Ahima Beerlage – Riss in der Zeit - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Literatur



AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 02.05.2020


Ahima Beerlage – Riss in der Zeit
Silvy Pommerenke

Die Mittzwanzigerin Jana hat gerade ihren ersten Auftrag als Kirchen-Restauratorin hinter sich gebracht, und kehrt aus dem Brandenburger Umland zurück nach Berlin in die Arme ihrer Lebensgefährtin Frauke. Seit drei Jahren sind sie ein Paar, und alles scheint bestens für die beiden zu laufen. Aber Jana hat ein Geheimnis, was sie Frauke bislang noch nicht anvertraut hat. Der neue Roman der Autorin von "Lesbisch – Eine Liebe mit Geschichte", ebenfalls erschienen im Verlag Krug & Schadenberg




Um was für ein Geheimnis es sich handelt, bleibt lange unklar und hebt so für die Leser*in den Spannungsbogen, so dass es wirklich schwerfällt, das Buch aus der Hand zu legen.

Da Ahima Beerlages Protagonistin ihr Mysterium sehr gut hütet, führt die Autorin einen Antagonisten ein, der maßgeblich daran beteiligt ist, das Geheimnis aufzudecken. Bruno, ein Zeitungsvolontär, langweilt sich in der Provinzredaktion, da ihn die Themen Geflügelzüchterverein oder Freiwillige Feuerwehr nicht wirklich interessieren. Als er aber von der Einweihung der frisch restaurierten Kirche berichtet, kommt er auf die Spur von Jana und ihrer Vergangenheit. Sein investigativer Ehrgeiz wird geweckt und er löst damit eine wahre Katastrophe aus...

"Riss in der Zeit" ist nicht nur ein äußerst spannender Roman, sondern er führt die Leser*in auch detailliert ein in die vielfältige Welt der Restauration. Alte Fresken erwachen zu neuem Leben, indem Schichten von Putz und Mörtel behutsam abgetragen und Schadstellen akribisch ausgebessert werden, sodass die alte Schönheit wieder in neuem Glanz erscheint. Neben diesen Details über das Restaurationshandwerk, die einerseits nur einen Parallelstrang darstellen, andererseits auch allegorisch zu sehen sind, entfaltet Autorin Ahima Beerlage ein psychologisches und feinfühliges Psychogramm ihrer Hauptfigur, das in die Tiefen ihrer Seele führt und die Leser*in teilhaben lässt, an den Sorgen und Nöten Janas. Das Geheimnis, das sie in der dreijährigen Beziehung vor ihrer Partnerin gut gehütet hat, bricht unvermittelt auf und belastet die Liebe der beiden und das nähere Umfeld von Jana stark. Es geht in dem Roman um die Fragen, wieviel Vertrauen in einer Beziehung nötig, wieviel Verschweigen der Schatten der Vergangenheit schädlich ist, und wie sich diese Gemengelage auf eine Liebe beziehungsweise auf Freundschaften auswirken kann. Letztendlich geht es auch darum, dass Liebe auch eine Form von Projektion ist, die mit dem Gegenüber nicht immer übereinstimmt. Wissen wir wirklich, mit wem wir Bett und Tisch teilen? Oder unterliegen wir einem Trugschluss? Im Falle von Jana wird Frauke völlig von deren Vergangenheit überrascht, die sich gravierend auf die Gegenwart und deren gemeinsames Leben auswirkt. Der Riss, der vor langer Zeit eine Zäsur in Janas Biografie gebracht hat, lässt sich nicht länger verschweigen, und Jana wird gezwungen, ungewöhnliche Schritte einzuleiten, um die aus den Fugen geratene Welt wieder halbwegs in Ordnung zu bringen. Sie muss dabei ebenso behutsam vorgehen, wie bei ihren Restaurationsarbeiten an der brandenburgischen Kirche. Und auch wenn die Narben bleiben, so werden sie vielleicht irgendwann nicht mehr schmerzen.

AVIVA-Tipp: Der "Riss in der Zeit" ist von der ersten Seite an hoch dramatisch geschrieben und reißt die Leser*in wahrhaft mit. Es ist eine Mischung aus psychologischer Fallstudie, Liebesroman und Medienkritik. Zudem geht es um Vorurteile, Ausgrenzung und Sippenhaft, aber auch um bedingungslose Freundschaft und Solidarität. Die Hauptfigur Jana quält sich mit der Aufarbeitung traumatischer Erlebnisse und erlebt die Folgen einer posttraumatischen Belastungsstörung. Die Leser*in ist immer ganz nah dran, und Ahima Beerlage erzählt kenntnisreich und sensibel von diesem Prozess. Dabei ist ein tiefschürfender Roman entstanden, der mit leichter Feder geschrieben wurde.

Zur Autorin: Ahima Beerlage, geboren 1960, lebt als Autorin in Berlin. Geboren und aufgewachsen in Gelsenkirchen-Buer, studierte sie Literaturwissenschaften, Kunstgeschichte und Politik in Marburg/Lahn und kam 1987 nach Berlin. Beim linken Privatsender Radio 100 saß sie für die erste schwul-lesbische Sendung Eldoradio am Mikrofon und ist Miterfinderin der "Queerparty" im SO36 in Berlin-Kreuzberg. Nach einigen veröffentlichten Erzählungen, Essays und Zeitungsartikeln erschien 1998 ihr erster Roman "Sterne im Bauch" in den Anfangsjahren des Verlags Krug & Schadenberg. Sie steuerte Geschichten bei zu den erotischen Anthologien "Verführungen" und "Augenblicke" und vielen weiteren Büchern zum Thema lesbische Erotik. Einige Jahre lang komplettierte sie das Podium bei der "Lesbischen Auslese", dem literarischen Quartett im Berliner Frauen-Kultur-Treff Begine. Nach fünf Jahren als Autorin bei einer TV-Serie ist Ahima Beerlage jetzt im vorzeitigen Ruhestand und schreibt, liest und rezensiert Bücher für das AVIVA-Berlin und die Frauenliteraturzeitung Virginia. Im Mai 2018 erschien, ebenfalls im Verlag Krug & Schadenberg, ihr Buch "Lesbisch – Eine Liebe mit Geschichte". 2010 hat Ahima Beerlage ihre Frau Sabine geheiratet, eine evangelische Pastorin.

Ahima Beerlage – Riss in der Zeit
Verlag Krug und Schadenberg, Erscheinungstermin 03/2020
Broschiert, 272 Seiten
ISBN 978-3-95917-017-8
Euro 16,90
Mehr zum Buch unter: www.krugschadenberg.de



Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Ahima Beerlage. Lesbisch. Eine Liebe mit Geschichte
Aufgewachsen in einem streng katholischen Elternhaus war ihr Coming out alles andere als einfach. In ihren Erinnerungen schildert die Aktivistin, Moderatorin, Queer-Party-Veranstalterin, Autorin und Redakteurin den Prozess vom befreienden Moment im Jahr 1980 über alle Metamorphosen und unterschiedlichste Stationen in ihrem Leben bis heute. Ihr Buch stellt ein individuelles wie gesellschaftlich wertvolles Zeitdokument der Lesbengeschichte aus persönlichster Perspektive dar. Im Interview mit AVIVA spricht Ahima über Etiketten bzw. Label-Schubladen, ihre Motivation, dieses Buch geschrieben zu haben und Visionen für eine gemeinsame, für eine freiere Gesellschaft, in der Ausgrenzungen auch innerhalb der Community endgültig ad acta gelegt werden. (2018)

Tania Witte - bestenfalls alles
Was passiert, wenn deine mühsam erkämpfte multikulturelle Identität sich in Nichts auflöst? In ihrem dritten Roman schickt die Journalistin und Spoken-Word-Performerin ihre queere Clique auf einen turbulenten Roadtrip durch die Vergangenheit. (2014)


Literatur

Beitrag vom 02.05.2020

Silvy Pommerenke