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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 16.08.2016


Godela Linde - Basta! Gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz
Hai-Hsin Lu

Mit ihrer Handreichung zum Umgang mit sexistischen Übergriffen im Arbeitsalltag verbindet die Autorin und Juristin juristisches Wissen mit feministischem Engagement und konkreten Ratschlägen.




Ob anzügliche Sprüche, Pfeifgeräusche oder physische Grenzüberschreitungen – sexuelle Belästigung durchdringt alle Lebensbereiche vieler Menschen, vor allem von Frauen. Insbesondere am Arbeitsplatz kann die Abwehr und Anzeige eines solchen Vorfalls für die Belästigte mit besonderen Hürden belegt sein. Godela Linde sammelte über dreißig Jahre als Juristin beim DGB Arbeitserfahrung. In ihrem Ratgeber "Basta!" werden erstmals Entscheidungen aus über 700 Prozessen um sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ausgewertet.

Sexuelle Belästigung erkennen

Die Autorin steigt nach dem Vorwort von Ingrid Kurz-Scherf, Professorin für Politische Wissenschaft mit dem Schwerpunkt "Politik und Geschlechterverhältnis" am Institut für Politikwissenschaft der Philipps-Universität Marburg, mit der Frage danach ein, was sexuelle Belästigung ist. Linde bezieht sich auf fünf Studien, darunter "Europaweit Gewalt gegen Frauen" (2014), "Bewertung durch Frauen und Männer" (1991, Studie des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit), Studien der Bundeswehr (2008 und 2011) und die Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2015). Diese geben über die subjektive Sicht auf den Tatbestand der sexuellen Belästigung Aufschluss.

Dabei berücksichtigt die Autorin insbesondere die Grauzonen, die oft unübersichtlichen Situationen. Eine Fülle von Beispielen aus der Rechtsprechung dienen den Leser_innen als zentrale Funktion, um Grenzüberschreitungen zu erkennen.
Linde beleuchtet auch die Rolle der Belästiger: Wie kann ein Mensch im Arbeitsumfeld als solcher erkannt werden? Welche Verhaltensmuster sind gängig? Wie kann mit sozialen und beruflichen Hierarchien umgegangen werden? Aufmerksam macht sie auch darauf, welche Ausflüchte der Täter stets parat hat, um sich womöglich sogar selbst als Opfer zu inszenieren. "Er wertet die Belästigte ab und scheut sich auch nicht davor, die Belästigte, der er jahrelang nachgestiegen ist, als verlogene Denunziantin hinzustellen, weil sie doch ´eine eher unscheinbare und bieder wirkende Person´ sei, hat er sie natürlich nicht belästigt."

Rückzug ist keine Option

Für die Autorin ist ein "stiller Rückzug" keine Option, denn die Folgen sexueller Belästigung sind schwerwiegend: unter anderem können psychische Schäden, Arbeitsunfähigkeit und schwere Traumata aus den analysierten Fällen entstehen. Stattdessen schlägt sie eine Reihe an Reaktionsmöglichkeiten vor, die Situationen eindeutig entsexualisieren und die Ablehnung der Belästigten deutlich machen. Genauso plädiert sie für die Suche nach Verbündeten und der gegenseitigen Unterstützung.

Juristisch gegen Ãœbergriffe vorgehen

Linde geht im Weiteren auf die rechtlichen Aspekte, insbesondere das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), ein. Sie informiert die Leser_innen über Geltungsbereich und Fristen des Gesetzes und führt ihre Handlungsoptionen aus. Beispielsweise kann sich die Belästigte laut dem Beschwerderecht (§ 13 AGG) an der richtigen Anlaufadresse beschweren. Über diese muss der/die Arbeitgeber_in informieren. Benachteiligungen muss sie rein rechtlich nicht befürchten Genauso kann nach dem Leistungsverweigerungsrecht (§ 14 AGG) die Arbeit eingestellt werden, wenn die Bedingungen nicht zumutbar sind.

Auch die Rolle des/der Arbeitgebers_in und der Gewerkschaften werden im Buch ausgeführt. Der/Die Arbeitgeber_in trägt die Verantwortung, gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz angemessene Gegenmaßnahmen zu ergreifen – der Widerstand der Betroffenen sollte nicht die einzige Reaktion auf solche Vorfälle sein. Gewerkschaften haben eine wichtige Außenfunktion in der Vertretung von Arbeitsnehmer_innen und sollten laut Empfehlung der Europäischen Kommission möglichst Gewerkschaftsvertreter_innen als Ansprechspartner_innen für Betroffene ausbilden.

Godela Linde verbindet in ihrem Ratgeber juristische Perspektiven mit konkreten Empfehlungen, Fakten und Beispielen aus der Praxis und nicht zuletzt ihrer persönlichen politischen Stellungnahme. Sie fordert alle Betroffenen auf, Widerstand zu leisten – ob auf Rechtswegen oder durch ein klares, lautes: "Basta!"

AVIVA-Tipp: Mit Fachwissen und analytischer Schärfe bringt die Juristin Informationen, konkrete Empfehlungen und feministische Solidarität zusammen. Eine Stärkung aller Frauen, gegen sexuelle Belästigung jedweder Form anzukämpfen!

Zur Autorin: Godela Linde, Juristin, lebt und arbeitet in Marburg. Über 30 Jahre war sie im gewerkschaftlichen Rechtsschutz vor Ort beschäftigt, unter anderem als Teamleiterin der Arbeitseinheit Frankfurt der DGB Rechtsschutz GmbH, und zuletzt im "Gewerkschaftlichen Centrum für Revision und Europäisches Recht". Godela war aktiv in der gewerkschaftlichen Frauenarbeit, organisierte Lehrgänge und veröffentlichte Artikel in juristischen Fachzeitschriften zum Thema sexuelle Belästigung. Darüberhinaus wirkte sie an drei Bänden "Frauen in Marburg. Ein Lauf- und Lesebuch" mit.

Godela Linde
Basta! Gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

Mit einem Vorwort von Ingrid Kurz-Scherf
PapyRossa Verlag, Neue Kleine Bibliothek 217, erschienen: 2015
Taschenbuch, 212 Seiten
ISBN 978-3-89438-590-3
15,90 Euro
www.papyrossa.de

Weitere Informationen:

Die Autorin empfiehlt folgende Webseiten als Online-Nachschlagewerk:
www.gesetze-im-internet.de
www.eur-lex.europa.eu

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Beitrag vom 16.08.2016

AVIVA-Redaktion