AVIVA-Berlin >
Literatur
AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 -
Beitrag vom 07.10.2016
Fiona Kidman - Jean Batten, Pilotin
Doris Hermanns
Ein Roman über das Leben der Neuseeländerin Jean Batten (1909-1982), die in den 1930er Jahren eine der weltweit bekanntesten Pilotinnen war und immer wieder neue Rekorde bei ihren Flügen um die Welt erzielte.
Neuseeland zu Anfang des letzten Jahrhunderts. Noch ist nicht die ganze Welt erforscht, noch gibt es "Löcher", wie zum Beispiel in der Mitte von Australien. Entdeckungsreisen und die ersten Flüge spielen eine große Rolle und werden viel in der Öffentlichkeit diskutiert. Schon als kleines Mädchen lässt Jean Batten ihre Mutter beim Anblick von Flugzeugen in einer Trainingsschule, in der Piloten für den Dienst beim Fliegerkorps trainierten, wissen: "Das will ich machen. Mutter, ich möchte fliegen. (...) Wir können zusammen fliegen, du und ich. Ich kann das Flugzeug steuern." Und in dieser Nacht träumt sie vom Fliegen. Und es ist die Zeit, als die Menschen in Neuseeland sich noch als Briten und Britinnen sahen, Großbritannien war ihr "Mutterland", Maoris waren für sie Heiden und der Vater hatte noch gegen sie gekämpft. Wie Batten im Roman sagt: "... vielleicht hat das mit meinem Wunsch zu tun, weiter und schneller durch die Welt zu reisen. Meine Familie ist britisch, aber es ist schwierig, sich so zu fühlen, wenn man so weit weg ist. Neuseeland liegt am anderen Ende der Welt. Es dauert viele Wochen und bedarf beträchtlicher Mühen, von einem Ende der Welt ans andere zu reisen. Ich möchte zeigen, daß es schnellere Routen, bessere Wege gibt, um solche Reisen um die Welt zu bewerkstelligen."
Es ist die Anfangszeit des Fliegens. Die Pilotinnen und Piloten scheinen wagemutig und werden als HeldInnen gefeiert, wenn sie ihre Flüge überleben, was durchaus nicht immer der Fall ist. Die Zeitungen berichten, wer wann welchen Flug geschafft hat, welchen neuen Rekord aufgestellt hat, aber auch wer abgestürzt, tot oder vermisst ist – und es wird viel darüber gesprochen. Kidman weiß in ihrem biografischen Roman Jean Batten sehr gut in ihrer Zeit zu beschreiben und macht auch deutlich, dass sie keineswegs die einzige Pilotin zu ihrer Zeit war. So war Amy Johnson, die als erste Frau einen Alleinflug von England nach Australien machte, im gleichen Club wie Jean Batten in London.
Es scheint es ein unmöglicher Traum eines kleinen Mädchens während der großen Weltwirtschaftskrise. Ihre Eltern leben getrennt, das nötige Geld fehlt und sowieso: "Mädchen können keine Entdecker sein", meinte ihr großer Bruder – und schon gar keine Pilotin. Auch wenn sie erst noch Ballett und Klavierspielen lernt, ihren Traum gibt sie nicht auf. Mit großem Ehrgeiz setzt sich Jean Batten durch: "Es ist also wirklich möglich (...). Stell dir vor, von einem Ende der Welt ans andere zu fliegen. Würdest du das nicht gerne tun, Jean?" Sie wird hierbei vor allem von ihrer Mutter unterstützt, einer früheren Schauspielerin, die die strengen Geschlechterrollen keineswegs verinnerlicht hat, die mit ihr um die halbe Welt reist. Bereits in Neuseeland lernt Jean Batten zu morsen und mit dem Kompass umzugehen.
In London kann sie Flugunterricht nehmen, auch wenn dies bedeutet, dass ihre Mutter und sie sich jede Stunde vom Munde absparen und in billigen Absteigen leben müssen. Ihrem Vater in Neuseeland spielen sie vor, dass sie dort Klavierstunden nimmt. Wie wir es auch von den "Selbstfahrerinnen", also von den ersten Frauen, die Auto fuhren, kennen, lernt sie dort nicht nur zu fliegen, sondern eignet sich auch technische Kenntnisse an, um Reparaturen selber durchführen zu können.
Mit großer Beharrlichkeit arbeitet sie auf ihr Ziel hin: Sie will den Alleinflugrekord von Frauen von England nach Australien, den Amy Johnson innehat, unterbieten. Zweimal startet sie und stürzt unterwegs ab, erst beim dritten Mal gelingt es ihr: Sie kann den bisherigen Rekord um viereinhalb Tage unterbieten. Die Beschreibungen der Flüge sind häufig eher kurz, aber die neuseeländische Autorin Fiona Kidman gibt doch Einblicke, wie die Flugstrecke verlief, was Batten unterwegs erlebte und wie sie sich fühlte. Vor allem die Einsamkeit in großen Höhen weiß sie immer wieder gut zu beschreiben: "Sie sah sich selbst als einen Menschen, der am Rande lebte, aber hier über der Kargheit Griechenlands, hatte sie das Gefühl, mitten in ihr tiefstes Inneres einzudringen, ein einsamer Ort, ja, aber einer, der ohne Furcht war. In einer Krisensituation Furcht zu haben war eine Sache, aber die Angst vor dem Tod selbst würde sie nie schwächen."
Und schöner als jeder Ort unterwegs scheint ihr bei ihrer Ankunft Darwin im hohen Norden Australiens: "Als sie später an den Moment dachte, als sie über die Landebahn auf eine wartende Menge zurollte, erinnerte sie sich, daß, obwohl sie über einige der ältesten und schönsten Städte der Welt geflogen war, keine so magisch gewesen war wie diese kleine von wilden Buschfeuern umgebene Ansiedlung."
Diese Pioniertat macht sie 1936 zur bekanntesten Neuseeländerin ihrer Zeit. Es soll nicht bei diesem Rekord bleiben, weitere folgen. So fliegt sie nach Brasilien und als erste sowohl von England nach Australien als auch die umgekehrte Strecke, außerdem als erste in einem Direktflug von England nach Neuseeland. Die "Garbo der Lüfte", wie sie genannt wurde, erhält zahlreiche Auszeichnungen, wird empfangen wie eine Heldin und genießt ihren Ruhm: "Und manchmal liebe ich das – das ist es, was mich umtreibt. Das Rauschen des Bluts, wenn man auf die Menge schaut, und du hast sie in der Hand, die gespannte Stille, die nur du durchbrechen kannst. Das ist wie ein Zauber."
Immer wieder trifft sie Männer, die sie scheinbar unterstützen, die letztendlich aber alle wollen, dass sie das Fliegen aufgibt. Aber sie lässt sich nicht davon beirren und bleibt ihren Zielen treu. Und als sie sich letztendlich entscheidet, sesshaft zu werden – wohlgemerkt nachdem sie ihre Ziele erreicht hat - stürzt ihr Geliebter ab, auf einem scheinbar sicheren Inlandflug innerhalb Australiens.
Ihr Erfolg endet jäh, als ihr während des Zweiten Weltkrieges ihr Flugzeug abgenommen wird. Anschließend reist sie im Wesentlichen mit ihrer Mutter um die Welt. Eine Weile lässt sie sich noch in Jamaika nieder, wo sie nachbarschaftliche Beziehungen mit den britischen Autoren Ian Fleming und Noël Coward pflegt, aber wie sie selber feststellt: "Die Fliegerei war mein Leben, und damit ist es jetzt vorbei. Das ist alles. Alles ist vorbei. Ich habe versucht, auf Jamaika darüber hinwegzukommen. Nun ja, es hat nicht funktioniert." Und mit diesem Mittelpunkt verliert auch die Geschichte an Intensität und Spannung, wie Batten durch die Welt fährt, so mäandert auch der Roman gegen Ende etwas vor sich hin.
Jean Batten starb im Alter von 73 Jahren am 22. November 1982 vereinsamt auf Mallorca und wurde in einem anonymen Grab beerdigt. Der internationale Terminal des Flughafens von Auckland trägt heute ihren Namen.
AVIVA-Tipp: Ein beeindruckender Roman, in dem Fiona Kidman ein wunderbares Zeitbild von der Anfangszeit des Fliegens zeichnet, wobei sie gute Einsicht in die Risiken, aber auch die Erfolge der damaligen Piloten und vor allem Pilotinnen gibt. Zudem beschreibt sie in dem Roman eine sehr innige Mutter-Tochter-Beziehung und macht deutlich, dass scheinbare Einzelleistungen nur mit Unterstützung anderer überhaupt möglich sind.
Zur Autorin: Fiona Kidman, 1940 in Hawera, Neuseeland geboren, ist eine der profiliertesten Autorinnen ihres Landes. Mit mehr als 25 Romanen, Gedichtbänden und Sachbüchern hat sie ein umfangreiches Werk geschaffen. Sie beschreibt häufig das kleinbürgerliche Leben der unteren Mittelklasse in der Provinz, seine Moral und seine Heucheleien. Ihre Hauptfiguren sind zumeist Frauen, oft Außenseiterinnen in einer engen, konformistischen Gesellschaft.
Ihr Roman über Jean Batten, The Infinite Air, erschien 2013. Fiona Kidman wurde für ihr schriftstellerisches Werk vielfach ausgezeichnet. Sie ist Officer of the British Empire und Dame Companion of the New Zealand Order of Merit sowie Chevalière de la Légion d´Honneur. Sie lebt in Wellington. (Verlagsinfo)
Website von Fiona Kidman: www.fionakidman.com
Zur Übersetzerin: Barbara Weidle, geboren 1957 in Mülheim an der Ruhr, ist Kunsthistorikerin, Journalistin, Kuratorin und Verlegerin. Jean Batten, Pilotin ist ihre erste Romanübersetzung.
Fiona Kidman
Jean Batten, Pilotin
Originaltitel: The Infinite Air
Weidle Verlag, erschienen August 2016
Fadengeheftete Broschur. 412 Seiten
Aus dem Englischen von Barbara Weidle
Einbandillustration: Kat Menschik
ISBN 978-3-938803-82-0
Euro 25,00
www.weidleverlag.de
Mehr Infos zu Jean Batten auf Youtube:
Jean Batten Triumphs Aka Jean Batten in Sydney (1930-1939)
www.youtube.com
Golden Age Pioneers: Jean Batten - Garbo of the Skies
www.youtube.com
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Barbara Sichtermann und Ingo Rose - Sternstunden verwegener Frauen
Sechzehn beeindruckende Portraits wagemutiger Frauen, die das traditionelle Rollenbild infrage gestellt haben, oder es auch heute noch tun, immer wieder. Der Band versammelt in Text und Bild Biographien von Frauen, die sich bewusst dazu entschieden haben, einen anderen Weg einzuschlagen: ihren eigenen. (2015)
Amelia - Das Leben der Amelia Earhart
Der Film der Regisseurin Mira Nair ("Monsoon Wedding", "New York, I love you") porträtiert die legendäre Flugpilotin Amelia Earhart im Großformat. Die Frauenrechtlerin Amelia Earhart war die erste Frau, die den Atlantik überquerte. (2009)
Alleinflug – Mein Leben. Elly Beinhorn
Die erste Frau, die um die Welt flog, erzählt von den schwierigen Etappen ihrer Flugreisen und auch von denen ihres Lebens. Eine mitreißende Autobiographie über eine Frau und ihre Leidenschaft. (2007)