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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 06.09.2019


Delia Owens – Der Gesang der Flusskrebse
Bärbel Gerdes

In dem ersten Roman der US-amerikanischen Zoologin Delia Owens taucht die Leserin tief ein in die Marschlandschaft North Carolinas und in das Leben eines Mädchens, das völlig allein in einem verfallenden Haus lebt. Mit ihr durch die Sümpfe zu streifen und über die Wasser zu gleiten, verspricht höchstes Leseglück.




Seit 48 Wochen auf der Bestsellerliste der New York Times, mehr als drei Millionen verkaufte Exemplare allein in den USA, die berühmte Schauspielerin und Filmproduzentin Reese Witherspoone will es verfilmen … mehr Ruhm geht kaum noch. Delia Owens hat mit ihrem Debütroman die Leser_innenschaft begeistert.

In den 50ger Jahren im Süden Georgias aufgewachsen, wurde Owens von ihrer Mutter ermutigt, die Eichenwälder zu entdecken, sich draußen aufzuhalten, dorthin zu gehen, wo die Flusskrebse singen. "Go way out yonder where the crawdads sing", gab sie ihr auf den Weg – und diesem Buch seinen Namen.

Schon als Kind begann Owens zu schreiben und wusste, dass sie irgendwann eine Schriftstellerin werden würde.
Viele Sommer verbrachte die Familie in North Carolina, wo die junge Delia die üppige Marschlandschaft kennen und lieben lernte.
Statt jedoch Romane zu schreiben, begann sie ein Studium der Zoologie und promovierte an der University of California im Bereich Verhaltenswissenschaften der Tiere. Mit ihrem Mann ging sie schließlich nach Afrika. Sie ließen sich zunächst in völliger Abgeschiedenheit in der Kalahari-Wüste nieder, wo sie ihre Beobachtungen genauso detailliert notierten wie Jane Goodall oder Dian Fossey. Später arbeiteten sie im North Luangwa National Park. Ihre kontrovers diskutierten Maßnahmen gegen Wilderei fanden Eingang in den Film Deadly Game: The Mark and Delia Owens Story, der 1996 herauskam.
Das Paar schrieb zahlreiche Bücher über ihre lange Zeit in Afrika, darunter der bekannte Titel Cry of the Kalahari.

All dieses Wissen über die Wildnis, über das sich Bewegen in der Natur fließt in diesen großartigen Roman ein. Kya ist sechs Jahre alt, als ihre Mutter Hals über Kopf ihre Kinder und ihren gewalttätigen, trinkenden Ehemann verlässt. Nach und nach verschwinden auch die Geschwister, bis Kya nur noch mit ihrem Vater in dem armseligen Haus inmitten der Sümpfe lebt, das völlig isoliert fast nur mit dem Boot erreichbar ist. Doch auch der Vater ist eines Tages verschwunden.
Kya bleibt zurück an diesem Ort des Lichts, wo Gras in Wasser wächst und Wasser in den Himmel fließt.
Halbherzige Versuche, das Mädchen in das Dorfleben oder die Schule zu integrieren, scheitern – nicht zuletzt am Widerstand Kyas. Das kluge Mädchen versucht, sich so gut wie möglich durchzuschlagen. Sie pflanzt Gemüse an, geht fischen und sucht die Gesellschaft der Tiere, vor allem die der Vögel. Sie sammelt Federn, zeichnet sie, ordnet sie den Vögeln zu. Als sie Tate kennenlernt, der ihr Lesen und Schreiben beibringt, erwächst nach und nach ein Kompendium der Natur der Marschen.
Kya sammelt Muscheln und fängt Fische und tauscht sie bei Jumpin, dem Bootstankstellenwart, der wegen seiner Hautfarbe aus der Gemeinschaft ausgegrenzt wird, gegen Benzin und Lebensmittel.
Unter all dieser Stärke liegt aber auch eine große Einsamkeit und eine große Sehnsucht danach, ihr Leben zu teilen und sich mitzuteilen. Die einsamen Streifzüge mit dem Boot durch die Gewässer, die Gespräche mit der Möwe, die jeden Tag kommt, sind berührend geschildert und an keiner Stelle sentimental.

Natürlich ist das "Marschmädchen" den DorfbewohnerInnen suspekt.
Und so ist schnell ein Urteil gefällt, als Chase, der Don Juan des Dorfes, tot unter einem Feuerwachturm gefunden wird.

AVIVA-Tipp: Dieser spannende und sehr poetische Roman changiert beständig zwischen Naturbuch, Lebensgeschichte eines klugen und sehr außergewöhnlichen Mädchens und Polizeiermittlungen. Bis zur buchstäblich letzten Seite gelingt es Delia Owens die Spannung zu halten.

Zur Autorin: Delia Owens, ca. 1949 in Georgia geboren, studierte Zoologie und promovierte im Fach Animal Behaviour an der University of California. 1974 zog sie mit ihrem Mann Mark nach Afrika, wo sie unter anderem eine Forschungsstation errichteten. Gemeinsam schrieben die beiden über ihre Erlebnisse u.a. in den Büchern Cry of the Kalahari und The Eye of the Elephant. Delia Owens wurde mit dem John Burroughs Award for Nature Writing ausgezeichnet und veröffentlichte u.a. in Nature, Journal of Mammalogy, The African Journal of Ecology und International Wildlife. Der Gesang der Flusskrebse (Originaltitel: Where the Crawdads Sing, 2018) ist ihr erster Roman. Delia Owens lebt in Boundary County, Ohio.
Mehr Infos zur Autorin: www.deliaowens.com

Zur Übersetzerin: Ulrike Wasel, geboren 1955 in Bergneustadt, studierte Anglistik, Amerikanistik und Romanistik. Seit vielen Jahren arbeitet sie gemeinsam mit Klaus Timmermann als Übersetzerin englischer und amerikanischer Literatur. Unter den von beiden übersetzten AutorInnen zählen Michael Crichton, Dave Eggers, Noah Gordon, P. D. James, Robert Littell, Kate Mosse, Jodi Picoult, Zadie Smith und Scott Turow. Ulrike Wasel lebt in Düsseldorf.

Zum Übersetzer: Klaus Timmermann wurde 1955 in Bocholt geboren. Nach dem Lehramtsstudium mit den Fächern Englisch und Französisch, arbeitete er seit 1991 gemeinsam mit Ulrike Wasel als Übersetzer.

Delia Owens
Der Gesang der Flusskrebse

Originaltitel: Where the Crawdads Sing
Aus dem amerikanischen Englisch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
Hanserblau, erschienen im Juli 2019
Fester Einband mit Schutzumschlag, 464 Seiten
ISBN 978-3-446-26419-9
Euro 22,00
Mehr zum Buch www.hanser-literaturverlage.de

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Beitrag vom 06.09.2019

Bärbel Gerdes