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Beitrag vom 17.05.2019
Virginia Woolf - Brief an einen jungen Dichter
Bärbel Gerdes
In ihrem "Brief an einen jungen Dichter" aus dem Jahr 1932 seziert die Prosaschriftstellerin Virginia Woolf klug und genüsslich die Lyrik ihrer Gegenwart, um die Frage zu beantworten, ob die Dichtkunst tot sei. Tot sei sie nicht, resümiert sie, aber es fehle ihr an Leben.
"Ich halte Ihre Idee eines Briefes für höchst brillant." schreibt Virginia Woolf im September 1931 an John Lehmann, Lektor ihres Verlages The Hogarth Press. "Denn in mir kochen unreife und schlecht durchdachte und wilde und ärgerliche Gedanken über Prosa und Lyrik hoch." Stephen Spender, W.H. Auden, Cecil Day Lewis und natürlich Lehmann selbst müsse sie lesen und dann werde [ich] alles von mir geben, was mir über euch Junge und uns Alte einfällt, und über Romane – wie verdammt sie sind – und Lyrik, wie tot. (zitiert nach: Hermione Lee: Virginia Woolf, 1999).
Und schon galoppiert sie los, wie nur Virginia Woolf losgaloppieren kann. Die Brillanz ihres Stils, ihre Wortgewandtheit und Ironie lassen die Leserin sofort hineinspringen in die Beantwortung der Frage, wie es mit der Dichtkunst weitergeht oder ob sie gar schon tot ist.
Doch halt, erst muss sie an Mr Peabody erinnern, der stets sämtliche Künste für tot erklärte, darunter auch die Kunst des Briefeschreibens. Niemand nähme sich mehr die Zeit dafür, geschweige denn dafür, das t mit einem säuberlichen Strich zu versehen. Stattdessen eilten wir ans Telefon – und diese Bemerkung erscheint dann auch der heutigen Leserin sehr modern.
Virginia Woolf ist eine Prosaschriftstellerin. Nie hat sie sich der Dichtkunst ergeben. Und so muss sie zunächst einen Kampf ausfechten zwischen der Freiheit der Prosa und den Beengungen des Dichtens. Wie, so fragt sie, soll man denn sagen, was man meint, und gleichzeitig die Regeln der Dichtkunst einhalten? Um sogleich anzuheben zu einem Vortrag über Poetik, über das Leben und wie Leben und Schönheit gleichermaßen Eingang in die Lyrik finden könnten.
Die Situation der jungen Dichter sei nicht einzigartig, betont sie. Ihnen voran seien Shakespeare, Dryden, Shelley gegangen, ihnen selbst würden andere folgen. Doch ins Zentrum ihrer Lyrik würden die jungen Dichter die eigene Person stellen. Da dies nicht ausreiche, versuchen die, das Leben in ihre Dichtkunst hineinzuschreiben, ohne dem Leben selbst eine Stimme zu geben. Gedichte von Auden, Lewis, Lehmann zitiert sie, schlechte Gedichte, sterile Gedichte, die die Schönheit außen vor lassen. Es entsteht kein abgerundetes Ganzes. Der Dichter interessiert sich sehr viel weniger für das, was uns verbindet, als vielmehr für das, was ihn abhebt., konstatiert sie scharfzüngig, während Shakespeare von Hamlet, Falstaff und Kleopatra zu seinem Wissen gedrängt wurde und weil die Adeligen, die Offiziere, die Untergeben, die Mörder und die einfachen Soldaten in seinen Stücken darauf beharrten, dass er genau das ausdrücken solle, was sie fühlten, in den Worten, die ihre Gefühle wiedergaben.
Virginia Woolf hat sechs große Bände mit Essays hinterlassen. Ihre Rezensionen, Ansichten, Auseinandersetzungen sprühen wie ein Feuerwerk, sind voller Leben, voller Geist, voller Witz. Virginia Woolfs Essays müssen den Neid jeder Biographin erregen", schreibt Hermione Lee bewundernd.
Umso schöner ist es, dass dieser Brief-Essay oder Essay-Brief, dieser Schatz, jetzt vom L.S.D. Verlag gehoben wurde, jenem kleinen feinen Verlag, den Gerhard Steidl und Karl Lagerfeld gemeinsam gründeten, um bewusstseinserweiternde Literatur zugänglich zu machen.
AVIVA-Tipp: Es ist immer wieder anregend, Essays von Virginia Woolf zu lesen – so auch hier. Ihr Brief an einen jungen Dichter funkelt und strahlt und gibt der Dichtkunst eine geistreiche Stimme.
Zur Autorin: Virginia Woolf geboren am 25. Januar 1882 in London, gestorben am 28. März 1941 bei Rodmell in Lewes. Woolf war eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen, Kritikerinnen und feministischen Denkerinnen der Moderne. Zudem war sie als Verlegerin in ihrem eigenen Verlag, der Hogarth Press tätig. Zu ihren Werken gehören "Mrs Dalloway" (1925), "Zum Leuchtturm" ("To the Lighthouse", 1927), "Orlando" (1928) und "Die Wellen" ("The Waves", 1931). Ihre feministischen Essays "Ein Zimmer für sich allein" ("A Room of One´s Own", 1929) und "Drei Guineen" ("Three Guineas", 1938) wurden im Zuge der Neuen Frauenbewegung der siebziger Jahre neu entdeckt.
Virginia Woolf
Brief an einen jungen Dichter
Originaltitel: A Letter to a Young Poet (1932)
Aus dem Englischen von Tanja Handels
L.S.D. Verlag, erschienen im April 2019
Gebunden, 64 Seiten
ISBN 978-3-86930-947-7
12.80 Euro
Mehr zum Buch: steidl.de
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