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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 24.08.2017


Theresia Enzensberger - Blaupause
Yvonne de Andrés

In ihrem Debütroman zeigt die Journalistin und Autorin Theresia Enzensberger anhand der fiktiven Figur Luise Schilling, dass am Bauhaus Gleichberechtigung und Entfaltungsmöglichkeiten für Frauen nur auf dem Papier bestanden. Auch die progressiven Bauhauslehrer waren in ihrem Rollenverständnis alles andere als modern. Frauen sollten ...




... deren Meinung nach Weben und nicht Architektur studieren.


Die junge Berlinerin Luise Schilling will unbedingt Architektur am Bauhaus studieren. Das Bauhaus war in den frühen1920er Jahren der Ort für die Idee der Avantgarde. Mit seinem visionären Ansatz wollte Walter Gropius den traditionellen Kanon in der Baukultur überwinden und die Baukultur reformieren.So ist es für die Tochter aus gutem Hause der Ort, an den sie unbedingt hinmuss. Die erste Herausforderung besteht darin, überhaupt dort angenommen zu werden ‒ gegen den Willen ihres Vaters. 1921 beginnt sie am Bauhaus in Weimar zu studieren. Ihre zweite Herausforderung besteht darin, sich in einem von Männern dominierten Fach, Architektur - Respekt zu verschaffen.

Progressive Visionäre - unmoderne Machos

Von Anfang an rebelliert Luise gegen die Männerbünde der Bauhausmeister wie Walter Gropius und dem Naturmystiker Johannes Itten. Johannes Itten entwickelte den Bauhaus-Vorkurs – ein Pflichtkurs, um in eine der Werkstätten aufgenommen zu werden. Nach dem Vorkurs entschied Johannes Itten, in welcher Werkstatt Luise und andere ihr Studium beginnen durften. Bei der Begutachtung ihres fragilen Holzmodells kanzelt rer Luise ab: "Keine Sorge, Luise, die meisten Frauen haben Defizite im dreidimensionalen Sehen. Das hat nichts mit dir zu tun. Ich würde dir allerdings empfehlen, in die Textilwerkstatt zu gehen. Dort kannst du auch dein Talent für Farbgebung weiterentwickeln, das du schon unter Beweis gestellt hast."

Damit bleibt ihr die Tischlerei verschlossen und der Zugang zum Architekturstudium. Sie ist frustriert. Und Gedanken voller Selbstzweifel jagen ihr durch den Kopf: "Ich ärgere mich über meine Naivität. Ich hatte nie daran gezweifelt, dass man mich in der Tischlerei aufnimmt. Und dann kommt mir ein Gedanke, der mich noch mehr erschüttert. Was, wenn Johannes recht hat? Vielleicht fehlt es mir tatsächlich an Talent. Mit Grauen denke ich an mein erstes Treffen mit Gropius zurück. Wahrscheinlich wollte er mir schon damals behutsam zu verstehen geben, dass ich für die Architektur nicht geeignet bin, und ich war zu verblendet, um es mir einzugestehen."

Luise sollte Recht behalten. Es war nicht fehlendes Talent, sondern vielmehr das schon benannte patriarchale Denken, das ihr und anderen Studentinnen den Weg versperren sollte "Ich hatte nie daran gezweifelt, dass man mich in der Tischlerei aufnimmt."

Ideologie auf dem Campus

Luise stürzt sich in die Ideen und Träume der 1920er Jahre. Am Bauhaus freundet sie sich, nach anfänglicher Ablehnung, mit einer verschwiemelten esoterischen Gruppe junger StudentInnen an, die der asketischen Mazdaznan-Bewegung angehören und dem Bauhausmeister Johannes Itten wie einem Guru folgen. Sie tragen braune Kutten, leben spartanisch, meditieren viel, frönen dem frühen Aufstehen, ernähren sich vegetarisch, fasten, vertreten offen antisemitische Parolen und eine grobe "Rassen"lehre. Von diesen emanzipiert sie sich und stößt auf den jungen Kommunisten Friedrich, der den Konstruktivisten anhängt und Luise mit seiner klaren politischen Haltungen fasziniert. "Es schmeichelt mir, dass er mir so viel zutraut, und ich will mich beweisen. Mein Fleiß bleibt nicht unbemerkt, und auch meine Geschicklichkeit nimmt zu."

In Dessau lernt sie über Friedrich den Frauenheld und politisierten Reklamezeichner Hermann kennen, in den sie sich verliebt. Ein Zeitgeistmensch, der einen Schnurrbart trägt und so opportunistisch seine Gesinnung unterstreicht. Bis Luise bei Hermann eine Nationalsozialistische Zeitung entdeckt und die Beziehung einen Knacks erhält. Und so argumentiert Hermann: "´Der Nationale Sozialist´ ist keine schlechte Zeitung. [...] Wer jede berechtigte Kritik gleich als ´Antisemitismus´ brandmarkt, schüttet ja das Kind mit dem Bade aus."

Die Blaupause

Luise beschreibt, wie der Bauhausmeister ihren Siedlungsentwurf betrachtet: "Gropius´ Gesichtsausdruck wandelt sich, er sieht mich prüfend und skeptisch an. Er schweigt. Ich hatte damit gerechnet, dass es nicht einfach wird. Ich hole die Zeichnungen für meine fiktive Großsiedlung in Berlin aus der Tasche, inklusive Umgebungsplan und Modellskizze. Ich sehe ihm seinen Widerwillen an, als er nach ihnen greift." Trotzdem war er ihren Ausführungen intensiv gefolgt und hatte viele Nachfragen gestellt.

Am Prüfungstag wird ihr Entwurf, die Blaupause einer fiktiven Großsiedlung Berlins, Luise noch zum Verhängnis.Er wird zum Stein des Anstoßes, der zu ihrer Ausgrenzung führt.Tage vorher hatte sie zufällig entdeckt, dass Walter Gropius mit ihrem Entwurf die Ausschreibung für die Siedlung Dammerstock in Karlsruhe gewonnen hatte.

Hans Meyer räuspert sich bei der Prüfung und sagt: "Um ehrlich zu sein, Fräulein Schilling, wir fragen uns, wie eine Frau zu derartigen funktionalen, um nicht zu sagen maskulinen Entwürfen kommen kann [...] Wir zweifeln die Integrität einer Bauhaus-Schülerin nur ungern an. Aber Ihre Entwürfe weisen frappierende Ähnlichkeit mit Walter Gropius´ jüngstem Projekt auf. Wollen Sie dazu Stellung nehmen?" Das Prüfungskomitee berät sich nach Luises Erklärung, dass dies ihr Entwurf sei mit Walter Gropius. Ihr wird trotzdem das Diplom verliehen, doch der Entwurf wird wegen der Ähnlichkeit mit dem von Gropius einkassiert. "Das Ausmaß seines Betrugs, dessen ich mir nun so sicher bin, erschüttert mich, aber da ist nicht nur Wut und Demütigung, sondern auch Enttäuschung. Ich fühle mich von mir selbst verraten: Anscheinend habe ich an einem Stück Hoffnung festgehalten, anscheinend ist mir das alles doch nicht so gleichgültig, wie ich es gerne hätte."

Benachteiligung und Emanzipation
Luise verliert trotz der Widrigkeiten und Schwierigkeiten ihr Ziel nicht aus den Augen. Die Enttäuschung ist immens. "Ein neuer Mensch, das war das Ziel. Bewegt und geprägt durch die neuen Formen, die ihn umgeben. Aber wie soll das möglich sein, wenn diese Formen doch immer nur von alten Menschen mit all ihren Fehlern und Mängeln geschaffen werden können?" So löst sich Luise immer mehr von den Ideen und Vorstellungen ihrer Bauhausmeister. Jahre später, am 18. Mai 1959 ist Luise Schilling die zuständige Angestellte im "New York City Department ofBuildings",die die Pläne des "Pan-Am"-Gebäudes von Walter Gropius prüft und genehmigt. Es ist ihre dritte und letzte indirekte Begegnung mit Walter Gropius.

Luise Schilling, bleibt sich treu. Sie hält an ihrer Vision von einer Architektur, die dem Menschen dient, fest. Die Ich-Erzählerin lässt unswie bei der Lektüre eines Tagebuch direkt an ihren Gefühlen, Eindrücken und Gedanken teilhaben. Diese Passagen werden mit vielen anderen Stimmen verwoben. Das Hauptthema des Romans ist der Blick auf den blinden Fleck der Moderne, die Miss- und Verachtung weiblicher Kreativität durch die Alpha-Männchen.

Umfangreich stellt Theresia Enzensberger die Zeit am Bauhaus in Weimar 1921 und Dessau 1926 dar. Leider wird die Zeit nach Luise Schillings Prüfung am Bauhaus, sowie die NS-Zeit nicht thematisiert. Anhand von vier Dokumenten, betitelt mit "Aus Luise Schillings Nachlass", erfahren wir über den Verbleib und die Tätigkeit von Luise Schilling in New York City.

AVIVA-Tipp: Theresia Enzensberger ist ein vielbeachteter Debütroman gelungen. Mit "Blaupause" erzählt sie einerseits eine Emanzipationsgeschichte und zeichnet darüberhinaus ein plastisches Bild der Einrichtung "Bauhaus", sowie der politischen und ideologischen Strömungen dieser Zeit. Mit ihrem spannenden und vielschichtigen Roman stellt sie pünktlich zum einhundertjährigen Jubiläum des Bauhauses das Frauenbild der Bauhausmeister in Frage. Die Welt neu denken beinhaltete zwar große Ideen, nicht aber die Gleichberechtigung für Frauen.

Zur Autorin: Theresia Enzensberger, geboren 1986 als Tochter der Redakteurin und Autorin Katharina Enzensberger (geb. Katharina Kaever) und des Lyrikers Schriftstellers Hans Magnus Enzensberger, studierte Film und Filmwissenschaft am Bard College in New York. Sie schreibt als scharfsichtige und pointierte Journalistin unter anderem für die FAZ, FAS, ZEIT Online, Krautreporter und Monopol. 2014 gründete sie in Berlin das preisgekrönte BLOCK Magazin als Crowdfunding-Projekt.
"BLOCK ist ein Magazin, das sich dem Relevanzgehechel, das in der Medienlandschaft vorherrscht, entzieht. Beiträge werden nicht aufgrund ihrer Aktualität, sondern aufgrund ihrer Qualität ausgesucht. Autoren, Künstler und Journalisten können über das Thema, die Länge und die Form ihres Beitrags selbst entscheiden. Dadurch ergibt sich eine wilde Mischung aus Essays, Reportagen, Gedichten, Fotografien und Kunst. Rezensionen, die hauptsächlich zur Positionierung des Magazins dienen, und katalogähnliche "Lifestyle"- Seiten überlassen wir getrost anderen Blättern." (Quelle: BLOCK Magazin)
Mehr Infos unter: block-magazin.de und www.facebook.com/blockmagazin

Theresia Enzensberger
Blaupause

Hanser Verlag, München, erschienen: 12.07.2017
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 256 Seiten
€ 22,00 [D] | € 22,70 [A]
ISBN: 978-3-446-25643-9
www.hanser-literaturverlage.de

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Ursprünglich wollte Gertrud Arndt (1903-2000) Architektin werden, doch am Bauhaus existierte noch kein regulärer Studiengang in Architektur. Der Formmeister der Weberei, Georg Muche, erkannte aber ihre besondere Begabung auf diesem Gebiet und vertraute ihr die Ausführung eines Teppichs nach eigenem Entwurf an. Gertrud Arndt entwickelte sich schnell zur Spezialistin, ihre berühmteste Arbeit wurde ein Teppich für das Direktorzimmer von Walter Gropius. Nach Abschluss ihrer Gesellenprüfung wendete sie sich ausschließlich der Fotografie zu: Ab 1929 fotografierte sie sich in einer Serie sogenannter "Maskenporträts". Sie inszenierte sich mit wenigen Hilfsmitteln, heute sind diese Fotografien international bekannt.
Weitere Infos zum Bauhaus-Archiv/ Museum für Gestaltung in Berlin finden Sie unter:
www.bauhaus.de

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Beitrag vom 24.08.2017

Yvonne de Andrés