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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 17.07.2016


Charlotte Brontë - Jane Eyre
Bärbel Gerdes

Zum 200jährigen Geburtstag der Autorin am 21. April 1816 erscheint ihr berühmtester Roman in Neuübersetzung, übertragen von der renommierten Übersetzerin Melanie Walz. Lohnt sich ein erneutes Lesen?




"Sie reißt uns das ganze Buch hindurch mit sich fort, ohne uns zum Nachdenken oder Aufblicken Zeit zu lassen. Bewegt sich jemand im Zimmer, so scheint die Bewegung nicht dort, sondern oben in Yorkshire stattzufinden, so tief sind wir versunken." So erging es Virginia Woolf, als sie vor 100 Jahren im Times Literary Supplement anlässlich des 100. Geburtstages von Charlotte Brontë an Jane Eyre erinnerte.

Der Roman war damals knapp 70 Jahre vorher (1847) erschienen, also inmitten des Viktorianischen Zeitalters, das Woolf schnellstmöglich hinter sich lassen wollte, war es doch geprägt von strengen, dabei bigotten Moralvorstellungen und einer stark imperialistischen und - damit einhergehend - rassistischen Politik.

Es war Charlotte Brontës zweiter Roman. Ihr erster, The Professor, war von mehreren Verlagen abgelehnt worden und wurde erst 1857 veröffentlicht. Eine dennoch positive Reaktion aus dem Verlagshaus Smith, Elder & Co. veranlasste Brontë jedoch dazu, ihren zweiten dorthin zu schicken. 1847 erschien schließlich Jane Eyre unter dem männlichen Pseudonym Currer Bell.
Charlotte Bronte war zu diesem Zeitpunkt 31 Jahre alt und hatte nur noch acht Jahre zu leben. Geboren war sie in Thornton in Yorkshire. Ihre Schwester Maria war zwei Jahre vorher zur Welt gekommen, ihre andere Schwester Elizabeth ein Jahr vorher. Es folgten auf Janes Geburt 1817 ihr Bruder Patrick Branwell, 1818 ihre Schwester Emily und 1820 Anne. Ein Jahr später starb die Mutter Maria – und wir fragen uns, was diese für ein Leben hatte...

Bereits 1820 war die Familie in das Pfarrhaus nach Haworth gezogen, weil der Vater dort als Pfarrer tätig war. Nach dem Tod der Mutter wurden die Töchter 1824 in ein Internat nach Lancashire geschickt. Charlotte Brontë machte die schlechten Bedingungen in dieser Schule dafür verantwortlich, dass ihre beiden älteren Schwestern bereits ein Jahr später verstarben. Auch Jane Eyre besucht eine Schule, in der das Leben der Schülerinnen geprägt ist von Kälte und Hunger und dem Geiz und Unverständnis des Internatsleiters, einem Geistlichen. "Manchmal konnten sie [die Mädchen] sich nicht auf den Beinen halten und sanken zu Boden, woraufhin man sie an die hohen Hocker der Klassenordnerinnen lehnte."

Nach dem Tod der beiden Schwestern werden Emily und Charlotte von ihrem Vater nach Hause beordert, wo sich die nunmehr älteste Tochter Charlotte um den Haushalt und die jüngeren Geschwister kümmern soll. Bereits 1826 beginnen die Geschwister kleine Texte zu schreiben und flüchten sich schreibend in die Phantasiereiche Angria und Gondal.
Schließlich besucht Charlotte Brontë 1831 und 1832 ein Internat, in dem sie von der Leiterin Miss Wooler sehr geschätzt und gefördert wird, so dass sie dort ab 1835 als Lehrerin tätig ist. Auch dies wird im Leben Jane Eyres gespiegelt. Die von ihr geliebte und verehrte Miss Temple bietet Jane die Möglichkeit zur Selbständigkeit und Unabhängigkeit.

Nach Anstellungen in Privathaushalten unterrichtet Charlotte 1842-1844 in dem Pensionat Héger in Brüssel und nimmt dort selbst weiteren Unterricht mit dem Ziel, nach ihrer Rückkehr mit ihren Schwestern Anne und Emily selbst eine Privatschule in Yorkshire zu gründen. In dieser Zeit lernt sie Constantin Héger, den Leiter des Instituts, kennen – und die Mythenbildung beginnt.

Was wurde alles geschrieben über Charlottes unglückliche Liebe! Es scheint fast, als wäre ihr Leben ab diesem Zeitpunkt reduziert darauf, unglücklich liebend und herzzerbrochen zu sein! Und natürlich einsam, wozu ja die moorweite Landschaft Yorkshires, wohin sie 1844 zurückkehrte, hervorragend passt.
Wieviel weniger jedoch wurde über ihre tiefe Liebe zu Ellen Nussey geschrieben, einer Mitschülerin auf Miss Woolers Schule. Die beiden befreunden sich eng miteinander und schreiben sich leidenschaftliche Briefe, wenn sie getrennt sind. Bereits 1932 beschreibt E.F. Benson in seiner Biographie über Charlotte Brontë diese leidenschaftliche Beziehung und folgert daraus, dass Charlotte sich eine beträchtliche Zeit ihres Lebens mehr zu Frauen als zu Männern hingezogen fühlte.

Erst feministische Lebensbeschreibungen der 1970ger und 80ger Jahre griffen diese Darstellung wieder auf und zeigten zudem, wieviel Brontë neben dem Roman Jane Eyre noch geschrieben hatte.
Charlotte Brontës weitere Romane The Professor (posthum 1857 erschienen), Shirley (1849), eine Hommage an ihre Schwestern und an ihre Freundinnen Ellen Nussey und Mary Taylor, Villette (posthum 1853) und ihr unvollendeter Roman Emma erreichten jedoch nie die Bekanntheit wie der über die Gouvernante Jane, die als Schülerin die Missstände an ihrer Schule kritisiert, schließlich selbst Lehrerin wird, um dann in dem Haushalt von Mr. Rochester für die Erziehung seiner Tochter Adèle zuständig zu sein. Diese Jane ist eine Mischung aus Auflehnung: "Sir, ich glaube nicht, dass Sie ein Recht haben, mich herumzukommandieren, nur weil Sie älter sind als ich oder weil Sie mehr von der Welt gesehen haben als ich." und ein Aufgehen in der Liebe zu ihrem Arbeitgeber, der ihr zunächst äußerst mürrisch, sarkastisch und unfreundlich gegenübertritt. Und trotzdem Jane Eyre als Charakter angelegt ist, der unanhängig und rebellisch ist und den viktorianischen Vorstellungen widerspricht, bleibt letztendlich doch ein konventionelles Eheidyll von der Aufopferung der liebenden Frau für ihren geliebten Gatten. So müssen wir Virginia Woolf dann auch zustimmen, die vor hundert Jahren mit spitzer Feder schrieb: "Daß es Nachteile hat, Jane Eyre zu sein, liegt nahe. Immer Gouvernante sein und immer verliebt sein ist entschieden eine Einschränkung in einer Welt voller Menschen, die schließlich weder das eine noch das andere sind.

Jane Eyre hält für das Lesevergnügen jedoch auch andere Elemente bereit: Anleihen an dem Schauerroman machen den Roman zu einem jener, den wir gerne im Warmen lesen, während draußen der Wind tobt. Denn natürlich spielt die einsame Moorlandschaft und deren heftige Wetter eine prominente Rolle und auch die Schreie der "wahnsinnigen" ersten Frau Rochesters, die im Obergeschoss des Hauses ein- und weggesperrt wird. Diese ist übrigens eine Kreolin, die Rochester aus den Kolonien mitgebracht hat, was Jean Rhys wiederum zu dem Roman Wide Sargasso Sea inspirierte. In ihm erzählt Rhys die Vorgeschichte dieser Frau, die von einem Engländer durch ein Eheversprechen verlockt wird, ihr Land zu verlassen, um dann an seiner Lieblosigkeit zu zerbrechen, wie Melanie Walz, die Übersetzerin des vorliegenden Bandes, in ihrem umfangreichen Nachwort kenntnisreich erzählt.
Charlotte Brontë übrigens heiratete 1854 einen Geistlichen, nur um ein knappes Jahr später an Schwangerschaftskomplikatonen zu sterben.

AVIVA-Tipp: Sollen wir Jane Eyre noch einmal lesen? Aber ja! So selbstversunkenes Lesen macht einfach glücklich!

Zur Autorin: Charlotte Brontë am 21. April 1816 in Thornton geboren, gestorben 1855 in Haworth. Arbeitete als Gouvernante und Lehrerin und schrieb neben Gedichten die fünf Romane "The Professor", "Villette", "Shirley", "Jane Eyre" und "Emma" (unvollendet).

Zur Übersetzerin: Melanie Walz, geboren 1953 in Essen geboren, ist eine literarische Übersetzerin, die für ihre Übersetzungen hochgelobt wird. Unter anderem übertrug sie Jane Austen, Charlotte Brontë, Lily Brett, Antonia S. Byatt und Patricia Highsmith ins Deutsche. Melanie Walz studierte Pädagogik, Psychologie und Soziologie in München, arbeitete als Redakteurin und Lektorin und begann in den 1980ger Jahren mit literarischen Übersetzungen. Sie erhielt verschiedene Stipendien sowie 2015 den Übersetzerpreis der Landeshauptstadt München.

Charlotte Brontë
Jane Eyre – eine Autobiographie

Originaltitel: Jane Eyre – an autobiography
Herausgegeben und aus dem Englischen übersetzt von Melanie Walz
Ergänzt durch einen ausführlichen Anhang, der die historischen Hintergründe des Romans erläutert
Insel Verlag, erschienen am 7.12.2015
Gebunden, 652 S.; auch als E-Book erhältlich
ISBN 978-3-458-17653-4
29.95 Euro
www.suhrkamp.de

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Beitrag vom 17.07.2016

Bärbel Gerdes