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Beitrag vom 22.08.2018
Steinunn Sigurðardóttir - Heiðas Traum. Eine Schäferin auf Island kämpft für die Natur
Bärbel Gerdes
Heiða Guðný Ásgeirsdóttirs Leben ist außergewöhnlich: vom Model wird sie zur Bäuerin und Schäferin, Fötenzählerin und Politikerin. Die isländische Autorin und TV- und Radio-Journalistin Steinunn Sigurðardóttir ("Sonnenscheinpferd, 2008, "Herzort" ,2001, "Der Zeitdieb",1997, und "Der gute Liebhaber", 2011). hat sie bei ihrer Arbeit und bei ihrem Kampf gegen ein gigantisches Kraftwerk begleitet.
"Ich würde niemals all das können, was ich heute kann, wenn man mir als Kind nichts zugetraut hätte. Mir hat nie jemand gesagt, ich könne irgendetwas nicht schaffen, weil ich eine Frau bin."
Beeindruckend ist, was sie alles kann: Dächer reparieren, an Schafschurwettbewerben teilnehmen, Motoren reparieren, Ställe bauen, Schafe schlachten, Pferde einreiten… Heiða Guðný Ásgeirsdóttir ist auf einem isoliert liegenden Hof auf Island aufgewachsen und lernte früh das Alleinsein. Einher damit ging eine gewisse Schüchternheit, die so stark war, dass sie sich scheute, auf eine Gesamtschule zu wechseln. Eine Mutter ihrer Schulfreundin fand ihre außergewöhnliche Größe und ihr Aussehen bemerkenswert, so dass sie die Leiterin einer Elite-Modelschule anrief. Damit begann Heiðas Modelkarriere, die sie bis nach New York führte. Bald merkte sie, dass dies nicht ihr Ding sei. Sie machte ihr Abitur, besuchte die Landwirtschaftsschule und übernahm 2001 mit 23 Jahren den Hof ihrer Eltern. Heute besitzt sie 500 Schafe.
Steinunn Sigurðardóttir berichtet in ihrer "Biographie" über die vielfältigen Tätigkeiten, die Heiða im Jahresverlauf durchführen muss. Vieles ist von den Jahreszeiten und dem Wetter bestimmt. Das rauhe Klima bestimmt die Abläufe. Harte Arbeit gehört zum Alltag der Farmerin. Wir lernen, wie wichtig die Fötenzählung ist, für die Heiða hunderte von Höfen aufsucht. Sie dient der Planung des betrieblichen Ablaufes. Idealerweise hat ein Schaf zwei Lämmer. Wird bei der Trächtigkeitskontrolle per Ultraschall festgestellt, dass das Schaf mehr oder weniger Lämmer haben wird, werden die Jungtiere so zugeordnet, dass der Idealstatus erhalten bleibt. Es gibt den Schafabtrieb aus den Höhenlagen, Straßen müssen schneefrei gehalten werden, Weiden gemäht. Dies alles erfordert Gerät, Kraft und Gemeinschaft. Die Nachbarinnen und Nachbarn müssen zusammenhalten und sich gegenseitig unterstützen, um überleben zu können.
Und doch wird die Planung eines gigantischen Wasserkraftwerkes, das einen riesigen Stausee erfordern würde, auch zur Belastungsprobe dieser Gemeinschaft. Das planende Energieunternehmen informiert falsch oder unzureichend, taktiert und lockt mit Falschauskünften und Geld. "Außerdem ist es skandalös, dass der Bauträger die Untersuchungen bezahlt und Umweltgutachten in Auftrag gibt." Nach langen Überlegungen lässt sich Heiða auf die politische Arbeit im Gemeinderat ein. Trotz ihrer Ängste, öffentlich vor Leuten zu reden, trotz der Befürchtung, die Hofarbeit könne darunter leiden, engagiert sie sich. Zudem läge ein beachtlicher Teil des geplanten Stausees auf ihren Ländereien. Das Unternehmen droht mit Zwangsenteignungen, wenn sich die BesitzerInnen nicht zum Kauf entschlössen. "Mir wurde allmählich klar, dass dieses Kraftwerk tatsächlich Wirklichkeit werden könnte und ich gezwungen war, mich dagegen zu wehren."
Auch wenn sie versucht, ihr Engagement gegen das Kraftwerk aus ihrem Alltag herauszuhalten, gelingt dies nicht vollständig. Die Bevölkerung ist gespalten und die Drohungen des Unternehmens zeigen Wirkung. "Es gibt Anfeindungen, die Leute grüßen einen auf der Straße nicht mehr, wenden sich ab, wenn man vorbeifährt."
In ihrem Roman Der Zeitdieb, der in mehrere Sprachen übersetzt wurde und 1998 in Frankreich mit Emmanuelle Béart, Sandrine Bonnaire und André Dussollier in den Hauptrollen verfilmt wurde (Voleur de vie), arbeitet Steinunn Sigurðardóttir mit unterschiedlichen Schreibstilen. Prosa und Lyrik fügen sich zu einem Ganzen.
Auch Heiðas Traum ist ungewöhnlich. Politische Reden und Blogeinträge wechseln sich mit Posts ab, ein Großteil nehmen Passagen ein, die wie unredigierte Tagebuchaufzeichnungen wirken. Die Sprache ist sehr einfach gehalten. Eingefügt sind kurze Reime, die die Schäferin verfasst hat. Sie wirken holprig und ungeschickt. Störend sind Sätze wie, "Für jemanden wie mich, DER ..." (Großbuchstaben, die Rezensentin). Liegt es an der Übersetzung?
Die Autorin im Interview: "Eine der größten Herausforderungen dabei war, Heiðas einzigartige Sprache einzufangen und sie richtig zu Papier zu bringen. Es war ein arbeitsintensiver Prozess, die richtige Form für dieses Buch zu finden, Mittel und Wege, Heida so wahrhaftig und interessant wie möglich zu zeigen."
Das Buch wechselt vom harten Arbeitsalltag zu biographischen Aspekten Heiðas. Ihre Kinderlosigkeit ist genauso Gegenstand wie ihr Kranksein nach jahrelanger Verabreichung einer Verhütungsspritze, ihr Zorn über Vorurteile und Engstirnigkeit genauso wie ihr Verhältnis zu Hunden und Katzen.
Heiða Guðný Ásgeirsdóttir ist eine starke und verantwortungsvolle Frau. Das Land und die Tiere zu schützen und zu bewahren ist ihr Herzensangelegenheit. "Wir Menschen sind sterblich., doch das Land lebt weiter, nach uns kommen neue Menschen, neue Schafe, neue Vögel."
AVIVA-Tipp Steinunn Sigurðardóttir schreibt Heiðas außergewöhnliches, selbstbestimmtes Leben wie eine Autobiographie. Die Schäferin führt einen mutigen Kampf gegen Umweltzerstörung und lässt ihren Traum Wirklichkeit werden: die Bewirtschaftung ihres eigenen Hofes.
Zur Autorin: Steinunn Sigurðardóttir , wurde 1950 in Reykjavik geboren. Sie studierte Philosophie und Psychologie in Dublin und arbeitete anschließend als Journalistin. Zunächst erschien ihr Gedichtband Sífellur (übersetzt: Beständigkeiten), den sie mit 19 Jahren veröffentlichte. Mit ihrem 1995 erschienenen Roman Hjartastaður (dt. 2001 u.d.T. Herzort) gewann sie den Isländischen Literaturpreis. 2011 erschien ihr Roman JóJó (dt. 2014 u.d.T. JoJo. Nachdem Steinunn Sigurðardóttir in unterschiedlichen Orten in Europa, in Japan und den USA gewohnt hat, lebt sie heute in Berlin.
steinunn.gotobest.net /
Heiða Guðný Ásgeirsdóttir wurde 1976 (?) geboren. Nach einer Modelkarriere übernahm sie 2001 den Hof ihrer Eltern. Sie lebt im südlichen Island.
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Zur Übersetzerin: Tina Flecken, 1968 in Köln geboren, studierte dort Anglistik, Skandinavistik und Germanistik. Von 1991 bis 1993 studierte sie die Isländische Sprache in Reykjavik. 1997 bis 2002 Verlagslektorin im Könemann-Verlag. Seit 2004 arbeitet sie als freie Übersetzerin. Tina Flecken übersetzt Belletristik und Lyrik aus dem Isländischen, Schwedischen und Englischen ins Deutsche. U.a. übersetzte sie Werke von Bragi Ólafsson, Yrsa Sigurðardóttir und Mikael Torfason. Sie übertrug die Vinlandsagas ins Deutsche.
uevz.literaturuebersetzer.de
Steinunn Sigurðardóttir
Heiðas Traum. Eine Schäferin auf Island kämpft für die Natur
Originaltitel: Heiða. Fjalldalabóndinn
Aus dem Isländischen von Tina Flecken
Carl Hanser Verlag, erschienen am 23.7.2018
Fester Einband, 288 Seiten
ISBN 978-3-446-26032-0
22,00 Euro
Mehr zum Buch: www.hanser-literaturverlage.de
Mehr Infos zu Lesungen unter "Termine": www.hanser-literaturverlage.de
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