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Beitrag vom 11.09.2019
Roxane Gay - Bad Feminist
Silvy Pommerenke
Ihre Bücher gehören in den USA schon länger zum feministischen Kanon. Seit dem Frühjahr 2019 ist die Afro-Amerikanerin nun auch in der deutschen Übersetzung zu lesen. Mit "Bad Feminist" greift sie in einer Sammlung von Essays nicht nur die bestehende Geschlechterfrage auf, sondern analysiert auch, wie sehr sich Herkunft und Race auf Frauen, Männer und die Gesellschaft auswirken.
Roxane Gay wendet bewusst den Begriff Bad Feminist, schlechte Feministin, auf sich an, weil sie sich für fehlbar hält und nicht immer dem Idealfeminismus folgt. Wobei es diesen gar nicht gibt, da für jede Frau andere Regeln gelten - je nach Hautfarbe, Religion, Ursprungsland und noch vielem anderen - somit der Feminismus pluralistisch ist und damit der Raum für Intersektionalität geöffnet wird. Ein weiterer Grund, sich selbst Bad Feminist zu nennen ist, dass sie auf keinen Sockel gestellt werden möchte, da die Fallhöhe von dort zu hoch wäre. So fordert sie die Leser*in auf, sie als "bereits gestürzt" zu betrachten. Dies konnotiert sie allerdings mit ironischem Unterton, denn sie benutzt häufig Ironie, um schwer verdauliche Themen lesbarer zu machen. Neben diesem Stilmittel übt Gay vielfach Selbstkritik, was zum einen ihre These unterstreicht, sie sei eine schlechte Feministin, zum anderen sie für die Leser*in nahbar und menschlich macht.
Etwas überraschend ist, dass einige Essays aus "Bad Feminist" nicht von feministischen Theorien handeln und keine kritische Auseinandersetzung mit dem Feminismus sind. Vielmehr greift Roxane Gay noch weitere Diskussionspunkte auf: "Gender, Race und Sex". Vorzugsweise behandelt sie diese Themen, indem sie populärkulturelle Film- und Buchanalysen vornimmt und daran exemplarisch die Missstände in der Gesellschaft aufdeckt.
So analysiert sie beispielsweise die amerikanische HBO Serie "Girls" und kritisiert, dass dort keine Menschen of Colour, abgebildet werden, sondern ausschließlich weiße junge Frauen und Männer aus einer bestimmten privilegierten Schicht, was nicht die Realität abbilden würde. Zwar sind nicht alle Filme, Serien, TV-Shows und Bücher, auf die sich Gay bezieht, hierzulande bekannt oder sie sind sogar völlig unbekannt, nichtsdestotrotz ist ihre Kritik für deutsche Leser*innen immer nachvollziehbar. Bei den Büchern und Filmen, die auch in Deutschland bekannt sind (unter anderem "Fifty Shades of Grey", "Twilight", "Die Tribute von Panem" oder "Django Unchained"), wird deutlich, wie stark Roxane Gay in ihrer Analyse und Interpretation ist. Sie zerpflückt die Storys und die Frauen- und Männerbilder dieser Romane und Filme, und lässt - trotz ihrer eigenen Ambivalenz - kein gutes Haar daran. Sie ist in ihren Analysen bestechend scharfsinnig, klug und durchdacht, und hilft der Leser*in dadurch, die Filme oder Bücher mit anderen Augen zu sehen.
Vor allem das vorletzte Kapitel "Politik, Gender & Race" ist ihr großartig gelungen, denn da verlässt Roxane Gay den Rahmen der popkulturellen Analyse und wendet sich der übergeordneten Gesellschaftsanalyse zu. Diese Essays sind besonders beeindruckend, ebenso wie das letzte Kapitel "Zurück zu mir", in dem Roxane Gay noch einmal auf ihr Gefühl der Ambivalenz zurückkommt, als Feministin ungenügend zu sein. Genau diese Diskrepanz zwischen öffentlicher Erwartung und persönlichem Spagat machen ihre Schriften so lesenswert, weil sie nicht von oben herab argumentiert. Sie fasst ihr Dilemma so zusammen: "Ich lebe Feminismus in vielerlei Hinsicht falsch, zumindest wird meine Vorstellung von Feminismus immer wieder von meinem Dasein als Frau gestört." Aber sie sagt auch: "Lieber eine schlechte Feministin als gar keine".
Einziges Manko des Buches ist, dass es kein Register gibt. Denn aufgrund der Fülle an Informationen der besprochenen Bücher und Filme wäre es hilfreich gewesen, um nach (oder auch während) der Lektüre von "Bad Feminist" gezielt nachschlagen, nachlesen und den Überblick behalten zu können.
AVIVA-Tipp: Roxane Gay hat mit "Bad Feminist" einen Gegenentwurf zu anderer feministischer Literatur wie beispielsweise der von Laurie Penny, Virginie Despentes oder Jessa Crispin angelegt. Sie geht in ihrer Gesellschaftskritik viel weiter, indem sie nicht nur die Rolle der Frauen beleuchtet, sondern auch Herkunft und Hautfarbe, wodurch sie den Raum für Intersektionalität öffnet. Ihre messerscharfen Analysen wendet sie vor allem auf Populärkultur wie Romane oder Filme an und überträgt die daraus gezogenen Schlüsse auf die US-amerikanische Gesellschaft. Gleichzeitig betont sie aber auch, dass jede Gesellschaft und jede einzelne Frau ihren ganz eigenen Feminismus benötigen. Für eine "schlechte Feministin" ist ihr ein wirklich sehr gutes Buch gelungen!
Zur Autorin: Roxane Gay, als Tochter haitianischer Auswander*innen 1974 in Nebraska, USA, geboren, promovierte in Kreativem Schreiben und arbeitet als Englisch-Professorin, unter anderem an der Yale University. Neben Artikeln für die New York Times und den Guardian schreibt sie Sachbücher, Romane, Kurzgeschichten oder Comics und arbeitet für Film und Fernsehen. Zudem ist sie aktiv auf Twitter, hat einen Podcast und ein Online-Magazin und gründete den Verlag Tiny Hardcore Press. Das Sachbuch "Bad Feminist" erschien bereits 2014 in den USA und stand auf der Bestsellerliste der New York Times, wie auch der Nachfolger "Hunger: Die Geschichte meines Körpers" aus dem Jahr 2017. Seit dem Frühjahr 2019 gibt es diese beiden Bücher auch in der deutschen Übersetzung bei btb. Roxane Gay erhielt diverse Auszeichnungen und Stipendien, unter anderem 2018 den Guggenheim Fellowship for Creative Arts.
Roxane Gay im Netz: www.roxanegay.com, auf Facebook, auf Twitter und ihrem Internet Magazin "Gay-Mag"
Roxane Gay - Bad Feminist
Originaltitel: Bad Feminist
Ãœbersetzung: Anne Spielmann
btb, Erscheinungstermin 05/2019
Taschenbuch, 416 Seiten
ISBN 978-3-442-71781-1
Euro 10,00
Mehr zum Buch unter: www.randomhouse.de
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