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Beitrag vom 02.06.2016
Ilany Kogan - Im Prisma der Kreativität. Zwei psychologische Fallstudien
Nea Weissberg
In ihrem neuen Buch demonstriert die israelische Psychoanalytikerin, klinische Psychologin und Supervisorin in einem gut referierten wissenschaftlichen und einem anschaulich dargestellten fallanalytischen Anamnese-Teil den heilenden ...
... Einsatz kreativer Symbol- und Phantasiearbeit im Verlauf einer Therapie mit der Second Generation – Klientel.
Einsatz von Kreativität verhilft zu einem therapeutischen Prozess bei der Second Generation
Kreativität, die mit Hilfe einer professionell ausgebildeten Begleitperson tiefenpsychologisch hinterfragt und gedeutet wird, kann dabei helfen, den Nachkommen von Schoah-Überlebenden ein künstlerisches und entlastendes Element der Wirklichkeit des Familientraumas entgegenzusetzen.
So wächst die Chance für die Linderung-Suchenden, die traumatischen und historisch leidvoll durchlebten Todeserfahrungen der Eltern oder Großeltern innerseelisch zu integrieren.
Bislang Nichtsagbares, sei es eine abrufbare, tiefempfundene Angst vor Verlassen und Verlassenwerden, ein Gefühl von schmerzender Leere, ein Misstrauen der Welt gegenüber oder ein Aufkeimen von Zorn als Trauerabwehr, können aus einem "reparativen Impuls" (Vgl. Kogan, S. 75) innerhalb eines therapeutischen Kontextes kreativ umgewandelt und externalisiert werden - dank einer inspirierenden, spielerisch-einfallsreichen musischen Ausdrucksform, sei es durch Malerei, Prosa, Poesie, Deutung biblischer Geschichten etc.
Es kann in Folge eine Erlaubnis entstehen, sich mit den tatsächlichen Orten, den familiären Lebensabrissen zu beschäftigen und sei es auch nur fragmentarisch.
Viele Angehörige der Second Generation versuchen das ´ererbte´ Familien-Trauma vielfach durch Strebsamkeit, beruflichen und gesellschaftlichen Status, finanziellen Erfolg sowie dem Hang nach äußerer Schönheit auszugleichen. Schwach-Sein heißt Erniedrigung. Übergroße Schwachheit verursacht Panik, denn sie trägt das Risiko wiederkehrender Machtlosigkeit in sich.
Tränen waren in Schoah-Familien, die jahrelang individuell und als Kollektiv einer unvorstellbaren Unmenschlichkeit ausgeliefert waren, oft ein Tabu - ein Zeichen von Schwäche und von übergroßem emotionalem Überwältigt-Sein.
Viele Schoah-Überlebende hofften, ihren Kindern das Wissen um ihr erlittenes Leiden ersparen zu können und umhüllten aus tiefer Scham und Verwundbarkeit ihre Sinnesempfindungen mit einem Schleier des Verstummens. Sie wollten ihren Kindern damit Empfindungen tiefen Kummers ersparen.
Doch das existierende Trauma ließ sich durch eine schweigende Form der Kommunikation nicht innerfamiliär auflösen und wurde an die Folgegeneration durchgeschlungen weitergegeben.
Unzählbare Ermordete konnten nicht betrauert werden. Nachkommen von Schoah-Überlebenden wurden oft zu Stellvertreterinnen und Stellvertretern von getöteten Angehörigen. Sie gaben ihren Kindern traditionsgemäß die Namen ihrer verstorbenen Verwandten Die israelische Psychotherapeutin Dina Wardi bezeichnet Kinder, die nach den in der Schoah ermordeten Eltern oder Geschwistern benannt werden, als "lebende Gedenkkerzen".
"Affektives Verständnis verbindet Gedanken und Gefühle, die bisher häufig durch die Unterdrückung des Traumas und die Spuren der Unterdrückung in den Nachkommen voneinander getrennt waren. Die daraus resultierende Integration von Kognition und Emotion verringert auf drastische Weise das Bedürfnis der Nachkommen nach wiederholtem Enactement der Geschichte der Eltern in eigenen gegenwärtigen Leben." (Kogan, S. 74).
Ilany Kogan schreibt der Second Generation eine außergewöhnliche Anpassungsfähigkeit zu, aber oft unter Nichtbeachtung eigener Wünsche und Lebensziele.
Im ersten fallanalytischen Teil DAVID, einem streng religiös lebenden Juden, verdeutlicht Kogan, wie der Einsatz und die Deutung biblischer Geschichten hilfreich sein kann, um eine narzisstische Kränkung und innere und äußere Ambivalenzen zu überwinden, die ihr Klient (Sohn einer christlich-orthodoxen Kosakin und eines atheistischen Juden) in seinem Status als Konvertit und in Folge als Jude "zweiter Klasse" wahrnahm.
Ilany Kogan zeigt im zweiten fallanalytischen Teil RACHEL auf, dass die Identifikation mit einer geschädigten Schoah-Mutter zu einem Verlust des separaten Selbstgefühls der Tochter führen kann. Durch ihre Malerei, Poesie und Träume versuchte diese Klientin, "Themen ihrer Innenwelt, die anscheinend von so überwältigenden Gefühlen begleitet wurden, dass Verbalisierung unmöglich war, zu externalisieren." (Kogan, S. 82).
Wenn Erfahrungen und traumatisch prägende Erfahrungen nicht ausreichend versprachlicht werden können, so kann laut Ilany Kogans erprobter Arbeitsthese ein professionell therapeutisch begleiteter künstlerischer Kreativprozess innerhalb einer Behandlung in einem geschützten Übungsraum beim Klienten eine Halt gebende innerseelische Struktur entstehen lassen. Eine Grundvoraussetzung für emotionales Wachstum und für die Fähigkeit zwischen dem eigenen Selbst und dem Anderen, zwischen Vergangenheit und Gegenwart sowie innerer und äußerer Wirklichkeit zu differenzieren. (Vgl. Kogan, S. 72).
AVIVA-Tipp: "Im Prisma der Kreativität" ist ein notwendiges Buch für alle, die sich professionell therapeutisch mit der nachwirkenden Schädigung von kollektiven Traumata beschäftigen.
Zur Autorin: Ilany Kogan, geboren 1946 in Bukarest, ist Supervisionsanalytikerin bei der 1934 gegründeten "Israelischen Psychoanalytischen Gesellschaft" (www.psychoanalysis.org.il). Sie arbeitete in verschiedenen deutschen Städten als Supervisorin, vor allem in München und Aachen, wo sie bis heute tätig ist. Außerdem war sie beim Generatia Centre in Bukarest und bei der IPA Study Group in Istanbul tätig. Ein besonderer Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Beschäftigung mit den Nachkommen von Schoah-Überlebenden. 2005 wurde sie mit dem Elise M. Hayman Award for the Study of the Holocaust and Genocide der IPA ausgezeichnet.
Weitere Buchveröffentlichungen von Ilany Kogan (Auszug) im Psychosozial Verlag: Mit Hediaty Utari-Witt, "Unterwegs in der Fremde. Psychoanalytische Erkundungen zur Migration", "Mit der Trauer kämpfen. Schmerz und Trauer in der Psychotherapie traumatisierter Menschen" und "Der stumme Schrei der Kinder. Die zweite Generation der Holocaust-Opfer"
Weitere Titel finden Sie unter: www.psychosozial-verlag.de
Ilany Kogan
Im Prisma der Kreativität
Zwei psychoanalytische Fallstudien
Psychosozial Verlag, erschienen im Mai 2016
Buchreihe: Bibliothek der Psychoanalyse
Originaltitel: The Canvas of Change: Analysis Through the Prism of Creativity (Karnac Verlag)
Aus dem Englischen von Bettina Malka-Igelbusch
ISBN-13: 978-3-8379-2596-8, Bestell-Nr.: 2596
157 Seiten, Broschur, 148 x 210 mm
19,90 €
www.psychosozial-verlag.de