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Beitrag vom 09.01.2018
Margaret Atwood - Aus Neugier und Leidenschaft. Gesammelte Essays
Doris Hermanns
War Margaret Atwood bislang im deutschsprachigen Raum vor allem für ihre Romane bekannt, so liegen jetzt erstmals auch Sachtexte von ihr in Buchform vor. Es sind Gelegenheitstexte, die ganz nebenbei auch einen Blick auf ihr Leben werfen.
Es ist vermutlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Margaret Atwood im Oktober 2017 zu verdanken, dass dieser Band, der im Original bereits 2005 erschien, jetzt auch endlich auf Deutsch vorliegt. Und welch wunderbares Buch dies ist! Hierin sind Gelegenheitswerke der Autorin ab etwa 1970 gesammelt, also Texte, die zu bestimmten Anlässen verfasst wurden. Diese reichen von Rezensionen und Reden über journalistische Arbeiten und Nachrufe bis hin zu Vor- und Nachworte von Büchern anderer AutorInnen und sind eine Art Entdeckungsreise durch all das, womit sich Atwood seit Jahrzehnten beschäftigt.
Und der Titel trifft es genau: die Leidenschaft von Margaret Atwood für das Lesen und Schreiben, die aus all ihren Texten spricht, und die Neugierde, die sie als ihre grundsätzliche Einstellung beschreibt.
Unterteilt in drei Teile wird nicht nur ihr persönlicher Werdegang als Schriftstellerin deutlich, sondern auch die Veränderungen in der Welt, in der wir leben. So schreibt sie im ersten Teil z. B. über eine ihrer frühen Lesungen als noch eher unbekannte Autorin in einem weit abgelegenen verschneiten Dorf an einer Highschool, aber auch immer wieder über ihre Aufenthalte in anderen Ländern und an was sie zu dieser Zeit gearbeitet hat. Aber auch über ihr jahrelanges Leben auf einer Farm mit ihrem Partner Graeme Gibson. Und es wird deutlich, wie sehr all ihre Lebenserfahrungen mit in ihre Literatur eingeflossen sind. Galt Umweltschutz früher noch als "Außenseiterposition einer Verrückten", wie sie schreibt, erfährt er inzwischen große Aufmerksamkeit. Auffällig ist, dass ihr heute bekanntestes Buch - Der Report der Magd - ein sehr frühes Werk von ihr – es erschien im Original bereits 1985 – sich heute noch aktueller als damals liest.
Während im zweiten Teil Texte aus den 1990er Jahren versammelt sind, einer Flautephase, wie sie es nennt, schreibt sie im dritten wieder mehr über politische Themen, denn die Weltlage hatte sich nach den Anschlägen 2001 grundlegend verändert.
Es ist wohl ihr persönlichstes Buch: In vielen dieser Texte schreibt sie in ihrer wunderbaren humorvollen Art auch über ihre eigenen Leseerfahrungen, ihre große Belesenheit wird deutlich, ebenso wie Bezüge zu anderen Autorinnen und Autoren, wie z. B. Ursula K. Le Guin und George Orwell. Aus anderen Texten geht hervor, warum sie über bestimmte Themen geschrieben hat bzw. wie einige ihrer Bücher entstanden sind. Aber sie schreibt nicht nur über Science Fiction, sondern auch über Autorinnen wie z. B. die britische Autorin Angela Carter und die kanadische Schriftstellerin Carol Shields. Spannend ist auch ihr Blick auf das Kinderbuch Anne auf Green Gables, in dem sie anders als sonst üblich einen genaueren Blick auf Marilla Cuthbert, Annes Pflegmutter, wirft. Sehr lesenswert sind aber auch ihre Rezensionen wie die des frühen Lyrikbandes Diving Into the Wreck der großartigen (und im deutschsprachigen Raum leider viel zu unbekannten) US-amerikanischen Dichterin Adrienne Rich. Atwood eröffnet mit jedem Text neue Welten und macht somit neugierig auf diese.
Die Auseinandersetzung und ihre Verbundenheit mit dem Feminismus durchzieht den ganzen Band, ohne jedoch in trockene Theorie auszuarten. So beschreibt sie z. B. in einem Vortrag die Schwierigkeiten, über böse Frauen zu schreiben. Vieles erfahren wir ganz galant und wie nebenbei, wie z. B. dass Frauen in der kanadischen Literatur eine relative Vormachtstellung haben und wie diese entstanden ist, was sie in einem Nachwort zu dem Klassiker Roughing It in the Bush von Susanna Moodie, von dem es bislang leider noch keine deutschsprachige Übersetzung gibt, erklärt.
Eine Zeitreise einer Autorin von ihren Anfängen bis hin zu einer der weltweit wichtigsten AutorInnen überhaupt – die meiner Meinung nach schon längst den Nobelpreis für Literatur verdient hätte.
AVIVA-Tipp: Ein Buch für sowohl diejenigen, die Atwood schon lange lesen und schätzen, da es viel Hintergrund zu ihr als Person als auch zu einigen ihrer Bücher gibt. Für diejenigen, die noch nichts von ihr gelesen haben, ist es ein guter Einstieg, um ihre Themen und ihre humoristische Art kennenzulernen. Für alle ein Buch, das neugierig macht, nicht nur auf die erwähnten Bücher von Atwood selber, sondern auch auf die, über die sie geschrieben hat.
Zur Autorin: Margaret Atwood, geboren 1939 in Ottawa, gehört zu den bedeutendsten Erzählerinnen unserer Zeit, veröffentlichte bisher über 40 Bücher, darunter "Der Report der Magd", das Kultbuch einer ganzen Generation. Daneben hat die mit vielen internationalen Preisen ausgezeichnete Schriftstellerin, unter anderem mit dem renommierten Man Booker Prize und dem Nelly-Sachs-Preis, auch als Cartoonistin, Illustratorin, Librettistin, Dramatikerin und Puppenspielerin gearbeitet. Weitere Auszeichnungen (2017): Ivan Sandrof Award for Lifetime Achievement, St. Louis Literary Award, Carl Sandburg Literary Award, Peace Prize, Franz Kafka International Literary Prize, und PEN Center USA Lifetime Achievement Award. Ihr Werk ist inspiriert von Märchen, Mythen, Umwelt- und Zukunftsfragen. Margaret Atwood lebt in Toronto.
Mehr zu Margaret Atwood auf ihrer Website unter:
www.margaretatwood.ca
Zu den Ãœbersetzerinnen:
Christiane Buchner, literarische Übersetzerin. Studium der Fächer Amerikanistik, Deutsch als Fremdsprache und Modern Dance (M.A.) sowie Aufbaustudium Literarische Übersetzung in München und St. Louis. Seit 1990 freiberufliche literarische Übersetzerin, 1995 – 2000 auch Künstleragentin und Pressefrau. Leiterin von Fortbildungsseminaren für die Verbände der Literaturübersetzer und der Fachübersetzer. Seit 2000 Lehrbeauftragte für Literarische Übersetzung an der LMU München.
Claudia Max studierte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Literaturübersetzen mit dem Schwerpunkt Anglistik/Amerikanistik. Seit 2008 ist sie freiberufliche Literaturübersetzerin. Sie lebt in Berlin und arbeitet überall.
Ina Pfitzner, übersetzt seit fast dreißig Jahren für verschiedene Einrichtungen, Verlage und Zeitschriften in den Bereichen Literatur, Kunst und Wissenschaft. Sie hat an der Humboldt-Universität zu Berlin Diplom-Sprachmittler Englisch und Französisch studiert und in den USA in Französischer und Vergleichender Literaturwissenschaft zum Übersetzen und Exil promoviert. Sie unterrichtet Englisch für Sozialarbeit, früher auch Französisch und Deutsch als Fremdsprache. Seit 2010 schreibt sie für die Zeitschrift Bücher eine Kolumne zum Übersetzen mit dem Titel "Botschaft aus Babel" und leitet das monatliche "Übersetzerstudio" in Berlin.
Margaret Atwood
Aus Neugier und Leidenschaft. Gesammelte Essays
Originaltitel: Curious Pursuits
Aus dem Englischen von Christiane Buchner, Claudia Max und Ina Pfitzner
Berlin Verlag, erschienen 13.10.2017
Gebunden mit Schutzumschlag. 480 Seiten
ISBN 978-3-8270-0666-0
Euro 28,00
Zum Buch:
www.piper.de
Die Biografie von Margaret Atwood auf FemBio:
www.fembio.org
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Margaret Atwood – Das Herz kommt zuletzt
Es klingt nahezu idyllisch: Alle BewohnerInnen einer Stadt bekommen ein wunderbares Haus, eine angenehme Arbeit und ihnen wird ein sorgenfreies Leben garantiert – aber es handelt sich um einen Roman von Margaret Atwood. (2017)
Margaret Atwood – Hexensaat
Die mehrfach international ausgezeichnete kanadische Autorin Margaret Atwood ("Der Report der Magd", "Die Geschichte von Zeb", "Moralische Unordnung", "Das Jahr der Flut") hat in ihrer Bearbeitung des Shakespeare Stücks "Der Sturm" die Handlung von einer Insel auf eine Art gesellschaftliche Insel verlegt: ein Gefängnis. (2017)
Margaret Atwood - Die Tür
Seit Jahren ist die kanadische Schriftstellerin als Kandidatin für den Literaturnobelpreis im Gespräch. Anlässlich ihres 75. Geburtstages erscheint nun ein Gedichtband der Autorin im Berlin Verlag. (2015)
Margaret Atwood - Die Geschichte von Zeb
Nicht umsonst gilt sie als DIE Mahnerin unserer Zeit: Im letzten Band ihrer Endzeit-Trilogie beschreibt Atwood intelligent und witzig die finale Episode einer postapokalyptischen Welt, die schon heute laut an die Türen der Gegenwart klopft. (2014)
Margaret Atwood – Payback
Margaret Atwood untersucht in fünf Essays Schulden und die Schattenseite des Wohlstands. Dabei geht es ihr nicht um ökonomische Analysen, sondern um die kulturhistorischen Ursprünge des Konzeptes "Schulden" und seiner Bedeutung für die Gesellschaft. (2009)
Margaret Atwood - Das Jahr der Flut
Die bereits siebzig Jahre alte Atwood beweist mit diesem Roman wieder einmal, dass sie zu Recht als bedeutendste Autorin Kanadas gilt. Das Jahr der Flut ist nicht nur ein zivilisationskritisches Werk, sondern vor allem zeichnet es sich durch umfassendes Wissen, sensible Darstellung der ProtagonistInnen und durch Atwoods herausragende Erzählkunst aus. (2009)
Margaret Atwood - Moralische Unordnung
Kanadas berühmteste Schriftstellerin gewährt einen Einblick in ihr Leben, dazu versammelt die 69-Jährige biographisch eingefärbte, semi-fiktionale Kurzgeschichten mit loser Verbindung in einem Werk. (2008)