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Beitrag vom 08.05.2017
Angelika Schrobsdorff - Leben ohne Heimat. Herausgegeben von Rengha Rodewill
Silvy Pommerenke
Angelika Schrobsdorff, deutsche Jüdin, Schriftstellerin, unangepasste Zeitgenossin, emanzipiert und polarisierend. 2016 ist sie in Berlin gestorben und hinterlässt – trotz ihrer zahlreichen autobiografischen Romane – viele unbeantwortete Fragen.
Herausgeberin Rengha Rodewill hat es sich zur Aufgabe gemacht, einige dieser Fragen zu klären und hat sich dafür Unterstützung von Beatrix Brockman geholt, die in akribischer Feinarbeit die Romane der Schrobsdorff zusammenfasst und dadurch eine Art Biografie erstellt. So wird denn auch überwiegend aus den Büchern und Briefen zitiert, ein subjektiver Blick oder gar eine Interpretation gerät in den Hintergrund - außer im Vorwort. Leserinnen, denen die Romane geläufig sind, erfahren somit wenig Neues aus "Leben ohne Heimat" - der Klappentext bringt es auf den Punkt: Schrobsdorff "im Spiegel ihrer Bücher". Begleitet werden die Textpassagen mit bekannten Fotografien aus dem Privatbesitz von Angelika Schrobsdorff und mit aktuellen Fotos von Rengha Rodewill, die sich mit ihrer Kamera auf deren Spurensuche begeben hat. Für Interessierte, denen Schrobsdorff bislang eine Unbekannte sein sollte, bietet dieses knapp über zweihundert Seiten lange Buch allerdings in komprimierter Form die wichtigsten Stationen aus dem Leben der jüdischen Schriftstellerin und macht unweigerlich Lust auf das Lesen ihrer Romane.
Neben dieser Annäherung an Angelika Schrobsdorff gibt es ein kleines Personenregister im Anhang und es werden einige Pseudonyme aus Schrobsdorffs Romanen gelüftet. Zudem finden sich im letzten Drittel des Buches noch sechzehn abgedruckte Briefe und persönliche Notizen, die aus dem Privatbesitz Angelika Schrobsdorffs stammen. Nach welchen Gesichtspunkten sie allerdings von der Herausgeberin ausgesucht worden sind, bleibt ungewiss. Auch fehlen hier ergänzende bzw. kritische Anmerkungen, so dass die Briefinhalte und die Einordnung in den Gesamtzusammenhang stellenweise nicht nachvollziehbar sind. Nichts desto trotz verlockt die Biografie "Leben ohne Heimat" zur (erneuten) Lektüre des Schrobsdorff´schen Oeuvres. Denn, so streitbar sie auch gewesen sein mochte, eines konnte sie zweifelsfrei: wahre Sätze schreiben!
Angelika Schrobsdorff war eine wunderschöne Frau und hatte ein großartiges Talent erzählend zu schreiben, aber menschlich hat sie es ihrer Umwelt nicht leichtgemacht. Am ehesten drückt sich das wohl in ihrem unsteten Beziehungsleben und in einem Zitat von ihr aus: "Ich will nie wieder ausgeliefert sein. ... Man wird weggeworfen oder man wirft weg. Ich will von jetzt ab diejenige sein, die wegwirft, nicht umgekehrt." Harte Worte! Aber ihre Lebensgeschichte mag das erklären: als Jüdin aus Deutschland nach Bulgarien geflohen, in der Fremde nicht heimisch geworden und die schmerzliche Trennung vom geliebten Vater - der ihr die wahren Gründe für das Exil (er nennt es "Urlaub") verschweigt. Ein Vertrauensbruch, von dem sie sich offensichtlich ihr ganzes Leben nicht mehr erholen wird (ganz zu schweigen vom Holocaust und dem Verlust ihrer Großmutter, die in Theresienstadt ermordet wurde). Schrobsdorff war keine Frau, die sympathisch oder warmherzig erschien, selbst ihre Mutter bezeichnet sie als "undurchdringlich". Und trotzdem hatte sie eine magische Anziehungskraft auf Menschen – vorzugsweise auf Männer.
Die Rückkehr 1947 nach Deutschland mit ihrem amerikanischen Ehemann löst ambivalente Gefühle bei ihr aus, und sie empfindet die Ruinen der deutschen Städte als "den Mund eines Greises". Von der hiesigen amerikanischen Community wird sie allerdings nicht angenommen, da diese zwischen Opfern und TäterInnen nicht unterscheiden und obwohl ihre Familie nun wieder näher rückte, so bleibt Angelika unnahbar, verschlossen und emotional unterkühlt, "in einem Niemandsland der Zugehörigkeit". Der Tod von Mutter und Vater ein paar Jahre später geht ebenso wenig spurlos an ihr vorüber wie die Jahre im Exil, die Erfahrung des Holocaust und eine Vergewaltigung in Bulgarien. Ihr Lebens- und Liebesmuster wird sie weiterhin begleiten und führt zu "der Sehnsucht nach Schutz und Liebe und dem Zwang zu strafen, zu verletzen, zu zerstören." Neben zerstörerischen Männerbeziehungen (aus einer dieser Beziehungen stammt ihr Sohn Peter) trifft sie aber auch auf ihr wohlgesonnene Unterstützer, und so entwickelt sich durch den Kontakt zu Johannes Mario Simmel (für den sie Manuskripte abtippt) der Beginn ihrer schriftstellerischen Karriere.
1961 führt sie eine erste Reise nach Jerusalem, und zum ersten Mal spürt sie so etwas wie ein "Gefühl der Zugehörigkeit und ein Nach-Hause-Kommen". Sie fühlt sich wohl in der "merkwürdigen Mischung aus importiertem Abend- und geduldetem Morgenland" und pendelt die nächsten neun Jahre zwischen Israel und Deutschland, bis sie 1970 ganz nach Israel umsiedelt. Dort lernt sie auch Claude Lanzmann kennen und lieben. Er beeindruckt sie durch "seine bemerkenswerte Unfreundlichkeit". Widerwillig zieht sie mit ihm nach Paris, weil er dort an seinem großen Holocaust-Dokumentarfilm "Shoah" arbeitet und verkehrt dort unter anderem mit Simone de Beauvoir. Aber sie wird auch hier nicht heimisch, ist des Französischen nicht mächtig und ihre Angstzustände und Depressionen, die sie das erste Mal im bulgarischen Exil hat, kehren zurück. Trotzdem hält sie bis 1983 in der vermeintlichen Stadt der Liebe durch. Aber die Beziehung zu Lanzmann hat gelitten und Israel fehlt ihr immer mehr, so dass sie nach Jerusalem zurückkehrt. Ihr größtes Glück findet sie dann in einem Haus, das an der Grünen Grenze zwischen Jerusalem und Palästina liegt, mit Blick auf die Judäische Wüste. Für die nächsten 23 Jahre wird sie dort im Haus Abu Tor heimisch werden. Aber je länger sie in Jerusalem lebt, desto kritischer sieht sie die dortige Entwicklung. Sie vertritt eine unbequeme Position, stellt sich gegen die politische Strömung und benutzt ihre Sprache als Waffe, was in ihren Büchern "Jerusalem war immer eine schwere Adresse" und "Wenn ich dich je vergesse, oh Jerusalem..." nachzulesen ist. Allerdings nicht auf Hebräisch, denn in Israel werden ihre Bücher nie veröffentlicht. Wieder ein Stich in das eh schon verletzte Ego, so dass diese Umstände erneut dazu führen, dass sie sich nicht zugehörig fühlt und zu einer Außenseiterin wird - ein roter Faden, der sich durch ihr gesamtes Leben zieht. Und statt mit Männerbeziehungen umgibt sie sich nun mit Katzen. Über zwanzig Stück sind es in Jerusalem, drei Stück, als sie 2006 nach Berlin zurückkehrt, um dort "in der Sprache der Mutter zu sterben". Was ihr dann auch am 30.07.2016 gelingt, als sie verbittert und einsam nach langer Krankheit stirbt. Begraben liegt sie auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee.
Angelika Schrobsdorff bezeichnete sich selbst als "beharrliche Pessimistin". Dies ist sicherlich nur eine Facette ihrer Persönlichkeit, denn sie war in vielem ambivalent. Besonders gut wird dies deutlich in einer Aussage aus einem ihrer Interviews: "Es gibt kurze Momente des Glücks zwischen den langen, langen Durststrecken. Dafür lohnt es sich zu leben".
AVVA-Tipp: Die Biografie "Leben ohne Heimat" ist eine komprimierte Zusammenfassung der autobiografischen Bücher von Angelika Schrobsdorff und schafft eine Annäherung an die streitbare aber überaus lesenswerte Autorin. Für Leserinnen, die sie bislang noch nicht kennen sollten, ein wunderbarer Einstieg. Für Leserinnen, die bereits mit den Texten von Schrobsdorff vertraut sind, ein praktisches Buch zur Wiederauffrischung.
Zur Autorin: Angelika Schrobsdorff wurde am 24. Dezember 1927 in Freiburg im Breisgau geboren.1939 musste sie mit ihrer jüdischen Mutter aus Berlin nach Sofia emigrieren. Ihre Großeltern wurden in Theresienstadt ermordet. 1947 kehrte sie aus Bulgarien nach Deutschland zurück. Ihr erster Roman, "Die Herren", sorgte 1961 wegen seiner Freizügigkeit für Aufruhr. 1971 heiratete sie in Jerusalem den Filmemacher Claude Lanzmann, wohnte danach in Paris und München und beschloss 1983, nach Israel auszuwandern. 2006 zog sie nach Berlin, wo sie im Juli 2016 verstarb. (Quelle: dtv-Verlagsinformationen)
Zur Herausgeberin: Rengha Rodewill, geboren in Hagen/Westfalen, lebt seit 1978 in Berlin und arbeitet als Fotografin, Autorin und Malerin. Sie veröffentlichte zahlreiche Bücher, etwa über die Bildhauerin Ingeborg Hunzinger (2012) und über das DDR-Frauenzuchthaus Hoheneck (2014) sowie über das ehemalige Stasi-Gefängnis Bautzen II. (2013). (Quelle: be.bra-Verlagsinformationen, AVIVA-Berlin)
Zur Autorin: Beatrix Brockman, lebt und schreibt seit 2002 in den USA. Sie ist Associate Professor im Department of Languages and Literature an der Austin Peay State University in Clarksville, Tennessee. (Quelle: be.bra-Verlagsinformationen)
Angelika Schrobsdorff
Leben ohne Heimat (Hg. Rengha Rodewill)
be.bra Verlag, erschienen Februar 2017
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 208 Seiten
Mit 117 Fotos (aus dem PrivatbesÃtz von Angelika Schrobsdorff und von Rengha Rodewill)
ISBN: 978-3-89809-138-1
Euro 22
www.bebraverlag.de
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