Alexandra Lavizzari - Fast eine Liebe. Zum 100. Geburtstag von Carson McCullers (1917–1967). Doppel-Biographie - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Literatur



AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 17.02.2017


Alexandra Lavizzari - Fast eine Liebe. Zum 100. Geburtstag von Carson McCullers (1917–1967). Doppel-Biographie
Sharon Adler, Yvonne de Andres

Die tragische Geschichte der unerfüllten Liebe zwischen dem Shootingstar der US-Literatur und der Schweizer Reiseschriftstellerin Annemarie Schwarzenbach die trotz ihrer starken gegenseitigen Anziehungskraft und Seelenverwandtschaft aneinander "vorbeiliebten", ist ein Stück Literaturgeschichte.




Viele Mythen ranken sich bis heute um die Liebe der Schriftstellerinnen Annemarie Schwarzenbach und Erika Mann. Doch nicht diese Liebe ist Gegenstand dieser Veröffentlichung, sondern eine andere, ebenfalls unglückliche Sehnsucht.
Die zwischen der früh verstorbenen und der begabten, mehrfach ausgezeichneten Autorin Carson McCullers und Schwarzenbach.

Alexandra Lavizzari analysiert die Hintergründe der unerfüllten Liebe zwischen den beiden Frauen, deren Werke und Biographien.
Bereits in der Anthologie "Gelebte Sehnsucht, Grenzgängerinnen der Moderne", herausgegeben von Susanne Nadolny, beschäftigte sich die Autorin und Journalistin Lavizzari mit der Person und dem Werk von Annemarie Schwarzenbach.

Als Schwarzenbach, seit über zehn Jahren unglücklich in Erika Mann verliebt, die neun Jahre jüngere, euphorisch gefeierte, amerikanische Schriftstellerin Carson McCullers im Juni 1940 in einem New Yorker Hotel kennen lernt, verliebt sich wiederum diese auf den ersten Blick - unglücklich - in sie.

Dieses (Beziehungs-)Muster, die Rast- und Haltlosigkeit beider Frauen, deren offen ausgelebten Süchte verhindern die Gefühle füreinander. Carson sollte Annemarie nie vergessen. Fünfzehn Jahre später schrieb sie in ihren Memoiren, gegen Ende ihres eigenen Lebens: "Ich weiß von keiner anderen Freundin, die ich mehr geliebt habe und deren plötzlicher Tod mich mehr erschüttert hat".

Nicht nur ihre herbe, androgyne, dabei verletzliche Schönheit, oder der rastlose und ausschweifende Lebensstil, begleitet von hemmungsloser Alkohol- und Morphiumsucht, sorgten schon früh dafür, dass Annemarie Schwarzenbach ambivalente Gefühle hervorrufen musste. Wer sie einmal sah oder erlebte, vergaß sie nie.

So erinnerte sich später die Autorin Carson McCullers, die erst am Anfang einer fulminanten Karriere stand, an die erste Begegnung mit der Freundin: "Sie hatte ein Gesicht, von dem ich wusste, dass es mich bis ans Ende meiner Tage nicht mehr loslassen würde…". Hingerissen war auch die Fotografin Marianne Breslauer, die Annemarie Schwarzenbach in wunderschönen Aufnahmen portraitierte: "Annemarie war, ich muss es immer wieder sagen, das schönste Lebewesen, dem ich je begegnet bin".

Doch Annemarie Schwarzenbach hatte nicht nur VerehrerInnen, denn vor allem war sie geprägt von dem schwierigen Verhältnis zu ihrer Mutter Renée und durch ihre verzweifelte, unerwiderte Liebe zur Schriftstellerin Erika Mann. Diese empfand sie eher als lästig und entzog sich der unglücklich Liebenden durch Reisen, etwa mit ihrem Bruder Klaus. Zur Ruhe kam die unstete Annemarie ebenfalls in ausgedehnten Reisen – als Reiseschriftstellerin und Fotojournalistin im Kongo, in Syrien, Ägypten, Afghanistan und Persien. Vor allem aber im Schreiben fand sie ihre Erfüllung, und von ihren psychischen Zusammenbrüchen erholte sie sich in Sils, ihrem Refugium in den Schweizer Bergen. Annemarie Schwarzenbach, die ihr Studium im Alter von 23 Jahren mit dem Doktortitel abschloss und aus einer reichen industriellen, mit Hitler sympathisierenden Familie stammte, wusste bereits mit 20 Jahren, dass sie "nur Frauen mit wirklicher Leidenschaft lieben kann". Sie, der talentierte Outlaw, litt zeitlebens darunter, nicht wirklich zur literarischen Elite der Mann-Geschwister dazu zu gehören.
Die Weitgereiste starb im Alter von 34 Jahren, am 15. November 1942, an den Folgen eines Fahrradunfalls.

Carson McCullers, geboren am 19. Februar 1917 in Columbus/Georgia, wollte eigentlich Pianistin werden. Mit 500 Dollar verließ sie 18-jährig die Südstaaten und fuhr alleine nach New York, um an der renommierten Juilliard-Musikschule zu studieren. Das Geld verschwand auf mysteriöse Weise, doch sie blieb in New York, wo sie sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt. Sie arbeitete als Sekretärin, Kellnerin, Barpianistin und beschloss, Schriftstellerin zu werden.
1937 heiratete sie Reeves McCullers. Mit ihrem Debütroman "Das Herz ist ein einsamer Jäger" ("The Heart Is a Lonely Hunter") wurde Carson McCullers 1940 über Nacht weltberühmt. Mit 23 erlitt sie den ersten von drei Schlaganfällen, ihr Leben wurde bestimmt durch die Krankheit, der sie ihr Werk abrang, und durch Einsamkeit, besonders nach dem Suizid ihres Mannes 1953. Ab 1940 hatte sie zahlreiche Buchveröffentlichungen sowie Bände mit Kurzgeschichten. Einige ihrer Bücher wurden verfilmt. Die Schriftstellerin starb 1967 in in Nyack (New York).

AVIVA-Tipp: Die ebenso kenntnisreiche wie kurzweilige (Neu-)Veröffentlichung von "Fast eine Liebe" ist eine Einladung, die Texte sowohl von Carson McCullers als auch Annemarie Schwarzenbach erneut zu lesen. Ihre Veröffentlichungen ebenso wie der Mythos um deren exzessive Leben und ihre (meist unglücklichen) Lieben faszinieren die LeserInnen noch heute.

Zur Autorin: Alexandra Lavizzari geboren 1953 in Basel, studierte Ethnologie und Islamwissenschaft. Nach längeren Aufenthalten in Nepal, Pakistan und Thailand lebt sie heute in England. Sie schreibt für die Neue Zürcher Zeitung und den Bund und ist Autorin zahlreicher kunsthistorischer und literaturkritischer Werke. Für ihr Schaffen wurde sie mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Bieler Literaturpreis (1987), dem 13. Würth Literaturpreis der Poetik-Dozentur der Universität Tübingen (2002) und dem Feldkircher Lyrikpreis (2007). Bei ebersbach & simon erschien zuletzt Harper Lee und Truman Capote. Eine Freundschaft (2016).

Alexandra Lavizzari
Fast eine Liebe
Carson McCullers und Annemarie Schwarzenbach

Doppel-Biographie
Ausstattung: fadengeheftet, Einband: Halbleinen, Format: 12 x 19 cm, 144 Seiten, 12 S/W Abbildungen
ebersbach & simon, Reihe: blue notes 65, erschienen 10. Januar 2017
Preis: 16,80 Euro
Mehr Infos unter: www.ebersbach-simon.de

Weiterlesen:

Zum 100. Geburtstag von Carson McCullers erschien 2016 ebenfalls bei ebersbach & simon "Die Ballade vom Wunderkind Carson McCullers" von Barbara Landes, ein einfühlsamer Entwicklungs- und Künstlerroman über das Leben der Ausnahmeautorin.
www.ebersbach-simon.de

Seit 1961 erscheinen Carson McCullers Bücher bei Diogenes, darunter "Das Herz ist ein einsamer Jäger", "Die Ballade vom traurigen Café", "Frankie", "Spiegelbild im goldnen Auge", und "Uhr ohne Zeiger". Anlässlich des 100. Geburtstages erschien am 14.12.2016 "Die Ballade vom traurigen Café" neu als diogenes deluxe.

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin.

Annemarie Schwarzenbach - Orientreisen. Reportagen aus der Fremde
Ein schmales Buch mit einer Auswahl aussagekräftiger Texte, die nicht nur das fremde Außen schildern, sondern auch Einblicke gestatten in den emotionalen Zustand der Autorin, die besessen war vom Reisen und vom Schreiben: "Wirklich, ich lebe nur wenn ich schreibe" (Tagebuchnotiz von 1939). (2010)

Alexandra Lavizzari - Glanz und Schatten. Truman Capote und Harper Lee - eine Freundschaft
Sie ist ein Raufbold, geht keinem Faustkampf aus dem Weg und macht mit ihrer Jungenbande die Stadt unsicher. Wenn sie genug Nasen blutig geschlagen hat, zieht sie sich am liebsten in ihr Baumhaus zurück und liest. (2010)

Annemarie Schwarzenbach zum 100. Geburtstag
Am 23. Mai 2008 wäre die androgyne Reiseschriftstellerin 100 Jahre alt geworden. (2008)

Carson McCullers
Die scharfen Beobachtungen des amerikanischen Alltags sowie ein prägnanter und emotionaler Schreibstil sind das Markenzeichen der bereits 1967 verstorbenen Autorin. (2006)


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Beitrag vom 17.02.2017

AVIVA-Redaktion