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Beitrag vom 27.09.2015
Meinrad Hofer - witness. Realities of forced emigration 1938 – 1945. Buchpräsentation in Anwesenheit der Portraitierten am 10. November 2015 in Wien
Sharon Adler
Der österreichische Fotograf erkundete die Biographien sechzehn österreichischer von den Nazis in die Flucht gezwungenen Juden und Jüdinnen, die unter Gefahren und über Umwege in die USA emigrierten
Köpfe, Schwarz-Weiß fotografiert und von hinten aufgenommen, der Kamera den Rücken zukehrend, so stellen sich auf den ersten Seiten des Buches die von Meinrad Hofer fotografierten Menschen den Betrachter_innen dar. Sichtbar wird durch diese Ansicht die Ausgrenzung, erzwungene Flucht und Abschied, der Verlust der Identität und das Gefühl des Schutzlos ausgeliefert zu sein.
Die folgenden Seiten zeigen die portraitierten Frauen und Männer von vorn und in Farbe: Unretuschiert, unkommentiert, vor schwarzem Hintergrundkarton fotografiert und somit isoliert und des Kontexts beraubt, repräsentieren diese Portraits sowohl das individuelle, als auch ein kollektives Schicksal.
Ob vom Fotografen intendiert oder nicht: Die erste Assoziation, die diese serienhafte Anordnung trotz des künstlerischen Ansatzes erzeugt, ist die Registrierung von KZ-Insass_innen für die Selektion oder auch die fotografische Dokumentation von Zeug_innen in einem Prozess.
Meinrad Hofer, dem es ein Anliegen ist, "als Idealist nach Perfektion und Wahrheit in seiner Arbeit zu streben" schafft durch den Einsatz der immer gleichen Kameraperspektive und des einheitlich schwarzen Hintergrunds den Eindruck von Harmonie und Ruhe, die durch die schattenreiche, harte Beleuchtung andererseits aufgelöst wird. Die Suche nach Perfektion ist es, was schwierig ist in diesem Zusammenhang, denn Titel und Kontext des Buches sind emotional, die technisch einwandfreien Fotografien aber sind es nicht. Vielmehr sind sie trotz der prägnanten und sensiblen Gesichter zu kalt, emotionslos und statisch.
Indem sich die Portraitierten der Kamera stellen, fungieren sie als "Zeugen und Zeuginnen", als "witnesses". Begleitet werden die Portraits von autobiografischen Essays der Zeitzeug_innen, in denen sie von ihrer Kindheit und Jugend, von Erinnerungen, Träumen und Traumata erzählen. Sie erinnern sich an ihr früheres Leben, an Eltern, Schule und Verlorenes, und berichten von der Flucht und ihrem Leben im Exil, ihrem beruflichen und privaten Leben, und geben Statements zu ihren – ambivalenten - Gefühlen gegenüber dem Österreich von Gestern und Heute ab. Einige schrieben in ihrer Muttersprache Deutsch, andere auf Englisch, der Sprache ihrer neuen Heimat.
So unterschiedlich die individuellen Lebenswege auch sind, gemeinsam sind ihnen die traumatischen Erfahrungen und der Mut zum Ãœberleben und Neuanfang.
Die Porträtierten sind:
Anitta R. Fox
Theodore Friedmann
Bruno Goldstein
Edith Harnik
Trudy Jeremias
Martin Karplus
Otto Kernberg
Edith Kurzweil
Franz Leichter
Gustav Papanek
Hanna Papanek
Eric Pleskow
Kurt Sonnenfeld
Lisl Steiner
Hans Weiss
Eric Weissmann
AVIVA-Tipp: "WITNESS. Realities of forced emigration 1938 – 1945": Der Bildband stellt "Zeugnisse" von Menschen dar, deren Leben geprägt sind von Verfolgung, Entrechtung, Flucht und Exil und in deren Gesichtern sich neben der Trauer um den Verlust und das Verlorene auch Humor und Weisheit zeigt.
Zum Künstler: Meinrad Hofer, 1977 in Graz geboren, studierte an der Photography and Audio-Visual Media school, Wien und startete seine Karriere im Jahr 2003.
2010 zog er nach New York, wo er u.a. mit Steven Klein und Craig McDean zusammengearbeitet hat. Meinrad Hofer porträtierte unter anderem den Dalai Lama, Karl Markovic, Anitta R. Fox, Erwin Wurm, Leonard Cohen, Lionel Richie, Karl Lagerfeld, Diane von Fürstenberg und John Malkovich.
Heute pendelt Meinrad Hofer zwischen New York und Wien und ist als freier Fotograf für diverse Magazine und Filmprojekte tätig. 2010-2013 arbeitete Hofer an seiner Portraitserie "witness".
Mehr Infos und Aufnahmen aus der Serie finden Sie unter: www.meinradphotography.com
Zur Autorin: Lisa Silverman, Associate Professor an der University of Wisconsin-Milwaukee, Associate Professor, Department of History. Autorin diverser Publikationen, darunter: "Becoming Austrians. Jews and Culture between the World Wars" und "Beyond Antisemitism: A Critical Approach to German Jewish Cultural History".
Mehr Infos unter: uwm.edu
Buchpräsentation in Anwesenheit der Porträtierten
Theater Nestroyhof/Hamakom
Nestroyplatz 1, 1020 Wien
10. November 2015
Meinrad Hofer
witness. Realities of forced emigration 1938 – 1945
Autorin: Lisa Silverman
Gestaltet von Tim Jahn
Festeinband, 20 x 30,5 cm, 144 Seiten, 32 Farb- und 16 S/W-Abb.
Deutsch/Englisch
ISBN 978-3-86828-615-1
Euro 34,90
Kehrer Verlag, erschienen 2015
www.artbooksheidelberg.com
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Elisabeth Sandmann - Der gestohlene Klimt. Wie sich Maria Altmann die Goldene Adele zurückholte. Das Leben der in Wien geborenen Jüdin Maria Altmann und ihre Beziehung zu dem von den Nazis geraubten Klimt-Gemälde "Goldene Adele" dokumentierte die Verlegerin Elisabeth Sandmann in akribischer Recherchearbeit.
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