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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 18.12.2020


Unda Hörner - 1929. Frauen im Jahr Babylon
Christina Mohr

Als die wilden Zwanziger Jahre zu Ende gehen, ist die Emanzipation der Frauen schon weit vorangeschritten – kaum etwas scheint die "moderne Frau" noch aufhalten zu können. Doch die Weimarer Republik bröckelt, die Vorzeichen verheißen nichts Gutes für die Zukunft. Weder für Männer noch für Frauen...




Das Jahr 1929 war in der jüngeren Vergangenheit in aller Munde, beziehungsweise aller Augen: Die deutsche TV-Serie "Babylon Berlin", basierend auf den Kriminalromanen Volker Kutschers, zeichnete in drei Staffeln ein so faszinierendes wie furchteinflößendes Bild der letzten Monate der Weimarer Republik, präsentierte Berlin als Sündenpfuhl und inspirierende Metropole. Und das so erfolgreich, dass im kommenden Frühjahr mit einer weiteren Staffel zu rechnen ist. Nicht nur in der Hauptfigur Charlotte Ritter, auch in vielen anderen Rollen der Serie zeigt sich das neue Selbstbewusstsein von Frauen in den ausgehenden Zwanziger Jahren – womit wir aus der Fiktion in die Realität wechseln, oder besser: in erzählte Wirklichkeit.

Unda Hörner, Autorin von Büchern wie "1919. Das Jahr der Frauen" oder "Kafka und Felice" widmet sich in ihrer jüngsten Veröffentlichung dem "Jahr Babylon". 1929 also, als Deutschland, zehn Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs unaufhaltsam der nächsten Katastrophe entgegenschlittert. Doch noch sind die Nationalsozialisten nicht an der Macht, noch scheinen die Möglichkeiten der neuen wissenschaftlichen, technischen und künstlerischen Errungenschaften grenzenlos.

Frauen sind längst ganz vorne mit dabei: Die erfolgreiche Rennfahrerin Clärenore Stinnes zum Beispiel umrundet mit einem serienmäßig hergestellten Auto die Erde, was die Geschwister Erika und Klaus Mann zu einer ähnlichen Tour animiert – woraus die beiden natürlich ein Reisebuch machen, Schriftsteller:innenerbe verpflichtet! Die Karriere der vielversprechenden Schauspielentdeckung Marlene Dietrich kommt endlich in Schwung, während sich Fotografin Lotte Jacobi mit ihren außergewöhnlichen Künstler:innenporträts einen Namen macht. Eins ihrer Modelle heißt ebenfalls Lotte: mit Nachnamen Lenya, bürgerlich Karoline Wilhelmine Charlotte Blamauer, die mit großen Träumen aus Wien über Zürich schließlich nach Berlin kam, um die berühmteste Seeräuber-Jenny aller Zeiten zu werden. 1929 ist Brechts "Dreigroschenoper" der große Hit, und frau kann nicht von Bertolt Brecht reden, ohne all die Frauen um ihn herum zu erwähnen, die meist selbst große Künstlerinnen waren. Helene Weigel natürlich, Carola Neher oder die Ingolstädter Schriftstellerin Marieluise Fleißer, die alle in Unda Hörners Panoptikum gewürdigt werden.

Die Kapitel entsprechen jeweils einem Monat, sodass sich anhand der chronologischen Abfolge ein lebendiges Panorama mit lauter Hauptdarstellerinnen entwickelt, die Unda Hörner so liebevoll wie kenntnisreich beschreibt. Einziges Manko – und dem Genre des erzählten Sachbuchs quasi inhärent -:

Die erfundenen oder aus biografischen/literarischen Texten gebauten Dialoge oder gar Gedanken der dargestellten Personen schaffen im besten Fall lebensnahe Atmosphäre, wirken jedoch zuweilen fragwürdig. Ob sich Vicki Baum tatsächlich aufgrund eines wenig schmeichelhaften Zeitungsartikels Gedanken darüber machte, ob sie zu dick sei, oder ob Erika Mann im Gespräch mit ihrem Bruder das Gesicht in dieser oder jener Form verzog – derlei Details kann niemand kennen. Fiktive Beobachtungen wie diese sind der Phantasie der Autorin entsprungen, und wir müssen ihr vertrauen, dass ihre Ideen den dargestellten Personen entsprechen. Interesse für die klugen, schöpferischen Frauen des Jahres Babylon wecken sie auf jeden Fall.

AVIVA-Tipp: Mit diesem Buch setzt Unda Hörner den kreativen, emanzipierten und wagemutigen Frauen der Zwanziger Jahre ein würdiges Denkmal. Die erzählten Lebensgeschichten der Künstler:innen fordern regelrecht dazu auf, sich noch genauer mit ihren Werken zu befassen.

Unda Hörner
1929. Frauen im Jahr Babylon

ISBN: 978-3-86915-213-4
Format: 12,5 x 20,5 cm
Seiten: 280 S.
Einband: Gebunden. Ausstattung: Hardcover, mit Schutzumschlag
Preis: 22,00 € [D]
ebersbach & simon, erschienen 19.08.2020

Mehr Informationen zum Buch und Bestellung unter: www.ebersbach-simon.de

Zur Autorin: Unda Hörner geboren 1961, promovierte über Elsa Triolet, ist Germanistin und Romanistin und eine Spezialistin für die Geschichte der 1920/30er Jahre. Neben mehreren biographischen Werken, u.a. "Die realen Frauen der Surrealisten. Simone Breton, Gala Éluard, Elsa Triolet" (1996), "Madame Man Ray. Fotografinnen der Avantgarde in Paris"(2002) und "Scharfsichtige Frauen. Fotografinnen der 20er und 30er Jahre in Paris" (2010) veröffentlichte sie im Herbst 2000 ihren ersten Roman "Unter Nachbarn" sowie 2010 "Orte jüdischen Lebens in Berlin. Literarische Spaziergänge durch Mitte". 2012 erschien "Berliner Luft – Pariser Leben. Geschichten und Geschichte".
Ebenfalls von Unda Hörner bei ebersbach & simon erschienen sind die Titel "Am Horizont der Meere. Gala Dalí", "Ohne Frauen geht es nicht. Kurt Tucholsky und die Liebe", "Kafka und Felice", "1919. Das Buch der Frauen", "Hoch oben in der guten Luft" sowie "Auf nach Hiddensee!".
Für ihre Kurzgeschichte "Hangar für Hellermann" erhielt sie 2001 den Bettina-von-Arnim-Preis. Unda Hörner lebt und arbeitet als freie Autorin, Herausgeberin, Journalistin und Übersetzerin in Berlin.

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Unda Hörner - Am Horizont der Meere. Gala Dalí
Unda Hörner ("1919. Das Buch der Frauen", "Berliner Luft – Pariser Leben") zeichnet ein lebendiges Portrait einer außergewöhnlichen und charismatischen Frau, die aus dem ihr bestimmten bürgerlichen Lebensweg ausbricht und alle Schranken überwindet, um ihren Traum zu leben: sichtbar zu sein, frei und unabhängig. (2019)

Unda Hörner - 1919. Das Buch der Frauen
1919 durften die Frauen in Deutschland zum ersten Mal wählen – und auch sonst war es ein Jahr des Aufbruchs, in dem alles wieder möglich schien. Unda Hörner ("Ohne Frauen geht es nicht. Kurt Tucholsky und die Liebe", "Berliner Luft – Pariser Leben") zieht ihre Leserinnen und Leser mitten hinein in dieses besondere erste Nachkriegsjahr und nimmt sie mit in das Leben außergewöhnlicher Frauen in Berlin, Weimar, Wien und Paris. (2018)

Unda Hörner - Kafka und Felice
Phantasievoll und kenntnis- wie detailreich hat Unda Hörner ihren Roman anhand des Briefwechsels zwischen Franz Kafka und Felice Bauer gestaltet, der die Leserin vom ersten Satz an in die historische Zeit des Beginns des zwanzigsten Jahrhunderts katapultiert. (2017)

Unda Hörner - Ohne Frauen geht es nicht. Kurt Tucholsky und die Liebe
"Es gibt keinen Erfolg ohne Frauen" schrieb Kurt Tucholsky in seinen "Schnipseln". Ob er damit auch seinen eigenen Erfolg als Journalist, Dichter und Schriftsteller meinte? Unda Hörner ("Berliner Luft – Pariser Leben") berichtet von den Frauen in seinem Leben denen er Lieder und Gedichte schrieb, die ihn zu Romanfiguren inspirierten, die er liebte und bewunderte. Zu ihnen gehörten Claire Waldoff, Trude Hesterberg, Irmgard Keun, Gussy Holl, Lisa Matthias und viele andere. (2017)

Unda Hörner – Berliner Luft – Pariser Leben
Wer Paris mag, lernt Berlin zu lieben, wem Berlin vertraut ist, die kann es in dieser Lektüre in Paris wiederfinden. Die Autorin widmet sich nach Werken über Avantgarde und Bohème nun diesen zwei besonderen Metropolen. (2012)

Grenzgängerinnen der Moderne
Im Band "Gelebte Sehnsucht", stellen vier Autorinnen – Unda Hörner, Alexandra Lavizzari, Susanne Nadolny (auch die Herausgeberin) und Jutta Rosenkranz – 8 Künstlerinnen vor. Von Helen Hessel über Claire Goll bis Annemarie Schwarzenbach. (2006)

Dat söte Länneken und die Bohème
"Unser Haus ist umgeben von einem hellgrünen Grasteppich. Himmelblaue Decken sind aus Stralsund für die Gastbetten gekommen. Im Keller ist Pilsner und Korn aufgelagert, unsere Gäste können kommen." Unda Hörner geht in "Auf nach Hiddensee!" den Spuren der Bohème auf Hiddensee nach. (2003)

Madame Man Ray von Unda Hörner
Das faszinierende Leben und Werk von zehn Fotografinnen bestimmten die Kunstbewegungen der Avantgarde in Paris der 20er und 30er Jahre mit. (2002


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Beitrag vom 18.12.2020

Christina Mohr