Christina Pareigis – Susan Taubes. Eine intellektuelle Biographie - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Literatur





 

Chanukka 5785




AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 15.02.2021


Christina Pareigis – Susan Taubes. Eine intellektuelle Biographie
Silvy Pommerenke

Seit 2011 wird der schriftliche Nachlass der jüdischen Intellektuellen und Religionsphilosophin Susan Taubes (1928-1969) von der Literaturwissenschaftlerin Sigrid Weigel herausgegeben. An ihrer Seite: Christina Pareigis, die von der hohen Intellektualität und Kreativität Susan Taubes´ beeindruckt ist. Zehn Jahre lang hat sie an der Biographie über Susan Taubes gearbeitet, die im November 2020 im Wallstein Verlag erschienen ist.




Die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin, sowie Studienrätin Christina Pareigis, geht in ihrer Biographie über Susan Taubes sehr analytisch und nüchtern vor, und teilt ihre Arbeit in drei Abschnitte. Im ersten Teil widmet sie sich schwerpunktmäßig der Textexegese des autobiografisch inspirierten Romans von Susan Taubes "The Divorcing" (auf Deutsch "Scheiden tut weh"), den sie 1956 zu schreiben begann, und der 1969 erschien. Im zweiten Teil geht es vor allem um die philosophischen Themenbereiche Dialektik, Nihilismus, Existentialismus, Metaphysik und Eschatologie, die äußerst detailreich behandelt werden. Schließlich widmet sie sich im dritten Teil der schriftstellerischen Tätigkeit Susan Taubes und interpretiert hier vor allem ihre Erzählungen (unter anderem "Der Patient", "Dr. Rombachs Tochter" oder "Die goldene Kette").

Gerade im zweiten Teil gibt Christina Pareigis ein Spiegelbild Susan Taubes´ Intellektualität wider, die sich Streitgespräche mit vielen großen Denker*innen des letzten Jahrhunderts lieferte, die die Philosoph*innen Martin Heidegger, Simone Weil, Hannah Arendt, Kierkegaard oder Nietzsche in und auswendig kannte.

Bevor sich Christina Pareigis der intellektuellen Biographie zuwendet, beleuchtet sie die Herkunft von Susan Taubes und geht dafür bis in das späte 19. Jahrhundert zurück, um ausgehend von den jüdischen und streng gläubigen Großeltern ein ganzheitliches Bild der späteren Intellektuellen zu entwickeln, die sich dem jüdischen Glauben nicht verbunden fühlte und zeitweilig mit der Konvertierung zum Katholizismus liebäugelte. Sie heiratete 1949 Jacob Taubes einen der bedeutendsten jüdischen Religionsphilosophen des zwanzigsten Jahrhunderts. Die beiden trennten sich aber 1961, vor allem wegen unterschiedlicher religiöser Einstellungen, und ließen sich 1967 schließlich scheiden.

Susan Taubes Leben war geprägt von Depressionen, deren Ursprung in ihrer jüdischen Lebensgeschichte lag, die zerrissen war durch die nationalsozialistische Terrorherrschaft und dem Zwang zum Verlassen ihrer ungarischen Heimat. Das Ergebnis war die "Nicht-Zugehörigkeit als einzige Kontinuität in einer lebensgeschichtlichen Aneinanderreihung von Diskontinuitäten". Um dieser inneren Not zu entkommen, ging sie häufig auf Reisen, was eine palliative Wirkung auf sie hatte.

Sie promovierte in Harvard über Simone Weil, war Dozentin an der New Yorker Columbia University und verkehrte unter anderem mit Susan Sontag. Diese Freundschaft war ambivalent und kursierte "zwischen Intimität und Distanz, zwischen Artikuliertem und Verschwiegenem, zwischen persönlicher Nähe und intellektueller Beziehung." Für Susan Sontag war Susan Taubes wie ein Zwilling, denn es gab viele verbindende Momente zwischen den beiden, beispielsweise, dass ihre Väter weit entfernt waren und beide Anpassungsschwierigkeiten hatten.

Trotz dieser Anpassungsschwierigkeiten bescheinigte ihre Umwelt ihr einen herausragenden Intellekt, umfangreiches Wissen und einen analytischen Verstand, ein Professor bezeichnete sie als "one of the most and promising women", die ihm je begegnet sei. Als Religionsphilosophin versuchte sie, "die Erfahrungen von Krieg und Holocaust in eine Beschreibung von Heimatlosigkeit und Gefangenschaft im Zeitalter fortschreitender Technisierung und damit einhergehender Entmenschlichung zu integrieren". Der Mord an den Jüdinnen und Juden Europas wurde zum bestimmenden Motor in ihrer intellektuellen Arbeit, führte sie aber auch zu ihrem letzten Schritt: Am 06. November 1969 verübte sie Selbstmord, indem sie sich ertränkte. Susan Sontag, die ihre Leiche identifizierte, meinte fassungslos: "Hat sie sich also doch umgebracht, diese dumme Frau."

AVIVA-Tipp: "Susan Taubes. Eine intellektuelle Biographie" ist anspruchsvoll, detailreich und akribisch recherchiert. Neben dem außergewöhnlichen Leben der jüdischen Philosophin Susan Taubes und den verschiedenen philosophischen Strömungen erfährt die Leser*in viel über die Nachkriegszeit der USA und Europas sowie die Auswirkungen der Shoa und die transgenerationelle Weitergabe der Traumata an die Zweite Generation.

Zu Susan Judith Taubes: geboren 1928 als Judit Zsuzsánna Feldmann in Budapest, gestorben am 6. November 1969 in East Hampton. Sie stammte aus einer jüdisch ungarischen Familie. Ihr Großvater Mózes Feldmann war Großrabbiner und ihr Vater Sándor Feldmann Psychoanalytiker. Sie emigrierte mit ihrem Vater und ohne die Mutter Marion Batory (geb. Margit Jozefa Ripper, die einer jüdischen Brauereifamilie entstammte) die Ehe wurde 1938 geschieden 1939 in die USA, wo sie Philosophie an der Harvard University studierte und 1956 bei Paul Tillich über Simone Weil promovierte (The Absent God. A Study of Simone Weil).

Danach arbeitete sie als Religionswissenschaftlerin, Kulturwissenschaftlerin und Schriftstellerin. In ihren letzten Lebensjahren wandte sie sich von der universitären Arbeit ab und betätigte sich überwiegend im Bereich des Theaters und der Literatur. Zu ihrem weitläufigen Bekanntenkreis zählte unter anderem Susan Sontag.

Von 1949 bis 1961 war sie mit dem Religionssoziologen, Philosophen und Judaisten Jacob Taubes verheiratet. Sie bekamen zusammen einen Sohn (Ethan, geboren 1953) und eine Tochter (Tania, geboren 1956). Im November 1969 erschien ihr autobiographischer Roman "Divorcing" ("Scheiden tut weh"). Nur wenige Tage nach seiner Veröffentlichung verübte Susan Taubes am 6. November 1969 Suizid.

Zur Autorin: Christina Pareigis, geboren 1970, Literatur- und Kulturwissenschaftlerin, ist Studienrätin in Hamburg und war zuvor Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin (ZfL). Forschungsschwerpunkte u.a. europäisch-jüdische Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts, Jiddische Literatur und Literatur der Shoah. Sie wurde 2004 mit dem Joseph Carlebach-Preis ausgezeichnet.

Christina Pareigis
Susan Taubes. Eine intellektuelle Biographie

Wallstein Verlag, Erscheinungstermin 11/2020
Gebunden, 472 Seiten, 19 Abb.
ISBN 978-3-8353-3749-7
Euro 29,00

Mehr zum Buch unter: www.wallstein-verlag.de

Mehr über die von Sigrid Weigel herausgegebene Susan Taubes-Edition im Zentrum für Literatur- und Kulturforschung/ZfL: www.zfl-berlin.org.

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Neuerscheinungen von und über Susan Sontag im Herbst 2020: Benjamin Moser – Sontag. Die Biografie. Sigrid Nunez – Sempre Susan. Erinnerungen an Susan Sontag. Susan Sontag – Wie wir jetzt leben. Erzählungen Die jüdisch-amerikanische Intellektuelle und Publizistin Susan Sontag war zu Lebzeiten eine Ikone, und auch nach ihrem Tod vor 16 Jahren ist sie nie ganz aus dem Blick des öffentlichen Interesses verschwunden. Benjamin Moser hat eine beeindruckende Biografie über sie geschrieben, die mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde und Sigrid Nunez erinnert sich gefühlvoll in "Sempre Susan" an ihre gemeinsame Zeit. Und schließlich die Erzählungen von Susan Sontag selbst, erstmalig aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt von Kathrin Razum. (2020)

Maike Weißpflug – Hannah Arendt. Die Kunst, politisch zu denken. Hannah Arendt – Freundschaft in finsteren Zeiten. Gedanken zu Lessing. Herausgegeben und eingeleitet von Matthias Bormuth Zwei Neuerscheinungen nehmen Hannah Arendt (1906-1975) als politische Denkerin und Intellektuelle in den Blick und beleuchten dabei weniger einzelne Konzepte und Begriffe der Philosophin als ihren spezifischen Denkstil und ihre Haltung gegenüber der Welt. Beide porträtieren Arendt dabei als Intellektuelle, die sich leidenschaftlich für Pluralismus und freien Meinungsaustausch einsetzt und gerade im kontinuierlichen offenen Gespräch über die gemeinsam geteilte Welt die Grundlage für Zusammenhalt in demokratischen Gesellschaften sieht. (2020)

Simone Frieling - Rebellinnen. Hannah Arendt, Rosa Luxemburg und Simone Weil Drei Denkerinnen porträtiert die Biografin, Malerin und Autorin Simone Frieling in ihrem neuen Buch. Viele Gemeinsamkeiten einten diese drei Persönlichkeiten, die sich nie begegneten, gleichwohl aber voneinander wussten und aufeinander Bezug nahmen. (2019)

Martha Nussbaum - Königreich der Angst. Gedanken zur aktuellen politischen Krise
Nachdem sich die Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago Martha Nussbaum dem Zorn und der Vergebung angenähert hat, wendet sie sich in ihrem neuen Werk der Angst und ihrer Instrumentalisierung zu. Scharfsichtig analysiert sie die Spaltung und Polarisierung in den Vereinigten Staaten. Ihre Einsichten lassen sich bequem auf Deutschland übertragen. (2019)

Charlotte Perkins Gilman - Die gelbe Tapete
Charlotte Perkins Gilman ("Herland") beschreibt in ihrer schon 1892 erschienenen Erzählung das allmähliche Abgleiten einer Frau in Depression und Realitätsverlust. Der beklemmende und bedrückende Text erinnert zwar an Werke von Edgar Allan Poe, ist gleichzeitig jedoch ein Frühwerk des Feminismus. (2018)

Ina Hartwig - Wer war Ingeborg Bachmann. Eine Biographie in Bruchstücken Informativ, kurzweilig und erhellend! So liest sich die »Biographie in Bruchstücken« von Ina Hartwig über Ingeborg Bachmann. Und streckenweise schildert sie das Leben der österreichischen Autorin spannend wie einen Kriminalroman – vor allem, was die ominösen Umstände des Todes von Ingeborg Bachmann betreffen – die am 25. Juni 2018 ihren 92. Geburtstag gefeiert hätte. (2018)

Maren Holmes - Paula Heimann. Leben, Werk und Einfluss auf die Psychoanalyse
Am 22. Oktober 2017 ist Paula Heimanns 35. Todestag. Die Diplom-Psychologin Maren Holmes beschreibt in ihrer Dissertation "Paula Heimann – Leben, Werk und Einfluss auf die Psychoanalyse" einerseits den Werdegang und das Wirken Paula Heimanns andererseits hinterfragt Holmes die Rolle der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft (DPG) während der NS-Zeit und den Wiederaufbau nach dem Sieg über Nazideutschland. (2017)

Edith Jacobson – Gefängnisaufzeichnungen. Herausgegeben von Judith Kessler und Roland Kaufhold
Ein Vierteljahrhundert lagen die Aufzeichnungen von Edith Jacobson bei Judith Kessler in der Schublade. Dann endlich fanden die Tagebuchnotizen, Gedichte und Analysen der jüdischen Psychoanalytikerin den Weg in die Öffentlichkeit. Sie erzählen von der Angst, von Mut und der Hoffnung auf Freiheit. (2015)

Gerda Lerner - Es gibt keinen Abschied
Gerda Lerner, 1920 in Wien geboren und in die USA geflüchtet, Pionierin der feministischen Geschichtswissenschaften und Verfasserin der Standard-Werke "Die Entstehung des Patriarchats" und "Die Entstehung des feministischen Bewusstseins", war auch eine beeindruckend gute Literatin. In ihrem neu herausgegebenen Roman beschreibt Roman Gerda Lerner, wie sich die Stimmung in Wien in den Jahren 1934 bis zur Annexion Österreichs 1938 zunehmend verändert und Faschismus und offener Antisemitismus immer mehr die Oberhand gewinnen. (2017)

Kristine von Soden - Und draußen weht ein fremder Wind .... Über die Meere ins Exil
Wie gelang den wenigen Überlebenden 1933 bis 1941 die Flucht ins Ungewisse, was ging dem Verlust um Heimat, Familie, Sprache und Kultur voraus? Im Zentrum dieses Buches steht der verzweifelte Kampf jüdischer Emigrantinnen um Visa und Affidavits für das von den Nazis erzwungene Exil. Anhand von Tagebüchern, Briefen, Gedichten sowie unveröffentlichten Bild- und Textdokumenten und literarischen Zeugnissen aus den im Deutschen Exilarchiv in Frankfurt am Main befindlichen Nachlässen jüdischer Emigrantinnen zeichnet die Autorin die dramatischen Umstände der individuellen Fluchtwege akribisch nach. (2017)

Barbara Hahn - Endlose Nacht. Charlotte Beradt - Das Dritte Reich des Traums
"Dieses Buch begibt sich auf die Suche" nach dem verborgenen Ort, an dem die Erfahrungen aus dem Jahrhundert der Gewalt liegen. Denn, so die Theorie, Träume verschwinden im Gegensatz zur Realität nie. (2016)

Elfi Hartenstein - Jüdische Frauen im New Yorker Exil
Jüdisch, weiblich, im Exil. Wer denkt da nicht an die Ehefrauen berühmter jüdischer Intellektueller? Was ist aber mit den vielen unbekannten Biografien jüdischer Exilantinnen? Was bedeutet Exil? (2011)

Sabine Richebächer - Sabina Spielrein. Eine fast grausame Liebe zur Wissenschaft
Dank dieser akribisch recherchierten, bewegenden Biographie der Autorin, die selbst als Psychoanalytikerin in Zürich arbeitet, tritt die Ärztin Sabina Spielrein, Pionierin der Kinderpsychologie endlich aus dem Schatten ihrer beiden Überväter, C. G. Jung und Sigmund Freud. (2011)


Literatur

Beitrag vom 15.02.2021

Silvy Pommerenke