Sineb El Masrar - Emanzipation im Islam. Eine Abrechnung mit ihren Feinden - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Literatur



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 30.03.2016


Sineb El Masrar - Emanzipation im Islam. Eine Abrechnung mit ihren Feinden
Hilâl Taskiran

Emanzipation im Islam?! Wie das geht und vor allem in der Zukunft vermehrt funktionieren muss, formuliert die junge Buchautorin mit marokkanischen Wurzeln offensiv und furchtlos in ihrem Werk und...




... stellt sich damit gegen die aktuell weltweit verbreitete Islam-Ideologie.


Perspektive einer emanzipierten Muslima

Frau/man könnte annehmen, das Werk richte sich nur an eine bestimmte Zielgruppe, doch wer das glaubt, irrt. Hier geht es nicht um die persönliche Aufarbeitung eines vom Islam unterdrückten Lebens oder einer Kampfansage gegen den islamischen Glauben. Das Ziel der Autorin El Masrar ist unmissverständlich. Sie fordert eine Entinstrumentalisierung der Frau in Gesellschaft und Religion. Klare Formulierungen in Wort- und Sprachstil erhöhen dabei die Aufmerksamkeit. Mit anschaulichen, persönlichen Beobachtungen und Erlebnissen, die sie im Kontext der aktuellen Debatten über den Islam reflektiert, wird die Leser_innenschaft Begleiter ihrer Beweggründe, dieses Buch zu schreiben.

"[...] Mädchen und Frauen muslimischen Glaubens einer Unterwürfigkeit voller Unwissenheit und Angst ausgeliefert zu lassen, kann und möchte ich auch nicht, indem ich Probleme verschweige und darauf hoffe, dass sie sich von ganz alleine auflösen." (S.100)

"Würde, Respekt, Freiheit und Rechte" – für und gegenüber Frauen (S. 16)

Selbstverständliche Werte, würden wir heute schon fast blauäugig annehmen, doch angesichts der Ereignisse in Istanbul am Internationalen Weltfrauentag oder der Silvesternacht in Köln wurden wir einmal mehr mit der Realität konfrontiert. Zur richtigen Zeit richten sich nun die kritischen Thesen an Politik, Bildung, öffentliche Institutionen, Vereine und Verbände. Insbesondere verfasst Sineb El Masrar diese als Muslima gegen vorherrschende männliche Traditionen im Islam. Gleichzeitig eröffnet es an vielen Stellen einen Raum für neue notwendige Debatten, wie beispielweise die der Selbstwahrnehmung, die insbesondere für Muslimas von Heute von Bedeutung sind. (S. 51) Eine simple und berechtigte Frage, die sich El Masrar hier bereits zu Beginn stellt lautet: " [...], warum [besitzen] muslimische Männer die Deutungshoheit über islamische Quellen?" (S. 54f.).

Aufforderung, einseitige Positionen zu hinterfragen

"Es gilt, sich mit der Realität, der Geschichte und den Quellen auseinanderzusetzen und anzuerkennen, dass das Leid vor allem von muslimischen Gelehrten und Herrschern legitimiert und befeuert wurde, und dass dies bis heute anhält." (S. 68f.)

Belegt durch zahlreiche Beispiele und Zitate aus Geschichte, Wissenschaft und Wirtschaft sieht es keineswegs so aus, als ob Sineb El Masrar die Argumente ausgehen können, wenn es darum geht, aus der Rolle der "gehorsamen Muslima" eine zu fördern, die ihre "gottgegebenen Rechte" einfordert und lebt. (S.18) Anspruch und Bestrebung der Autorin finden sich wieder in den provokativen Überschriften gepaart mit bittersüßem Wortwitz.

"Was genau irritiert mich so daran, was wühlt mich auf? Es ist die offenkundige Ungleichbehandlung der Geschlechter. Die Verkürzung der Kindheit und Sexualisierung der kindlichen Individuen." (S.101)

Mut, Solidarität, Courage und Selbstbestimmung

Sineb El Masrar handelt im Auftrag aller Frauen, denn nur wer fortschrittlich mitdenkt, weiß, dass nur die Betrachtung auf gleicher Augenhöhe ein faires und friedliches Miteinander gewährleisten kann. Weshalb die Themen Sexualität, Gewalt und Unterdrückung keineswegs von ihr tabuisiert werden. Im Gegenteil, denn genau hier müssen ihrer Meinung nach die Veränderungen stattfinden.

"[...] es ist ein Balanceakt, reale Probleme auf Seiten der Muslime zu thematisieren, ohne dabei diese Bevölkerungsgruppe zu diffamieren oder gar Applaus aus der falschen Ecke zu ernten." (S. 99).

Hoffentlich wird die Bilanz ihrer Abrechnung höher ausfallen als erwartet und sich in der Praxis und im Alltag wiederfinden, verankern und fortsetzen.

AVIVA-Tipp: Eine intelligente junge Buchautorin, die das sagt, was viele Muslimas im Herzen und im Kopf bewegt. Wie schon mit ihrem Buch "Muslim Girls. Wer sie sind, wie sie leben" erreicht, sollte die Autorin auch hier als Sprachrohr übergreifender Generationen verstanden werden.

Zur Autorin: Sineb El Masrar wurde 1981 als Tochter marokkanischer Einwanderer in Hannover geboren. 2006 gründete sie das multikulturelle Frauenmagazin "Gazelle". 2006 war sie in der Arbeitsgruppe "Medien und Integration" im Kanzleramt vertreten. Von 2010-2013 war sie Teilnehmerin der Deutschen Islam-Konferenz. Ebenfalls im Herder Verlag ist von ihr erschienen "Muslim Girls. Wer sie sind, wie sie leben". Sineb El Masrar lebt in Berlin.
(Quelle: Herder Verlag)

Sineb El Masrar im Netz: www.sinebelmasrar.de und www.gazelle-magazin.de

Sineb El Masrar
Emanzipation im Islam – Eine Abrechnung mit ihren Feinden

Herder Verlag, 1. Auflage 2016
Gebunden mit Schutzumschlag, 320 Seiten
Mit Personen- und Sachregister
ISBN: 978-3-451-34276-9
24,99 Euro
www.herder.de/

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Gazelle - das multikulturelle Frauenmagazin (2007) Sineb El Masrar, 24 Jahre, Kauffrau und Pädagogin, plündert ihr Konto, leiht Geld von den Eltern und gründet im Juli 2006 im Ein-Frau-Verlag die erste multikulturelle Frauenzeitschrift Deutschlands.

Deutschland, gefühlte Heimat (2008) Hier zu Hause und trotzdem fremd!? Elke Reichart hat zwölf Jugendliche mit Migrationshintergrund getroffen, um mit ihnen zu sprechen und sie von ihrem Alltag in Deutschland erzählen zu lassen.

Melda Akbas - So wie ich will. Mein Leben zwischen Moschee und Minirock SchülersprecherIn zu werden, birgt keine Karrierechancen? Weit gefehlt! Die Abiturientin Melda Akbas erzählt in ihrem Buch, was eine Deutsch-Türkin zwischen deutschem Schulalltag und türkischem Familienleben beschäftigt, und dass sie früh lernen musste, ihren Platz zwischen den Stühlen zu finden. (2010)

Necla Kelek - Chaos der Kulturen. Die Debatte um Islam und Integration Die mehrfach ausgezeichnete Autorin veröffentlicht eine Textsammlung, welche die deutsche Islam-Debatte erneut aufgreift. Dabei ist eines deutlich spürbar: Kelek ist wütend und fordert Disziplin. (2012)

Necla Kelek - Himmelsreise. Mein Streit mit den Wächtern des Islam (2010) "Islam-Bitches" und "Hinterhofgesellschaft" – einmal mehr provoziert Necla Kelek mit ihren Ansichten über die muslimische Gesellschaft in Deutschland. Was deren Glauben ausmacht und warum eine Diskussion über den Islam dringend nötig ist, eröffnet sie in ihrem neuesten Werk.

Seyran Ates - Der Islam braucht eine sexuelle Revolution Die sexuelle Selbstbestimmung ist für viele muslimische Frauen eine Utopie, deren Verwirklichung sie in Lebensgefahr bringen kann. Seyran Ates erklärt in ihrer Streitschrift, dass sich die Unterdrückung direkt aus dem Koran ableiten lässt und dass dieser deshalb dringend reformiert werden muss. (2009)

Seyran Ates - Der Multikulti-Irrtum (2008)
Seyran Ates widmet sich der Frage "Wie wir in Deutschland besser zusammen leben können". Aus eigenem Erleben und handfesten Grundlagen verfasst sie eine klare Momentaufnahme der Integrationspolitik

Rachida Lamrabet – Frauenland "Welcher Kerl nimmt schon Unterwürfigkeit auf sich? Jetzt einmal ganz im Ernst, du bist also bereit, für Europa deine Würde zu verhökern?" Die marokkanischen Männer bezeichnen den Westen als Frauenland, denn sie sind der Meinung, dass Frauen dort das Sagen haben. Doch der Roman thematisiert nicht nur die unterschiedlichen Geschlechterverhältnisse zwischen dem Westen und dem Islam, sondern auch die große Suche nach der eigenen Identität. (2008)






Literatur

Beitrag vom 30.03.2016

AVIVA-Redaktion