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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 11.01.2017


2x Terézia Mora - Die Liebe unter Aliens und Nicht sterben
Yvonne de Andrés

Die in Ungarn geborene und auf Deutsch publizierende Schriftstellerin, Drehbuchautorin und Verfasserin von Theaterstücken Terézia Mora wird am 23. Januar 2017 mit dem 63. Bremer Literaturpreis für ihren Erzählbandband "Die Liebe unter Aliens" ausgezeichnet.




Ihre Bücher wühlen auf. Lassen uns nicht indifferent für ihre einsamen Figuren, Sonderlinge und Querköpfe, die durch ihr Leben stiefeln und dabei versuchen in dem verwirrenden Leben klar zu kommen. Dabei bleibt immer alles in Bewegung.

Die Liebe unter Aliens

Elf unterschiedlich fragile Erzählungen umfasst der Band. In der ersten Erzählung begegnen wir Hellmut. Er ist erst 57, sieht aber aus wie 75. Seine einzige Leidenschaft ist der Marathon. Deswegen nennen ihn auch alle so. Als er von einem jungen Mann überfallen wird, entwendet der ihm seinen kanariengelben Einkaufsbeutel mit Portemonnaie und Schlüssel. "Die Sekunde, um zu begreifen, die Sekunden, das Gleichgewicht wieder zu erlangen, sich umzudrehen." Sehr genau beschreibt Terézia Mora die Eindrücke des Eindringens in die geordneten Bahnen von Hellmut und die anschließende wilde Verfolgungsjagd. "Der Junge schaut sich um, bevor er auf die Fahrbahn ausweicht, und Marathonmann sieht in seinem Gesicht, dass er das nicht etwa wegen eventueller Autos getan hat, sondern um sich des Unfassbaren zu vergewissern: ihn, der ihm immer noch hinterherläuft." Der Marathonman hechtet dem Dieb hinterher. Über und durch Hindernisse entlang wie Rosenbüsche, Bänke, Aufsteller, Fahrradständer, über Straßen und Plätze zieht sich der Lauf. Dabei bleibt er diesem dicht auf den Fersen. Untypisch für ihn, denn er ist ein Gewohnheitsmensch und verlässt seine fest gezogenen Bahnen nur bei Wettläufen, seine bekannte Umgebung hingegen niemals.

Diese Geschichte ist ebenso kunstfertig konstruiert wie die des Rezeptionisten, dem das Tageslicht fehlt. Doch würde dieser die Schicht wechseln, würden ihm 200.- Euro fehlen. Er entscheidet sich für die Nachtschichten, ein einsames Leben mit Gedichten. Seine Freunde können diese Entscheidung nicht verstehen. "Es gibt schlimmere Leben. Aber dass seine Freunde nicht verstehen, was mit ihm los ist, ist klar, und auch, dass er es ihnen nicht erklären könnte."

Nicht sterben

Wenige Monate nachdem Terézia Mora im Herbst 2013 für ihren Roman "Das Ungeheuer" mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde, hielt sie ihre Frankfurter Poetik-Vorlesungen, die unter dem Titel "Nicht sterben" erschienen sind. Hier stellt die Autorin die Grundlagen und Bedingungen ihres literarischen Schaffens vor: "Meine ersten Narrative waren die Repression". Dabei beschreibt Terézia Mora die Situation in dem kleinen westungarischen Dorf in den 70er und 80er Jahren, in dem sie aufwuchs."Oberflächlich betrachtet, war der real existierende Sozialismus die Ursache für die Enge in allem, doch hinter/unter/neben dieser Tyrannei wirkte ein ganzer Komplex mehrerer durchweg autoritärer Systeme, die älter waren als der real existierende. Zusammengefasst, vereinfacht und verkürzt: die bäuerliche Lebensweise, katholische Religionsausbildung sowie (...) die Zugehörigkeit zu einer ethnischen (genauer: sprachlichen) Minderheit. Jedes dieser Systeme befand sich zu meiner Zeit bereits in der Auflösung bzw. war mitten in dieser erstarrt." Sie reflektiert in einem Selbstgespräch die eigenen Bedingungen, Möglichkeiten, Begrenzungen und Fähigkeiten des Schreibens, ihrer Biografie, und, wie ihr erstes Buch entstanden ist. Wie kam sie zum ersten Roman? Wie zu den Figuren? Mora beschreibt, wie sie sich mit Störungen und Irritationen auseinandersetzt, wie sie mit ihrem "deterritorialisierten" Minderheitendeutsch erstmal eine Übergangszeit des Ausharrens und Lernens verordnete, bevor sie über die Kräfte ihres Schreibens verfügte. Sprachfindung und Persönlichkeitsbildung ist für die Autorin ein langer Prozess. "Vertraue deiner Methode, aber verliebe dich nicht in sie", so der Leitsatz von Terézia Mora. Ein wichtiges Buch für alle, die selber schreiben. Über den Umgang mit Manuskripten und die Arbeitsweise der Terézia Mora erfährt die Leserin dabei Vieles.

AVIVA-Tipp: Die Figuren in Terézia Moras Erzählungen sind einsam, verloren und entwurzelt und glauben sich mit dieser Situation ganz allein auf der Welt. Stecken fest in einem trostlosen Gefühlspanorama. Das verbindende Element ist die Liebe. Mittels feiner Erzählstrukturen beobachtet und begleitet Terézia Mora intensiv, sensibel und fürsorglich die Regungen und Reaktionen dieser emotionalen Sonderlinge, die vom Raster gesellschaftlicher Normen und Zuschreibungen abweichen.

Zur Autorin: Terézia Mora wurde 1971 in Sopron, Ungarn, geboren und lebt seit 1990 in Berlin. Sie gewann 1997 den Open-Mike und kurz darauf ein Angebot eines Autorinnenvertrags bei Rowohlt. Seit 1998 arbeitet Mora als freie Autorin und gilt heute zu den wichtigsten deutschsprachigen AutorInnen. Mit ihrem literarischen Debüt, dem Erzählungsband "Seltsame Materie" (1999) sorgte sie für Furore. Terézia Mora arbeitet an einer Trilogie um den IT-Spezialisten Darius Kopp, von der Band I "Der einzige Mann auf dem Kontinent" (2009) und Band II "Das Ungeheuer" (2013) bereits erschienen sind. Zuletzt erschien bei Luchterhand der Band "Nicht sterben" (2016) mit ihren Frankfurter Poetikvorlesungen. Terézia Mora zählt zu den renommiertesten Übersetzerinnen aus dem Ungarischen. Mora ist Mitglied des Deutschen PEN-Zentrums und seit 2015 der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Auszeichnungen unter anderem: Ingeborg-Bachmann-Preis (1999), Adelbert-von-Chamisso-Preis der Robert Bosch Stiftung (2010), Deutscher Buchpreis (2013), Bremer Literaturpreis (2017) für ihren Erzählungsband "Die Liebe unter Aliens".

Weitere Infos und Kontakt: www.tereziamora.de



Terézia Mora
Die Liebe unter Aliens. Erzählungen

Luchterhand Literaturverlag, Fester Einband, 272 Seiten
22,00 Euro [D] als E-Book 17,99 Euro
Luchterhand Literaturverlag, erschienen am 26.09.2016
ISBN: 978-3-630-87319-0
www.randomhouse.de



Terézia Mora
Nicht sterben

Luchterhand Literaturverlag, Fester Einband, 160 Seiten
18,99 Euro [D]
Luchterhand Literaturverlag, erschienen am 07.03.2016
ISBN: 978-3-630-87451-7
www.randomhouse.de

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Beitrag vom 11.01.2017

Yvonne de Andrés