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Beitrag vom 27.07.2016
Angela Koch - Ir/reversible Bilder. Zur Visualisierung und Medialisierung von sexueller Gewalt
Hai-Hsin Lu
Wie wird sexuelle Gewalt medial dargestellt? Die Autorin, Professorin am Institut für Medien, Abteilung Medienkultur- und Kunsttheorien an der Kunstuniversität in Linz, widmet sich dem zutiefst verstörenden Thema anhand von Filmen wie "The Accused", die sie kulturhistorisch kontextualisiert.
Der mediale Aufschrei um Gina-Lisa Lohfinks Prozess war groß, als sie wegen mehrfacher Vergewaltigung und der Veröffentlichung der Verfilmung ebendieser klagte. Der nun kontrovers diskutierte Fall zeigt eindeutig, wie Gina-Lisa immer wieder "Nein!" und "Hört auf!" sagt. Doch das genügte nicht für einen Strafbestand.
Die Richterin verurteilte sie trotz des eindeutigen Filmmaterials wegen angeblicher Falschbeschuldigung zu 24.000 Euro Strafe.
"A Question of Consent"
In "Ir/reversible Bilder" thematisiert Angela Koch die Grenzen der Darstellbarkeit von sexueller Gewalt in den Medien: In ihrer Analyse des Dokumentarfilms "Raw Deal: A Question of Consent" (2001), wird ebenfalls ein Vergewaltigungsgrenzfall ausgehandelt. Es stellt sich die Frage: Wie kann es Grenzfälle geben? Wo bleibt die juristische Eindeutigkeit, die sich die Öffentlichkeit herbeiwünscht? Koch geht in ihrem Werk auf die Ambivalenz von medialer Darstellung ein. Hierbei setzt sie den Akt der Vergewaltigung in einen kulturhistorischen Kontext und verfolgt die Deutungsmuster bis hin zu kontemporären Spielfilmen, deren szenische Darstellung von sexueller Gewalt sie ausführlich analysiert.
Wann wird Vergewaltigung anerkannt? Wenn es Zeug_innenaussagen gibt? Oder gar Videomaterial? Koch spricht von dem "Feld des Sichtbaren", das "weit davon entfernt ist, evident zu sein." Denn alle Bewegtbilder bekommen durch Kontextualisierung und Vorwissen ihre Bedeutung zugeschrieben. Gina-Lisa Lohfink hatte eindeutiges Beweismaterial für die sexuelle Gewalt, die ihr widerfahren ist – doch nur insofern, als sie als sexuelle Gewalt interpretiert wird. Koch geht auf zwei Definitionsarten ein: eine Seite würde das Video als selbst gemachte Hardcore-Pornographie bezeichnen, die andere als ein sexuelles Verbrechen. In der Auseinandersetzung mit Filmen dieser Art schlussfolgert Koch die These ihrer Veröffentlichung: Die Darstellung von sexueller Gewalt trägt zu seiner Bedeutung bei. Die Bilder überbrücken die Grenze zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren. Das heißt, sie sind in Komplexe zwischen Wissen und Macht eingebettet, die nur so ihre Interpretation ermöglichen.
Ein "Nein" reicht nicht ?
Die konservative Darlegung der zwei oben genannten Fälle begreift die betroffenen Frauen eindeutig als Objekte. Koch schreibt hierzu: "Sexuelle Gewalt wird hier als Akt des widerrechtlichen Eindringens in fremdes Eigentum betrachtet". Da sowohl die Striptease-Tänzerin in "Raw Deal" (2001) als auch Gina-Lisa Lohfink in ihrer Glamour-Bekanntheit angeblich moralisch verwerflichen Berufen nachgehen und keinem Mann eindeutig zuzuordnen waren, konnten sie nach dieser Auffassung auch nicht vergewaltigt werden. Diesen erschreckenden Schluss ziehen viele aus dem Videomaterial, das im Internet veröffentlicht wurde.
Koch übt auch Kritik an der Justiz, der Rechtssprechung selbst: "Zwischen der visuellen Darstellung von sexueller Gewalt und den heute geltenden Rechtsnormen, die dem Delikt der sexuellen Gewalt zugrunde liegen, besteht eine erhebliche Diskrepanz." Diese besteht laut Koch darin, dass die visuelle Norm dem Opfer deutliche Passivität zuschreibt, um authentisch zu wirken. Gleichzeitig galt es über lange Zeit auch im deutschen Recht, dass sexuelle Handlungen bei verbalem Widerstand nicht strafbar waren – es musste aktiver, körperlicher Widerstand geleistet werden. Dieses Recht wird nun, seit dem 07.07.2016, endlich Gesetz, jedoch bleibt diese von Koch benannte Diskrepanz weiter sozio-kulturell verankert.
Weiterführend geht Koch auf das sogenannte "abendländische" Vergewaltigungsverständnis ein, in dem sowohl die Schuld, als auch die Schande eines sexuellen Übergriffs von der Frau getragen wird. Die "Schuld" stamme von ihrer Sichtbarkeit, ihrer einfachen Existenz als Objekt der Begierde. Die "Schande" wiederum bestehe in der ihr aufgezwungenen Rolle als Wächterin der Moral und Tugend für das gesamte Kollektiv. Angela Koch nennt als Paradebeispiel die Lucretia, deren Vergewaltigung von dem Geschichtschreiber Titus Livius dokumentiert und im Laufe der Jahrtausende breit rezipiert wurde. Lucretia begeht nach ihrer Vergewaltigung Selbstmord, denn es ist der einzig "ehrbare" Weg, der für sie noch bleibt.
Gewalttätige Filmbilder
Mit diesem fundierten Hintergrundwissen geht Koch in den folgenden Teilen des Buches auf diverse Filme ein, die zu dem sogenannten "Rape Revenge Genre" zählen. Unter anderem untersucht sie Filme wie "The Accused" (1988), "Baise-Moi" (2000) und "Irréversible" (2002). Hierbei wird klar, dass in den Filmen der Einsatz von sexueller Gewalt als dramaturgisches und ästhetisches Mittel genutzt wird. Die "realistische" Darstellung von Vergewaltigungen besteht aus der Zerstörung von weiblichen Körpern als voyeuristische Ereignisse für einen eindeutig männlichen Zuschauer.
So werden sowohl die Spiel- als auch Dokumentarfilme, die sexuelle Gewalt thematisieren und verbildlichen, in die Verstrickungen zwischen Wissen, Macht und Deutungshoheit verortet. Das Video, das ohne Gina-Lisas Erlaubnis im Internet gestreut wurde, ist genauso ein Zeugnis für die unsichtbare, patriarchale Dominanzstruktur, wie "The Accused" mit Jodi Foster aus dem Jahr 1988. Beide zeigen, wie die Deutung der Bilder, der Körper, der Handlungen, keinen eindeutigen Leitfäden folgen, sondern in spezifische Kontexte eingebettet, mit bestimmten Vorwissen rezipiert, unterschiedlich kodifiziert werden.
Angela Kochs komplexes Werk greift weit umfassend in die Tiefen der eng verzweigten Themengebiete ein. Auch abseits der akademischen Diskurse existieren zahlreiche Initiativen, die auf sexuelle Gewalt aufmerksam machen und die Entmenschlichung und Objektifizierung von Frauen als gesamtgesellschaftliches Problem anprangern, das es zu lösen gilt. Gina-Lisa Lohfinks Videobeweis hätte ausreichen sollen, um ihren Fall eindeutig zu prüfen – es war kein verführerisches Spiel, das dokumentiert wurde, kein einvernehmlicher Akt. Es war Vergewaltigung. Angela Koch führt den Leser_innen eindrücklich vor Augen, wie vielschichtig die Thematik ist und bleibt – und wie überaus wichtig.
AVIVA-Tipp: Angela Kochs wissenschaftliches Werk zur Macht der (Bewegt-)Bilder in Bezug auf sexualisierte Gewalt spricht ein hochaktuelles Thema an: Die Frage nach der körperlichen und sexuellen Selbstbestimmung. Die Darstellung von sexueller Gewalt zieht aus den aktuellen Diskursen ihre Bedeutung. Daher ist der Umgang mit sexistischen Bildern umso wichtiger – sie könnten irreversibel sein.
Zur Autorin: Angela Koch, geboren 1965, ist Professorin an der Kunstuniversität Linz im Bereich Medientheorien und Leiterin des Masterstudiengangs Medienkultur- und Kunsttheorien. 2015 habilitierte sie an der Kunstuniversität Linz in Medienwissenschaft mit ihrer Habilitationsschrift: "An den Grenzen der Sichtbarkeit. Zur medialen Darstellung sexueller Gewalt". Bereits 2007/2008 leitete sie das DFG-Forschungsprojekt "Ir/reversible Bilder. Visualisierung und Medialisierung von sexueller Gewalt" am Institut für Medienwissenschaft/Ruhr-Universität Bochum.
Ihre zahlreichen Publikationen und Forschungsgebiete umfassen u.a. Politik und Medien, Gender und Medien, Erinnerungskultur, Postkoloniale Ansätze, Rassismus und Alterität und Stimmpolitiken.
(Quelle: Verlagsinformationen: www.vorwerk8.de
und die Homepage der Autorin)
Die Autorin im Netz: blog.mkkt.ufg.ac.at/angelakoch
Angela Koch
Ir/reversible Bilder: Zur Visualisierung und Medialisierung von sexueller Gewalt
Vorwerk 8, erschienen: August 2015
Taschenbuch, 295 Seiten
ISBN 978-3-940384-72-0
www.vorwerk8.de
Veranstaltungshinweis zum Thema:
Frauen nur als Deko - Sexismus in den Medien
Mittwoch, 28. September 2016, 11:00 Uhr bis 16:30 Uhr
Welche Strukturen führen dazu, dass Medienschaffende an Stereotypen festhalten? Wie geht es anders und was können gute Beispiele bewirken? Die Friedrich-Ebert-Stiftung möchte Sie einladen, mit Ihnen zu diskutieren und in einen Austausch darüber zu treten, wie eine gerechte Medienlandschaft in der Zukunft aussehen kann.
Unter anderem anwesend sein werden Vertreter_innen von Protestorganisationen wie "Pinkstinks" und der Kampagne "StopBildSexism", sowie von öffentlichen Instanzen, z.B. dem Deutschen Werberat und dem ZDF. Es stellen sich somit einige der wichtigsten antisexistischen Kampagnen vor, die in Diskussionen und Workshops zahlreiche Themen abdecken werden.
Unter anderem Workshops zu Werbespezifischem Sexismus wie "Stop Sexismus in der Werbung! Über eine mögliche Gesetzesnorm und ihre Notwendigkeit". Veranstaltungsort: Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin
Hiroshimastraße 28, 10785 Berlin
Das vollständige Programm sowie weitere Informationen finden Sie als PDF unter: www.fes.de
Eintritt frei
Um Anmeldung per E-Mail wird gebeten: forumpug@fes.de
Eine Kinderbetreuung während der Veranstaltung ist auf Anfrage möglich.
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Anne Wizorek - Weil ein Aufschrei nicht reicht. Für einen Feminismus von heute
Das F in Feminismus steht für Freiheit. Die Berliner Publizistin und Initiatorin der #aufschrei-Kampagne erklärt in ihrem Buch, wie wir gemeinsam eine bessere Gesellschaft für alle schaffen können. (2014)