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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 17.04.2015


Alissa Walser - Von den Tieren im Notieren
Julia Lorenz

Vom Malen zum Schreiben, vom Reisen zum Ankommen: In 24 Kurzessays reflektiert Alissa Walser ihre Arbeit als Literatin - und präsentiert sich erneut als präzise Beobachterin ihrer Mitmenschen




"Wer einen Text zu schreiben beginnt, denkt nach vorn, vorwärts, so als denke er auf ein Ziel hin. Nun, mit dem fertigen Buch in der Hand, denke ich rückwärts. Und erinnere: Die vielen Momente der letzten drei Jahre, oder waren es vier? Oder wann genau begann das, was hier gedruckt vor mir liegt?" - so beginnt Alissa Walsers Text "Was genommen wurde". Fast vier Jahre nach der Erzählung "Immer ich", ihrer letzten Buchpublikation, meldet sich Walser mit einer Essaysammlung zurück. Als "Meta-Literatur" könnte mensch ihr neues Werk "Von den Tieren im Notieren" bezeichnen: Die Autorin schreibt über das Schreiben, reflektiert ihr Schaffen als bildende Künstlerin, Übersetzerin und Schriftstellerin.

Was bei vielen LiteratInnen nach intellektueller Nabelschau klingen würde, mutet bei Walser beinahe selbstverständlich an: Das Schreiben, so scheint es, ist essentieller Teil ihrer Identität und Geschichte. Ihr Vater Martin Walser ist einer der bekanntesten deutschsprachigen Autoren der Gegenwart, ihre Schwester Johanna dichtet, Bruder Jakob Augstein ist Herausgeber der Wochenzeitung "Der Freitag". Dennoch: Als Türöffner wollte sie ihren berühmten Namen nie nutzen, publizierte ihre ersten Geschichten unter dem Pseudonym Fanny Gold. Mit nur 31 Jahren erhielt Walser den Ingeborg-Bachmann-Preis, übersetzte Tagebücher, Prosawerke und Theaterstücke von Legenden wie Sylvia Plath und Joyce Carol Oates.

Doch nicht nur um die preisgekrönte Autorin, ihre Arbeit und Sprachwelt kreisen die Texte in "Von den Tieren im Notieren". Im Gegenteil: Walser erweist sich als präzise, dabei zärtlich-wohlwollende Beobachterin ihrer Mitmenschen - so etwa, wenn aus der Beschreibung einer verhinderten Flugreise eine Meditation über höhere Macht erwächst. Walser philosophiert über die Natur, das Reisen und Malen, über alltägliche Situationen, bezieht jedoch auch - in leisen Tönen, aber dennoch deutlich - Stellung zu Geschlechterfragen: "Vom klassischen Schriftsteller (und deshalb kann die männliche Form hier stehenbleiben) wurden Antworten erwartet und sogar verlangt. Und ER war, aus welchem Grund auch immer, bereit sie zu geben", schreibt sie - und beschreibt so in nur zwei eleganten Sätzen die Misere, dass Männer seit Jahrhunderten die Deutungshoheit über gesellschaftliche Diskurse besitzen.

Selbst der scheinbar profansten Beobachtung ringt Walser überraschende Aspekte ab, ohne ihre sprachliche Leichtigkeit zu verlieren. Manche Texte muten an wie moderne Kalendergeschichten, anderen gleichen Fragmenten, und bisweilen beschleicht den/die LeserIn das Gefühl, in den privaten Notizen der Autorin stöbern zu dürfen. Während in der Vergangenheit bereits häufig über den biografischen Gehalt von Walsers Erzählungen debattiert wurde - etwa in der Erzählung "Geschenkt", die eine gestörte Tochter-Vater-Beziehung thematisiert - präsentiert sich die Autorin in ihrem neuen Werk ganz offen als Privatperson. Und richtet den Blick dennoch auf die Welt außerhalb ihrer Schreibwerkstatt.

AVIVA-Tipp: Alissa Walser verbindet Reflexionen über AutorInnenschaft mit zärtlichen, intimen Einblicken in ihre Gedankenwelt. "Von den Tieren im Notieren" bietet 24 wunderbar leichthändige, kluge Essays, die auch LeserInnen begeistern dürften, die mit Walsers Werk nicht vertraut sind.

Zur Autorin: Alissa Walser, geboren 1961 in Friedrichshafen, studierte in Wien und New York City Malerei und ist seit den frühen Neunzigern als Schriftstellerin und Übersetzerin tätig. 2010 erschien ihr Debutroman "Am Anfang war die Nacht Musik". Walser lebt und arbeitet in Frankfurt am Main.

Zur Webseite der Autorin: www.piper.de/autoren/alissa-walser

Alissa Walser
Von den Tieren im Notieren

Piper, München, erschienen im März 2015
160 Seiten. Gebunden mit Schutzumschlag
16,99 Euro
ISBN 978-3-492-05668-7

Weitere Infos unter www.piper.de

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Beitrag vom 17.04.2015

Julia Lorenz