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Beitrag vom 06.02.2017
2x Niki de Saint Phalle zum 15. Todestag am 21. Mai 2017: Ich bin eine Kämpferin - Frauenbilder der Niki de Saint Phalle. Niki de Saint Phalle und das Theater - At Last I Found the Treasure
Hannah Hanemann
Die franko-amerikanische feministische Künstlerin wurde in den 1960er Jahren mit ihren bunten, kurvigen Frauenskulpturen, den "Nanas", weltberühmt. Zwei Ausstellungen in Deutschland widmen sich Anfang 2017 ihrer Kunst und beleuchten sie aus unterschiedlichen Blickwinkeln.
Als Niki de Saint Phalles bunte "Nana"-Figuren in den 1970er Jahren in Hannover aufgestellt wurden, riefen sie neben positiven Kritiken von einigen Seiten großen Protest hervor.
Die abstrakten Proportionen, ihre Größe, Buntheit und offensiv inszenierte Weiblichkeit passten einigen konservativen HannoveranerInnen so gar nicht in ihr Stadtbild.
Heute, vierzig Jahre später, kaum noch nachvollziehbar - die Plastiken aus Polyester sind nicht nur akzeptiert, sondern Kult.
Niki de Saint Phalle ist seit ihren Anfängen als Künstlerin durch ihre unkonventionelle und farbenfrohe Kunst aufgefallen. Bis heute haben ihre Werke nichts von ihrer energetischen Sogwirkung verloren und liefern noch immer Raum für unterschiedlichste Interpretationsansätze. In Dortmund und Rüsselsheim können Niki de Saint Phalles Kunstwerke noch bis 23. April bzw. bis 26. März 2017 anhand zweier Ausstellungen von nahem bestaunt werden. Denjenigen, die diese Ausstellungen nicht besuchen können, seien die im Hatje Cantz Verlag und im Kehrer Verlag erschienenen Fotokataloge empfohlen, die die Thematik der jeweiligen Ausstellung aufgreifen und präsentieren.
Frauenbilder der Niki de Saint Phalle
Die Ausstellung im "Museum Ostwall" im Dortmunder U und der zugehörige Ausstellungskatalog "Ich bin eine Kämpferin. Frauenbilder der Niki de Saint Phalle" ehren sie mit einer umfangreichen Präsentation ihrer Werke mit besonderem Blick auf ihre facettenreiche Auseinandersetzung mit dem Weiblichen und der Frauenbewegung.
Der Ausstellungskatalog enthält neben einführenden Texten 143 Abbildungen von Gemälden, Collagen und Skulpturen aus den verschiedenen Schaffensphasen der Künstlerin. Manche von ihnen sind bunt und fröhlich wie die "Nanas", doch auch düstere und verstörende Werke finden sich darunter. Unter anderem ihre "Schießbilder", mit denen sie die Bühne der Kunst Anfang der 1960er Jahre im wahrsten Sinne des Wortes mit einem Knall betrat: Mit einem Gewehr schoss sie auf eine reliefartig strukturierte, aber farblose Leinwand, die mit Farbbeuteln präpariert war. Diese zerplatzten und die Farbe ergoss sich über das Weiß. Die aggressive Zerstörungswut des gewaltsamen Schießens erschuf so letztendlich erst das eigentliche Kunstwerk.
Niki de Saint Phalle verarbeitete auf diese Weise ihre traumatische Kindheit in einem lieblosen Elternhaus, während derer sie im Alter von elf Jahren von ihrem Vater sexuell missbraucht wurde. Diese Erfahrung prägte entscheidend ihre Hinwendung zur Kunst, die sie während eines psychiatrischen Aufenthalts nach einem Nervenzusammenbruch mit Anfang zwanzig für sich entdeckte.
In den Werken, die auf die Schießbilder folgten, adressierte sie festgefahrene Rollenbilder und kritisierte u.a. die für Frauen zu der Zeit als selbstverständlich angesehene Heirat in einer Reihe von künstlerisch gestalteten "Bräuten", denen eine düstere und traurige Atmosphäre anhängt.
In diesen frühen Phasen thematisierte und kritisierte sie die gesellschaftliche Situation der Frauen in den 1960er Jahren, bis sie schließlich mit den "Nanas" das positive Gegenmodell fröhlicher, selbstbewusster und femininer Frauen schuf.
Niki de Saint Phalle und das Theater
Eine andere Perspektive auf de Saint Phalles Werk nimmt die Ausstellung in der "Kunst -und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim"und der begleitend im Kehrer Verlag erschienene Fotoband "At Last I Found the Treasure" ins Visier. Er thematisiert in 270 Farbabbildungen und Texten Niki de Saint Phalles Beziehung zum Theater und stellt die Bedeutung der Künstlerin als "signifikante Kraft für die performative Kunst und das Theater der 1960er Jahre" heraus.
Schon in der Schule war sie vom Theater fasziniert und schrieb erste eigene Stücke, verfolgte diesen Ansatz zunächst jedoch nicht weiter.
Die öffentliche Inszenierung ihrer "Schießbilder" als performativer und interaktiver Prozess bildete1961den Auftakt ihrer Hinwendung zur performativen Kunst. In den folgenden Jahren beteiligte sie sich neben ihres künstlerischen Schaffens mit ihrem Partner Jean Tinguely an verschiedenen Performances und gestaltete Bühnenbilder und Kostüme für das Theater, bis sie schließlich mit dem Regisseur Rainer von Diez ihr eigenes Theaterstück "ICH" schrieb, das 1968 am Staatstheater Kassel im Rahmen der 4. documenta uraufgeführt wurde. In diesem Stück schläft die Protagonistin unter einem Baum ein und träumt in archetypisch anmutenden Bildern von einem Schlüssel, der ihr das Finden und Öffnen eines Schatzes ermöglichen soll. Von der damaligen Kritik überwiegend negativ aufgenommen und als egozentrisch verurteilt, wird das Stück heute als poetische Umsetzung eines weiblichen Bedürfnisses nach Selbstverwirklichung angesehen, die ihrer Zeit weit voraus war.
"At Last I Found the Treasure" stellt anhand vieler begleitender Texte und Fotos Projekte und Inszenierungen der Künstlerin aus den 1960er Jahren vor und analysiert sowohl ihren Einfluss auf das Theater, als auch den Einfluss des Theaters als Inspirationsquelle auf ihre weiteren Werke.
AVIVA-Tipp: Die Kunstbände "Ich bin eine Kämpferin. Frauenbilder der Niki de Saint Phalle" und "Niki de Saint Phalle und das Theater - At Last I Found the Treasure" beleuchten aus verschiedenen Blickwinkeln die Werke dieser phantasievollen und originellen Künstlerin und ergänzen es durch ausführliche und informative Texte zum jeweiligen Thema.
Ausstellungen 2017:
"Ich bin eine Kämpferin. Frauenbilder der Niki de Saint Phalle" im "Museum Ostwall" im Dortmunder U vom 10. Dezember 2016 bis 23. April 2017 und "Niki de Saint Phalle und das Theater – At Last I Found the Treasure" in der "Kunst -und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim" vom 7. Dezember 2016 bis 26. März 2017.
Mehr Infos finden Sie unter:
www.dortmunder-u.de
www.opelvillen.de
Zur Künstlerin: Niki de Saint Phallewurde am 29. Oktober 1930 als Cathérine Marie-Agnès Fal de Saint-Phalle in Neuilly-sur-Seine geboren. Mit Achtzehn heiratete sie den amerikanischen Schriftsteller Harry Matthews, mit dem sie zwei Kinder bekam und arbeitete zu Beginn der 1950er Jahre zunächst erfolgreich als Model. Nach einem psychischen Zusammenbruch begann sie in der Nervenheilanstalt zu malen - am Anfang der selbsttherapeutische Versuch einer Autodidaktin, ihre Alpträume und Träume in Bilder umzusetzen.
Ab 1951 lebte Niki de Saint Phalle in Paris, wo sie 1955 den Künstler Jean Tinguely kennen lernte, den sie 1971 nach langjähriger Beziehung heiratete.Durch ihn kam sie in Kontakt zu der Künstlergruppierung der "NouveauRéalistes", die sich im Oktober 1960 zusammenschloss und der sie ab 1961 angehörte.
Erstes Aufsehen erregte sie in dieser Zeit mit ihren"Schießbildern".
Ab 1964 formte Niki de Saint Phalle die drallen und bunten "Nana"-Figuren, die sehr populär wurden und die Künstlerin international bekannt machten.
1968 wurden die "Nanas" in einer Ausstellung im Museum of Modern Art in New York gezeigt, zahlreiche weitere Ausstellungen folgten.
Ab 1979 entstand in Capalbio in der Toskana mit dem "Tarot-Garten" Niki de Saint Phalles umfangreiches Gesamtkunstwerk. Am 21. Mai 2002 starb sie in San Diego, Kalifornien an den Folgen der jahrelangen Arbeit mit Polyester.
Mehr Infos: www.niki-de-saint--phalle.de
Ich bin eine Kämpferin
Frauenbilder der Niki de Saint Phalle
Text(e) von Ulrich Krempel, Naja Rasmussen, Regina Selter, Karoline Sieg, Gestaltung von Frank Georgy
Deutsch/ Englisch
22,50 x 27,00 cm
184 Seiten, 143 Abb.gebunden
Hatje Cantz Verlag, erschienen 2016
29,80 Euro
ISBN 978-3-7757-4243-6
www.hatjecantz.de
Niki de Saint Phalle und das Theater
At Last I Found the Treasure
Texte von Beate Kemfert, Brigitte Sahler, Gerard Forde, Kristine Rygiel, Rainer von Hessen
240 Seiten, 270 Farbabb., 24 x 28 cm
Deutsch/Englisch
Kehrer Verlag, erschienen 2016
Euro 39,90
ISBN 978-3-86828-720-2
artbooksheidelberg.com
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