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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 26.05.2016


Marie Malcovati - Nach allem, was ich beinahe für dich getan hätte
Ahima Beerlage

Marie Malcovati, studierte Drehbuchautorin, Filmwissenschaftlerin und Ãœbersetzerin, stellt uns in ihrem Erstlingsroman drei Menschen vor, die sich in einem Bahnhof begegnen. Ein seltsames Trio: Ein Kommissar, der ...




... wegen einer Beinverletzung zu einem Überwachungsjob abgestellt wurde, ein verkaterter Mann in einer antiken Römerrüstung und eine junge Frau, die im Businesskostüm wie auf dem Sprung wirkt, aber starr im Bahnhof verharrt.

Sich auf ein neues Terrain zu wagen ist immer ein Abenteuer und dennoch träumen viele FilmautorInnen davon, auch einmal einen Roman zu schreiben. Die wichtigste Transferleistung dabei ist, die von der Bildersprache geprägte Ausdrucksform zu verlassen und in die Innenwelt der Figuren zu finden. Wenn es gelingt, diese beiden Welten miteinander zu verbinden, wird daraus ein ganz besonderer Lesegenuss.

Skurrile Begegnung

Polizist Beat Marotti ärgert sich. Wegen einer Beinverletzung kann er nicht am Außendienst teilnehmen, sondern wird abgestellt, im Baseler Hauptbahnhof vor den Überwachungsmonitoren zu sitzen, um eine Aktion von gewaltbereiten Demonstranten zu verhindern. Die Bewegungslosigkeit, zu der er durch die Verletzung gezwungen wurde, machte ihn unruhig. Seine Gedanken begannen, sich gewittrig zusammenzuballen. Doch schnell wird seine Aufmerksamkeit auf ein skurriles Paar gelenkt. Auf einer Bank im Bahnhofsgebäude sitzt ein übernächtigter Mann in einer originalgetreuen Uniform eines römischen Soldaten, neben ihm eine Frau, die ihren starren Blick auf die Abbildung eines Alpenpanoramas richtet. Mit kerzengeradem Rücken saß sie auf einer glänzenden Metallbank, ohne die Lehne zu berühren, als traue sie ihr nicht. Mit dem Blick des Kommissars lässt Marie Malcovati vor den Augen der LeserInnen detailreich die Atmosphäre in der Bahnhofshalle entstehen, bevor sie in die Perspektive der beobachteten Frau schlüpft.

Ohne Zukunft

Die Frau, Lucy, Übersetzerin, die wie auf dem Sprung wirkt und mit federleichtem Gepäck reist, weil sie an keine Zukunft für sich glaubt, fühlt sich unangenehm berührt, als ein nach Alkohol riechender Mann in der Uniform eines römischen Legionärs neben ihr Platz nimmt. Sie vermutet, dass er ihr Werbezettel aufdrängen will. Zu ihrem Erstaunen will der Mann nichts. Er schweigt. Auch ihn lernen wir in Rückblenden langsam kennen. Simons Großvater hat ein Zahnpasta-Imperium aufgebaut, das mit immer neuen Geschäftsbereichen zu einem der größten Pharmaunternehmen des Landes wuchs. Simons Brüder hatten wunderschöne Lebensläufe: nachvollziehbar, ineinandergreifend, sauber und lückenlos, wie das blendend weiße Modellgebiss, mit dessen Hilfe der Zahnarzt die richtige Putztechnik demonstrierte. Bei (Simon) dagegen wackelte alles, und zwar von Anfang an.

Fluchtpunkt

Wir erfahren wie in einem filmischen Wechselschnitt, deren szenische Perspektivwechsel puristisch nur mit den Anfangsbuchstaben der ProtagonistInnen überschrieben sind, dass beide Personen, die Kommissar Marotti ins Visier genommen hat, auf der Flucht vor ihrer Bestimmung sind. Lucy, die Übersetzerin, flieht vor der Diagnose, dass sie den Gendefekt in sich trägt, der ihre Mutter getötet hat. Simon flieht davor, seinen vorbestimmten Platz im Familienbetrieb einnehmen zu müssen.

Der heimliche Regisseur

Kommissar Beat Marotti, der nicht nur wegen seiner Beinverletzung an den Fotojournalisten Jeff aus Hitchcocks Thriller "Das Fenster zum Hof erinnert", entwickelt zunehmend den Wunsch, die beiden Gestrandeten zusammenzubringen. Ohne es bewusst zu realisieren, würde es ihm auch den Schmerz nehmen, vor dem er sich in seiner Arbeit versteckt. Seine Frau hat ihn verlassen. Er kann Gulia dennoch nicht loslassen. Als sie ihn anruft, nimmt er nicht ab, aber die Untröstlichkeit, die seit Stunden in der Ecke gelauert hatte, war langsam, aber unumkehrbar auf ihren Samtpfoten herangeschlichen. Als seine Nichte ihn auf seinem Beobachtungsposten besucht, wittert er seine Chance, wie ein Regisseur in das Schicksal des ungleichen Paares einzugreifen. Ein Happy End würde seinen Schmerz lindern.

Genau gezeichnete Miniatur

Der Roman umfasst nur 128 Seiten und schafft es dennoch, die Schicksale der drei Hauptfiguren genau auszuleuchten. Eine behutsame, bildreiche Sprache bringt dabei Charakter- und Ortsbeschreibungen auf den Punkt. Ungewöhnliche Wendungen, bisweilen skurriler Humor machen die Lektüre zu einem besonderen Vergnügen.

Zur Autorin: Marie Malcovati geb. 1982, studierte Drehbuch und Filmwissenschaften in Manchester und an der Filmakademie Baden-Württemberg, sie lebt derzeit in Freiburg im Breisgau. Sie schreibt Features für den SWR, übersetzt aus dem Französischen und Englischen und veröffentlicht Erzählungen, zuletzt im Band "Schön zu hören" (weissbooks, 2009). "Nach allem, was ich beinahe für dich getan hätte" ist ihr Romandebüt. (Quelle: Edition Nautilus)
Ein Interview der Autorin mit Katharina Picandet finden Sie unter:
www.edition-nautilus.de

AVIVA-Tipp: Die Drehbuchautorin und Übersetzerin Marie Malcovati vereint in ihrem Romandebüt filmische und erzählerische Elemente zu einem unterhaltsamen Kammerspiel. Humor und Nachdenklichkeit wechseln sich dabei ab. Auf kleinstem Raum lässt sie die LeserInnen am Schicksal der drei gestrandeten Hauptfiguren teilnehmen und findet mit ihrer erzählerischen Perspektive immer wieder ungewöhnliche Wendungen, die die Lektüre so kurzweilig machen. Es ist mutiger, einen kurzen Roman zu schreiben, die Inhalte so zu komprimieren, dass sie ihre Wirkung vor dem inneren Auge der Lesenden entfalten, als sich in langen Beschreibungen zu verlieren. Marie Malcovatis Mut aber hat sich gelohnt. Die Fusion der filmischen und erzählerischen Welten ist hier sehr gut gelungen. Das Buch ist daher sowohl für FilmfreundInnen wie auch für Sprachverliebte eine kurzweilige Lektüre.

Marie Malcovati
Nach allem was ich beinahe für dich getan hätte

Edition Nautilus, erschienen März 2016
Gebunden mit Schutzumschlag, 128 Seiten
ISBN 978-3-89401-827-6
Euro 16,00 Euro
Mehr zum Buch unter: www.edition-nautilus.de



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Beitrag vom 26.05.2016

Ahima Beerlage