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Beitrag vom 17.01.2016
Ruth Stoltenberg - Objekt I. Untersuchungshaftanstalt und Haftkrankenhaus Berlin-Hohenschönhausen
Sharon Adler
Die Aufnahmen der für ihre fotografische Recherche ausgezeichnete Fotografin zeigen das ehemalige Stasigefängnis Hohenschönhausen und sein Haftkrankenhaus. Verhörzimmer und Gefängniszellen,...
... oder einzelne Objekte und Detailaufnahmen symbolisieren als stumme Zeugen den Machtapparat, der bis in die kleinsten Schreibzimmer der Befehlsempfänger_innen reichte, die gefühllos und sadistisch Befehle ausführten.
Die Kamera dokumentiert das Elend dieser Zeit und des darin begangenen Unrechts an den Menschen, die sich gegen dieses System auflehnten oder aus deren Sicht dagegen verstießen. Im Fokus der Fotos stehen unter anderem die Stühle, auf denen die Inhaftierten während der oft stunden- oder tagelangen Verhöre saßen. Aufnahmen von abblätternder Tapete in leeren Räumen stehen für den Verfall eines Systems, das auch heute noch von manchen glorifiziert wird.
Ob das Foto eines Untersuchungsstuhls in einem vollständig gefliesten Raum, oder eines Schreibtischs, auf dem sich als einziger Gegenstand die Schreibmaschine befindet, auf der die Verhörprotokolle abgetippt worden, oder die Detailaufnahme einer Telefonanlage – durch jedes abgebildeten Objekt wird ein weiteres Folterinstrument sichtbar.
Gerade die Sterilität und kompositorische Schlichtheit der Fotografien von Ruth Stoltenberg lässt das Grauen nur erahnen und macht es doch körperlich fühl- und spürbar.
Auffällig sind die Interieurs der Verhörzimmer, die eine gemütliche Wohnzimmeratmosphäre im Gegensatz zur karg eingerichteten Zelle herstellen sollten. Der perfide Hintergedanke: Die Gefangenen sollten so Vertrauen gewinnen und gesprächsbereit gemacht werden.
Neben den sensiblen Fotografien kommen auch Zeitzeug_innen zu Wort, die in diesen Räumen die Schrecken und Praktiken des Stasiregimes an Leib und Seele erfahren mussten.
Nicht der voyeuristische, sondern der dokumentarisch-philosophische Blick war der Antrieb für die Fotoserie von Ruth Stoltenberg. Sie kommentiert nicht, stellte vielmehr die zentralen Fragen als Ausgangspunkt: "Wie groß ist der menschliche Urtrieb nach Freiheit? Wie hält ein Mensch die Foltermethoden, Zersetzungsstrategien, das absolute Ausgeliefertsein aus? Wie überlebt frau/man die vielen Tage, Wochen, Monate in der Ungewissheit und Angst? Was erzählt frau/man den Vernehmer_innen in stundenlangen Verhören?"
Schon zuvor hatte die Fotografin sich mit dem Thema beschäftigt: Mit ihrer Serie "Lost in interiors - Photographische Positionen zur politischen Haft" war sie 2014 in der Kommunalen Galerie Berlin als offizieller Programmteil des 25. Jubiläums des Berliner Mauerfalls vertreten.
AVIVA-Tipp: Gerade durch die Schnörkellosigkeit und Reduziertheit der Aufnahmen wirken die einzelnen Motive noch lange nach. Das Fotoprojekt "Objekt I. Untersuchungshaftanstalt und Haftkrankenhaus Berlin-Hohenschönhausen" steht gegen das Vergessen und für das Sichtbarmachen eines unmenschlichen Ortes. An den Traumata ihres hier erlittenen Unrechts leiden die damaligen Gefangenen bis heute.
Zur Fotografin: Ruth Stoltenberg geboren 1962 in Saarburg, Rheinland-Pfalz, lebt heute in Hamburg. Nach einer zehnjährigen Tätigkeit als Fernsehredakteurin für Kinder- & Kurzprogramm (1990-2000) begann sie 2004, sich intensiv mit Fotografie zu beschäftigen.
Ruth Stoltenberg hat für ihr Buchprojekt "Objekt I - Stasigefängnis und Haftkrankenhaus Berlin-Hohenschönhausen" den Förderpreis der Stiftung Kunstfonds sowie den Förderpreis der Bundesstiftung Aufarbeitung erhalten.
Mehr Infos unter: www.ruthstoltenberg.de
Ruth Stoltenberg
Objekt I. Untersuchungshaftanstalt und Haftkrankenhaus Berlin-Hohenschönhausen
Autor_innen: Roland Jahn, Ruth Stoltenberg, Wolfgang Zurborn
Künstlerin: Ruth Stoltenberg
Gestaltet von Ruth Stoltenberg und Kehrer Design
Festeinband mit Schutzumschlag, 22 x 28 cm, 128 Seiten plus 24-seitiges englisches Booklet, 80 Farbabb.
Deutsch/Englisch
ISBN 978-3-86828-601-4
Euro 29,90
Kehrer Verlag, erschienen Herbst 2015
www.artbooksheidelberg.com
Ausstellungen und Buchpräsentationen in 2016 über das Stasigefängnis und Krankenhaus Berlin-Hohenschönhausen
18.03.-08.05.2016 Ausstellung in der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße, Erfurt
17.03.2016 Ausstellungseröffnung und Buchpräsentation
11.05.- Ende Juni 2016 Ausstellung in der Gedenkstätte Amthorduchgang e.V., Gera
10.05.2016 Ausstellungseröffnung und Buchpräsentation
Juli/August 2016 Ausstellung in der Dokumentations- und Gedenkstätte Rostock
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Rengha Rodewill - Hoheneck. Das DDR-Frauenzuchthaus. Dokumentarische Erkundung in Fotos mit Zeitzeugenberichten und einem Vorwort von Katrin Göring-Eckardt (2014)
Jail house feeling? Nach einer solch geschmacklosen Missachtung der Opfer Hohenecks ist Rodewills respektvolle Zusammenführung von Wort und Fotografie umso bedeutender. Erdrückend klar gedenkt ihr Projekt der Haftbedingungen politisch gefangen genommener Frauen. Die Fotografin setzt den mit "Bautzen II" begonnenen Beitrag zur Erinnerungskultur fort.
Rengha Rodewill - Bautzen II. Dokumentarische Erkundung in Fotos mit Zeitzeugenberichten mit einem Vorwort von Gesine Schwan (2013)
Gefangenschaft und Grausamkeit, Macht und Ohnmacht. Fotografien und Berichte von ZeitzeugInnen im Bildband erzählen von der brutalen Realität des ehemaligen Stasi-Gefängnisses. Die Fotografin will damit gegen ein Vergessen dieses Ortes ankämpfen.
Quelle: Kehrer Verlag