mania D. und Malaria!) verwirklichte Skoda ihre Vision von Modernität, die Kleidung immer mit anderen Künsten zusammendachte und -denkt. Skodas enge Verbindungen in Berliner Musiker*innenkreise führten zum Beispiel dazu, dass sie 1980 sogar eine Platte aufnahm: Gemeinsam mit ihrer Freundin Rosie Müller entstand unter dem Projektnamen "Die Dominas" der Underground-Hit "I bin a Domina". Skodas Geschichte ist längst nicht zu Ende: Nach wie vor erschafft Claudia Skoda revolutionäre Strickbekleidung, für die frau/man zwar starkes Selbstbewusstsein braucht, die aber auch Stärke verleiht.

AVIVA-Tipp: Obwohl von Kolleg*innen wie Wolfgang Joop und Vivienne Westwood und Stars wie David Bowie seit Jahrzehnten verehrt, wird Claudia Skoda erst jetzt der verdiente Ruhm zuteil. Ausstellung und Katalog sind nicht nur für explizite Modefans ein Muss.

Ausstellungskatalog:
Claudia Skoda / Dressed To Thrill

Hrsg. Britta Bommert für die Kunstbibliothek - Staatliche Museen zu Berlin
Beiträge von Heidi Blöcher, Britta Bommert, Fiona McGovern, Esther Ruelfs, Marie Arieth Skov / beigelegtes Heft mit Text von Wolfgang Joop
Kettler Verlag, erschienen Dezember 2020
Hardcover, 240 Seiten
ISBN: 978-3-86206-829-6
42,00 Euro
Mehr zum Buch unter: www.verlag-kettler.de

Ausstellung im Berliner Kulturforum vom 13.04.2021 bis 29.08.2021
www.smb.museum/ausstellungen/detail/claudia-skoda

Claudia Skoda Laden & Showroom:
Mulackstraße 8, 10119 Berlin
www.claudiaskoda.com


Literatur

Beitrag vom 24.06.2021

Christina Mohr