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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 25.01.2021


Christina Maria Landerl - Alles von mir
Christina Mohr

Ein schmales Buch mit überbordendem Inhalt – auf diese knappe Formel ließe sich Christina Maria Landerls Roman "Alles von mir" bringen, der im Titel einen berühmten Song von Billie Holiday zitiert...




… und deren Biographie "Lady Sings The Blues" zur zufälligen, jedoch buchstäblich wegweisenden Reiselektüre der namenlose Protagonistin in Landerls Buch wird.

"Alles von mir" ist trotz seiner formalen Kürze von etwas mehr als 120 kleinformatigen Seiten, die überdies locker gesetzt und mit editorisch-gestalterischen Extras wie vertikal gedruckten Ortsangaben versehen sind, ein enorm ambitioniertes Projekt, das stilistisch mit Roadmovie-Motiven spielt und die zumindest zeitweilige Flucht der Ich-Erzählerin aus ihrem alten Leben (mutmaßlich wegen einer schmerzhaften Trennung) mit biographischen Stationen von Bessie Smith, Patsy Cline und eben Billie Holiday verknüpft.

Auf den ersten Seiten werden Landschaftsbeschreibungen wie Kameraeinstellungen verwendet, was den filmischen Charakter verstärkt bzw. einleitet: "Waldiges Gelände im Sonnenschein, brauner Boden, vereinzelte Grasbüschel, die Bäume sind nackt. Ein kurviger, weiß geschotterter Weg, der den Hügel hinunterführt."

Der Roadtrip der Erzählerin führt von Memphis nach Nashville, vorbei an mythenbeladenen Orten, Motels, Diners und Crossroads (wo Bluesgitarrist Robert Johnson einst angeblich seine Seele an den Teufel verkaufte), und durch zwei Städte namens Jackson – was die Protagonistin über die Frage sinnieren lässt, welche wohl das Jackson aus dem gleichnamigen Song ist. Der Bezug auf US-amerikanische Popkultur, vor allem Blues ist allgegenwärtig: Im gesamten Buch sind Songtitel als Fußnoten eingestreut, die sich auf Landerls Text beziehen und als Playlist herunterladbar sind.

Dass der Roman unter diesen ästhetischen und inhaltlichen Anforderungen nicht zerbricht, ist das Verdienst seiner Autorin, die sprachlich direkt und behutsam gleichermaßen vorgeht, Minimalismus mit intensiver Wirkung erzielt: "Ein Musiker betritt den kleinen Raum, packt seine Gitarre aus, fängt an zu spielen. Dass die Sonne nicht scheint, wenn sie weg ist, singt er."

Automatisch erklingt Bill Withers´ Song im eigenen Kopf, definiert die Szene, ohne dass Landerl allzu weit ausholen müsste. Literarisch gekonnt und atmosphärisch auf den Punkt: das trifft im Grunde auf das gesamte Buch zu, in dem immerhin politische und gesellschaftliche Kernprobleme wie Rassismus und nicht existente Gleichberechtigung verhandelt werden. "Eine Schwarzweißfotografie. Zwei Schwarze Männer hängen tot an einem Baum. Darunter stehen viele Menschen, weiße Frauen und Männer, einer zeigt mit dem Finger nach oben. Dass keiner der beiden zwanzig Jahre alt geworden ist, steht darunter, und eine Jahreszahl: 1930."

Landerl braucht nicht viele Worte, um das Grauen zu beschreiben, das Weiße an Schwarzen in den Vereinigten Staaten anrichteten – doch "Alles von mir" ist nicht nur ein politischer Roman. Ebenso reduziert und dennoch emotional beschreibt die Protagonistin neben Rückblenden in die eigene Vergangenheit die Begegnungen und Beziehungen, die sich auf ihrer Reise ergeben: Tanya aus der Kneipe, die ihr Billie Holidays schicksalhaftes Buch überlässt, den ebenfalls in einer Kneipe kennen gelernten One-Night-Stand Jack, und nicht zuletzt Karin, gitarrespielende Globetrotterin aus Schweden, die in Nashville berühmt werden will und ihre so nervige wie wichtige Mitfahrerin wird.
Das Ende des Romans ist offen. Alles andere wäre nicht wahrhaftig.

AVIVA-Tipp: Dass es keinen dicken Schmöker braucht, um eine bewegende Geschichte zu erzählen, stellt Christina Maria Landerl mit "Alles von mir" unter Beweis. Zuweilen ist eine Skizze aussagekräftiger als ein durchkoloriertes Gemälde.

Zur Autorin: Christina Maria Landerl wurde 1979 in Steyr/Oberösterreich geboren, heute lebt sie in Berlin und arbeitet als Schriftstellerin und Sozialpädagogin. Sie erhielt zahlreiche Preise und Stipendien, zuletzt das Arbeitsstipendium des Berliner Senats für "Alles von mir". 2011 erschien ihr Debütroman target="_blank">"Verlass die Stadt" bei Schöffling & Co., bei Müry Salzmann folgte 2016 "Donnas Haus".
Mehr Infos: www.christinamarialanderl.com

Christina Maria Landerl
Alles von mir

müry salzmann 2020
128 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN 978-3-99014-206-6
Mehr zum Buch: www.muerysalzmann.com

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Beitrag vom 25.01.2021

Christina Mohr