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Beitrag vom 13.02.2012
Rachel Cusk - Die Bradshaw-Variationen
Sabine Grunwald
Ein Rollentausch bringt die festgelegten Strukturen in der Ehe von Tonie und Thomas ins Wanken und verändert allmählich die Beziehung des Paares. Die vielfach ausgezeichnete Autorin ...
... Rachel Cusk ist eine Meisterin der leisen Töne.
Über ein Jahr erstreckt sich die Zeitspanne des Romans und wir nehmen teil an dem Leben von Tonie, ihrem Mann Thomas, der Tochter Alexa, den Brüdern, Schwägerinnen, Nichten, Neffen und Eltern der Bradshaws. Seit Tonie an der Uni als Institutsleiterin Vollzeit arbeitet, versorgt ihr Ehemann die achtjährige Tochter, den Haushalt und nimmt Klavierunterricht. Seine Rolle als Hausmann und Bohemien wird von der Außenwelt argwöhnisch beäugt, besonders die Elterngeneration kann mit dem Rollentausch ihrer Kinder nicht problemlos umgehen. Ihre verständnislosen Kommentare versuchen sie durch Besorgnis zu kaschieren.
Trotz allem gegenseitigen Verständnis läuft die neue Rollenverteilung nicht reibungslos ab, schon bald gibt es aufgrund der unterschiedlichen Ansprüche Konflikte. Gefühle der Wut, Ohnmacht und Verwirrung werden nicht ausgesprochen, vielmehr äußern sie sich in Handlungen, die nicht erklärt werden.
Die 1967 in Kanada geborene Autorin Rachel Cusk führt uns in 31 Variationen vor, wie sich Lebensformen verändern, zerfallen und neu bilden. Auch bei Tonie und Thomas verschieben sich unmerklich die eigenen Wünsche, Sehnsüchte und Vorstellungen. Tonie engagiert sich beruflich und schlittert in eine kurze Affäre. Thomas gerät an seine Grenzen, als die gemeinsame Tochter ernsthaft erkrankt.
Die Abwandlungen des Themas sind überaus zahlreich. Was ist wichtig im Leben, wie sind Familie, Karriere und die Sehnsucht nach Selbstverwirklichung zu vereinbaren, was wird durch einen Rollentausch ausgelöst und wie stelle ich mich zu den Erwartungen der Außenwelt, sind nur einige Fragen die der Roman stellt.
Die Lebensmodelle der Personen werden im Laufe des Romans auf eine harte Probe gestellt. Mit genauer Beobachtungsgabe und distanziertem Blick seziert die Autorin die Beziehungsmuster der Romanfiguren und legt dar, dass viele Entscheidungen auf den Erfahrungen unserer Kindheit basieren. Am Ende fügen sich die vielen kleinen Episoden zu einem stimmigen Ganzen. Es werden keine Lösungen präsentiert, für wen welche Rolle passt, liegt im eigenen Ermessen. Die "Variationen" sind es, die den Reiz des Buches ausmachen, dazu kommen die präzise Sprache und der feine Humor, der sich manchmal leicht boshaft der Charaktere annimmt.
AVIVA-Tipp: Eine Lektüre, die nicht durch Suspense, sondern ihre präzise klare Sprache und die Kraft der Bilder beeindruckt. Ein Buch, auf das sich einzulassen lohnt und das einer noch lange im Gedächtnis bleiben wird.
Zur Autorin: Rachel Cusk, geboren 1967 in Kanada, aufgewachsen in Los Angeles, lebt heute in Brighton.
Für ihr inzwischen sieben Romane und zwei Sachbücher umfassendes Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Whitbread First Novel Award und dem Somerset Maugham Award. Ihr letzter Roman, "Arlington Park" gelangte auf die Shortlist des Orange Broadband Prize for Fiction. (Verlagsinformation)
Die Bradshaw-Variationen
Rachel Cusk
Originaltitel: The Bradshaw Variations
Rowohlt Verlag, erschienen Juli 2011
Gebunden, 286 Seiten
ISBN 978-3-498-00934-2
19,95 Euro
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